Es ist Ostermontag, der 22. April, um 20.15 Uhr. Der letzte Bremer Tatort mit Sabine Postel und Oliver Mommsen als Ermittlerduo Inga Lürsen und Nils Stedefreund läuft. Wie viele Bremer auch verfolgt Andree Gieschler zusammen mit seiner Frau den Tatort. Wer der Täter ist, ist für sie dieses Mal nebensächlich, denn sie warten gespannt nur auf eine Szene. Die ist ziemlich kurz, sie können aber für Sekunden schemenhaft die Gitterrosten erkennen, die aus ihrem Betrieb sind, und die sie der Produktion zur Verfügung gestellt haben. Damit ist die Metallbaufirma Heinrich Schlütter ausgerechnet in diesem Ermittlungsfinale verewigt.
Passender hätte es nicht sein können. Denn in diesem Jahr feiert das Unternehmen seinen hundertsten Geburtstag. Mitte Oktober werden in der Produktionshalle die Maschinen und Werkzeuge etwas zur Seite geräumt, dann will Gieschler zusammen mit seinen Mitarbeitern und deren Familien und Gästen feiern.
Konstruktion für das Bremer Loch
Aber der Tatort ist nicht das einzige Projekt, wo Schlütter im Verborgenen gearbeitet hat. In den hundert Jahren hat das Unternehmen in der Stadt eindeutig seine Spuren hinterlassen. Das wohl bekannteste Werk ist das Bremer Loch auf dem Marktplatz neben den Stufen der Bremischen Bürgerschaft. Wer da eine Münze hineinwirft, hört, wie die Bremer Stadtmusikanten rufen. Die Idee geht auf den Bremer Designer Fritz Haase zurück. Gebaut hat es Schlütter. Wie Geschäftsführer Gieschler berichtet, ist es noch nicht lange her, dass ein dreister Dieb versuchte, die Münzen zu klauen.
Der Langfinger hatte mühevoll die oberste Platte entfernt. Doch danach musste er feststellen, dass er die Rechnung ohne Metallbau Schlütter gemacht hatte. Denn unter dem Bronze-Deckel, den Schlütter hat gießen lassen, ist eine weitere Sicherung und auch die Lichtschranke verbaut, die dafür sorgt, dass bei jedem Münzeinwurf die Tiergeräusche zu hören sind. Unter diesem Deckel geht es zur Geldkassette. Da gehöre mehr Aufwand dazu, das Loch zu knacken – und der würde sich laut Gieschler nicht lohnen.
Durch diese ausgeklügelte Konstruktion kann sich die Wilhelm-Kaisen-Bürgerhilfe jedes Jahr über 15.000 Euro freuen, weil die Touristen fleißig Münzen einwerfen. Fritz Haase sitzt übrigens mit im Kuratorium der Stiftung. Dieses Beispiel zeigt, wie vielfältig die Arbeit bei dem Metallbaubetrieb ist. Dazu sagt Andree Gieschler: „Das ist Segen und Fluch zugleich – Segen, weil das alles kreative Arbeiten sind und Fluch, weil kaum ein Projekt wie das andere ist. Eine Treppe, die wir speziell für ein Haus konstruieren, passt nicht in das andere Haus.“ Jedes Mal müsse alles neu geplant und konstruiert werden.
Metallbau seit hundert Jahren
Andree Gieschler ist mit Schlütter nicht verwandt. Sein Vater Jochen Gieschler übernahm 1983 von Heinrich Schlütter den Betrieb, weil der in der Familie keinen Nachfolger hatte. Heinrich wiederum begann als 14-Jähriger seine Ausbildung im Betrieb seines Vaters Wilhelm. Er hatte den Metallbaubetrieb 1919 in der Neustadt in der Pappelstraße gegründet. 1968 kam der Umzug in die Franz-Grashof-Straße in Huckelriede zwischen Buntentor und Werdersee. Auch wenn Schlütter den Betrieb 1983 verkaufte, war er noch bis 1992 Obermeister der Bremer Metallinnung.
