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Klimaquartier Ellener Hof So lebt es sich im Dorf in der Stadt

Im sozial-ökologische Modellquartier Ellener Hof der Bremer Heimstiftung wachsen die Nachbarschaften. Doch das Quartier hat auch mit altbekannten Problemen zu kämpfen.
22.05.2023, 06:23 Uhr
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So lebt es sich im Dorf in der Stadt
Von Christian Hasemann

Der Ellener Hof in Osterholz gilt als ein Modellquartier mit Vorzeigecharakter. Knapp 500 Wohnungen und soziale Einrichtungen entstehen dort in Holzhybridbauweise. Die Bremer Heimstiftung, Eigentümerin des Grundstücks, ist mit dem Anspruch angetreten, mehr als nur Wohnraum, sondern eine vernetzte und sozial gemischte Nachbarschaft zu schaffen. Bewohner des Quartiers sehen den Ellener Hof auf einem guten Weg, aber auch Probleme, die noch nicht gelöst sind.

Marlene Rojahn wohnt seit vergangenem Dezember auf dem Ellener Hof. In einem Haus der Bremer Heimstiftung, eine normale Mietwohnung. Sie teilt sich das Haus mit derzeit sieben Mietparteien. Ein Sprichwort sagt, dass alte, umgepflanzte Bäume keine neuen Wurzeln mehr schlagen. Marlene Rojahn ist der Gegenbeweis.

Umzug mit 83 Jahren

Dennoch war für die 83-Jährige der Umzug ein Wechsel aus einer lieb gewonnenen Nachbarschaft in das Unbekannte. "Ich habe 80 Jahre am Schlossparkbad gewohnt", erzählt sie im Café des Gästehauses Maribondo im Zentrum des neuen Quartiers. Das Ehepaar Rojahn musste das Haus verkaufen, die Krankheit des Mannes, die viele Arbeit, die ein Haus mit sich bringt: Es war nicht mehr zu schaffen. Im vergangenen Sommer ein Schicksalsschlag: Marlene Rojahns Mann starb, sie zog auf den Ellener Hof.

Warum es der Ellener Hof sein sollte? Rojahn erklärt das unter anderem auch mit dem Wirken eines Bremer Prominenten. "Ich habe in einer Senioren-Begegnungsstätte Henning Scherf kennengelernt", erzählt sie, die als Ehrenamtliche in einer Begegnungsstätte gearbeitet hatte. Scherf wohnt selbst in einer Alterswohngemeinschaft, also einer alternativen Wohnform.

Auf dem Ellener Hof mischen sich auf annähernd zehn Hektar unterschiedliche Wohnformen. Betreutes Wohnen, sogenanntes Servicewohnen, normaler Wohnraum, geförderter Wohnraum und unterschiedliche Pflegewohnformen sowie Studenten-Appartments. Nahezu alle Wohnungen sind barrierefrei, das heißt altersgerecht.

Über das Miteinander sagt Rojahn: "Ich habe keine großen Probleme, Menschen kennenzulernen." Sie habe ihre neuen Nachbarn mit Blumen begrüßt. Man unterstütze sich gegenseitig mit Tipps und Tricks. "Ich freue mich darüber, das braucht man", sagt Rojahn. Und auch der Kontakt zu den alten Nachbarn im Schlossparkviertel bestehe noch. Die Rentnerin ist viel mit dem Fahrrad unterwegs. "Der Weg nach Fischerhude ist wunderschön", lautet ihr Tipp.

Alternative Wohnformen

Lisa Eiden hat mit ihrer Frau seit Jahren nach alternativen Wohnmöglichkeiten gesucht. Auf dem Ellener Hof sind sie fündig geworden. Sie wollen bald in das Gutshaus, ein Gebäude einer Baugemeinschaft, einziehen. Noch wohnen sie allerdings im Gästehaus Maribondo. Im Gutshaus haben haben sie eine große Wohnung gefunden, die sie zu viert als Wohngemeinschaft bewohnen werden. Für Eiden nichts Neues. "Ich habe immer in WGs und Hausgemeinschaften gelebt." Das sei eben die Lebensform der beiden befreundeten Pärchen.

Ende Mai soll es mit dem Einzug in das Gutshaus so weit sein. "Für mich ist der Ellener Hof ein Dorf, das entsteht." Jeder werde gegrüßt. "Man kennt sich, man spricht miteinander. Das ist richtig schön", sagt Eiden. "Es ist wie in einem Dorf und das wollen wir beibehalten." Es sei ein sehr intensives Leben mit Arbeitsgruppen und Projekten mit Menschen aus dem Ellener Hof, aber auch mit Menschen aus den umliegenden Quartieren, die mitmachen wollten, sagt Eiden. Zwei Beispiele: Es gibt einen Gemeinschaftsgarten, den die Bewohner des Ellener Hofs und umzu gemeinsam bestellen, und eine Holzwerkstatt.

Ellener Hof soll keine Insel sein

Nicole Ehnert wohnte lange in der Neustadt. "Und ich dachte, ich würde sie vermissen, aber jetzt ist es eher wie Urlaub, wenn ich dort bin, und bin froh, wenn ich wieder hier bin. Osterholz ist mein Zuhause geworden." Sie wohnt seit 2021 mit ihrem Mann in einem der neuen Bremer Häuser auf dem Gelände. "Es war eine ganz bewusste Wahl." Letztlich entscheidend: "Für mich macht den Ellener Hof aus, dass ich mich hier einbringen kann, dass ich mitgestalten kann. Für mich alleine Zuhause sitzen, das ist nicht mein Ding." Es passiere ganz viel auf dem Ellener Hof. "Wir sind gut vernetzt, aber wollen das weiter ausbauen, um an die Menschen heranzukommen." Es gebe sicherlich noch mehr Potenzial, um mit den umliegenden Quartieren in Kontakt zu kommen. Denn die drei Bewohnerinnen sind sich einig: Der Ellener Hof soll keine Insel im Stadtteil werden.

Daran arbeitet auch Sabine Schöbel. Sie ist Koordinatorin für das soziale Leben im Ellener Hof. "Wir wollen keine Oase für uns sein", sagt sie. "Wobei wir wissen, dass das schwierig ist, und das gelingt nur, wenn wir die Menschen einladen, zum Beispiel zu Rundgängen, zu Projekten, zu Kulturveranstaltungen."

Wenig Familien und Verkehrsprobleme

Doch es gibt auch Herausforderungen. Die Corona-Epidemie, der Ukraine-Krieg, die anziehenden Bauzinsen und -kosten machen das Bauen nicht nur nicht einfacher, sondern vor allem auch teuer. So teuer, dass einige Familien bei Baugemeinschaften und den neuen Bremer Reihenhäuser abgesprungen sind.  "Eigentlich müssten Familien mehr unterstützt werden", sagt Schöbel dazu. Familien mit Kindern, da sei der Ellener Hof noch ausbaufähig.

Ein Quartier für Idealisten mit genügend Geld? Das trifft es dann allerdings auch nicht, denn auf dem Gelände entstehen geförderte Wohnungen und auch die Baugemeinschaften schaffen in ihren Projekten Wohnraum für Menschen mit kleinerem Geldbeutel. Zum Anspruch als Klima- und Fahrradquartier sagt Schöbel: "Da muss man schon ein stückweit dafür leben, aber das gilt natürlich nicht für alle Menschen, die hier leben." Sprich: Man kann auf dem Ellener Hof auch einfach schön wohnen – wenn man möchte.

Wobei der Anspruch der Realität hinterherhinkt. So sagen die drei Bewohnerinnen, dass der Verkehr ein Problem sei. Elterntaxis, die zu den beiden Kitas fahren, Baustellenverkehr, Besucher: All dies macht aus dem eigentlich weitgehend autofrei konzipierten Fahrradquartier dann doch zeitweise ein Autoquartier. "Da müssen wir uns das Verkehrskonzept noch mal vornehmen, es müssen weniger Autos und mehr Fahrräder sein", sagt Ehnert. Schöbel verspricht sich viel davon, wenn der Baustellenverkehr abnimmt. "Das wilde Parken wird es zukünftig nicht mehr geben."

Dann ist das Gespräch zu Ende. Eiden und Ehnert gehen zum Gemeinschaftsgarten, wollen etwas gemeinsam gärtnern, dort, in ihrem Dorf, mitten in der Stadt.

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Modellquartier aus Holz

Das Stiftungsdorf Ellener Hof gilt als Vorzeigeprojekt der Bremer Heimstiftung, die Eigentümerin des Geländes an der Ludwig-Roselius-Allee ist. Der Ellener Hof ist als sozial-ökologisches Modellquartier konzipiert. Alle Gebäude müssen zu einem bestimmten Prozentsatz in Holzbauweise errichtet werden und einen bestimmten Energiestandard erreichen. Die soziale Komponente entsteht durch Kultureinrichtungen, sozialen Einrichtungen und Gesundheitsdienstleistungen. Daneben sollen bis zu 500 Wohnungen, davon 130 als sozial geförderte Wohnungen, entstehen. Derzeit sind 14 Neubauten fertiggestellt, darunter ein Studierendenwohnheim, ein Gästehaus, eine Kita und mehrere Reihenhäuser. Im Laufe dieses Jahres soll ein Hindutempel auf dem Gelände eröffnet werden. Weitere Besonderheit: Die Grundstücke werden ausschließlich über Erbbaurecht vergeben, das heißt sie bleiben im Besitz der Heimstiftung. Die Nutzer zahlen einen sogenannten Erbpachtzins.

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