Nachdem Gieschler etwas vom ehemaligen Bundeswehrareal erwerben konnte, baute er 2003 eine neue Halle mit größerem Büro und Sozialräumen. Drei Jahre später wurde sein Sohn Andree der neue Geschäftsführer. Er hat den Beruf von der Pieke auf gelernt. Er machte seine Ausbildung in der „Hütte“ – dem Bremer Stahlwerk. Danach studierte er in Osnabrück Maschinenbau. „Damals interessierte ich mich für Fahrzeugbau“, sagt der 48-Jährige.
Aber schließlich zog es Andree Gieschler zurück in den elterlichen Betrieb. Als Diplom-Ingenieur beschäftigt er sich viel mit den Konstruktionen. Derzeit hat der Betrieb in der Werkstatt elf Gesellen und fünf Auszubildende. Gieschler sagt: „Während wir früher erst immer dann neue Azubis eingestellt haben, wenn die alten ausgelernt hatten, also alle drei Jahre, stellen wir nun jedes Jahr ein.“ So will auch er dem Fachkräftemangel entgegenwirken. Dann gibt es in dem Handwerksbetrieb noch einen Maschinenbau-Techniker, einen angehenden Meister und zwei kaufmännische Angestellte – insgesamt also 20. Oft ist Schlütter gefragt, wenn sich Architekten bei der Planung von neuen Gebäuden besondere Metallkonstruktionen ausdenken – egal, ob sie zur Dekoration dienen oder wirklich tragend sind.
Die Wirkungsstätten der Metallbaufirma ziehen sich weiter wie ein roter Faden durch Bremen. So hat das Unternehmen auch die wellenförmige Sitzbank gebaut, die gleichzeitig Fahrradständer ist und vor dem Altbau der HKK an der Martinistraße steht. Der Entwurf stammt vom Atelier Gonzalez Haase. Und in den Bremer Messehallen ist ebenfalls die Arbeit des Metallbaubetriebs zu finden. Der Übergang von der Halle Sechs zur Halle Sieben stammt von Schlütter. Er kann seitlich komplett geöffnet werden, damit gewährleistet ist, dass die Feuerwehr im Notfall hindurch fahren kann.
Am Freitag arbeiteten Gesellen und Azubis an Alu-Verkleidungen. Die sind für die Wände im Hemelinger Tunnel. Sie werden mit Mineralwolle gefüllt, um einen schalldämpfenden Effekt zu erreichen. Ebenso stehen in den Hallen Übersichtsschilder aus Metall für die Überseestadt. „Die Karte mit den Erklärungen ist eine Folie, die auf die Schilder geklebt wurde, aber das Metall ist von uns“, erläutert Gieschler. Das Unternehmen hat derzeit gut zu tun. Ganz neue Kunden müssen da auch schon mal warten. Für Gieschler ist es aber Berufsehre: „Wenn wir einem Kunden einen Termin zusagen, dann halten wir den auch ein.“
Nachhaltigere Balkongeländer
Was sich über die Jahre geändert hat: „Auch wir bauen heute nachhaltiger.“ Dazu nennt Gieschler als Beispiel ein Balkongeländer: „Da wurden die Löcher für die Stangen einfach in den Beton gebohrt.“ Über die Jahre zog dort Feuchtigkeit ein, spätestens nach 40 Jahren war der Beton abgebröckelt. Heute würde man das so machen, dass die Feuchtigkeit draußen bleibt. Das habe folgenden Nebeneffekt: „Wenn das auch noch verzinkt ist, sehen wir diesen Kunden zumindest für dieses Produkt nur einmal in 50 Jahren, weil es eben so lange hält.“
Jetzt steht für Mitte Oktober erst mal das Firmenjubiläum an. Dafür ist Gieschler noch auf der Suche nach alten Fotos, damit alle sehen können, wie es damals in der Pappelstraße angefangen hat. An der Magnetpinnwand in der Produktionshalle ist noch Platz.