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Ein Serienmörder aus Bremen Die Blutspur des Eckhard Krüger

Im Dezember 1971 sorgte der Mord an der Antiquitätenhändlerin Johanna Kaussel für Aufsehen. Als Täter wurde schließlich ein Mann überführt, der nicht nur diesen Mord auf dem Gewissen hatte.
30.12.2022, 05:00 Uhr
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Die Blutspur des Eckhard Krüger
Von Frank Hethey

Halb sitzend, halb liegend fand man die Antiquitätenhändlerin Johanna Kaussel im kleinen Badezimmer neben dem Verkaufsraum, ihre Brille hielt sie in der Hand. Mit zwei Kopfschüssen war die 67-Jährige in ihrem Geschäft an der Rembertistraße umgebracht worden. „Fast scheint es, als habe der Mörder sein Opfer regelrecht exekutiert“, berichtete der WESER-KURIER.

Zunächst tappte die Polizei im Dunkeln, ein Raubmord schien ebenso ausgeschlossen wie ein Sexualverbrechen. Drei Tage nach dem Verbrechen setzte der Oberstaatsanwalt eine Belohnung von 3000 Mark für die Ergreifung des Täters aus. Als Mörder wurde schließlich ein Mann überführt, der nicht nur einen Menschen auf dem Gewissen hatte. 

Anonymer Anrufer gab den entscheidenden Hinweis

Auf seine Spur kamen die Ermittler nach gut anderthalb Wochen. Ein anonymer Anrufer hatte den entscheidenden Hinweis auf den Waffenbesitz von Eckhard Krüger gegeben, einen polizeibekannten 30-Jährigen aus der Gartenstadt Vahr.

Kurz nach dem Krieg war er als kleiner Junge mit seiner Mutter und zwei Geschwistern aus Pommern gekommen und in Osterholz-Scharmbeck aufgewachsen. Sein Vater war 1942 gefallen. Die Mutter war überfordert, schon das Kleinkind empfand sie als schwer erziehbar. Mit zwölf Jahren übergab sie ihn der staatlichen Fürsorge.

Sechs Jahre verbrachte Krüger in Kinder- und Jugendheimen. Immer wieder lief er weg und kehrte zurück zur Mutter. Früh begann seine kriminelle Karriere, wegen Diebstahlsdelikten und Einbrüchen saß er jahrelang in Jugendhaft.

Eine Klempnerlehre brach Krüger ab. Vergebens versuchte er sich als Seemann, Werbeassistent oder Bergmann, nichts war von Dauer. Als die letzte Anstellung gescheitert war, geriet er endgültig auf die schiefe Bahn. Wegen mehrfachen schweren Diebstahls wurde er 1967 zu dreieinhalb Jahren Zuchthaus verurteilt. 

Schon bald nach seiner Freilassung nahm das Unheil seinen Lauf. Die Spirale der Gewalt begann am 27. Juni 1971 mit einem Mordversuch in Schwäbisch Gmünd. Krüger hatte seine Freundin Bettina Schulze in den Wohnort ihrer Mutter begleitet. Die Studentin war zehn Jahre jünger als er. Eine labile Persönlichkeit, die versucht hatte, sich das Leben zu nehmen. Seit Januar 1971 waren die beiden ein Paar. 

Ohne ihr Wissen schoss er in einem Waldstück einen 24-Jährigen nieder und raubte ihn aus. Der Mann überlebte, war aber zeitweise gelähmt. Zum ersten Mord kam es drei Wochen danach im Bremer Stadtwald unweit der Bahnstrecke nach Hamburg. Ein beerensammelnder Rentner hatte am 17. Juli 1971 das Pech, Krüger und seiner Lebensgefährtin über den Weg zu laufen. Kaltblütig streckte Krüger ihn mit drei Schüssen in Rücken und Kopf nieder.

Sein Name lautete Hermann Horstmann. Mit seiner Frau Elfriede wohnte er seit elf Jahren in einem Eckhaus an der Herbststraße in Findorff. Das Ehepaar lebte zurückgezogen, in Bremen hatte es keine Verwandte und kaum Bekannte. Der einzige Sohn war in Kassel zu Hause.

Zum Zeitpunkt seines Todes war der 68-Jährige ein Strohwitwer, seine Frau weilte gerade auf einer sechswöchigen Kur. Mit einem braunen Damenfahrrad der Marke Göricke war Horstmann in den Stadtwald gefahren. Die Himbeersträucher nahe der Bahn versprachen eine gute Ausbeute, er hatte ein geblümtes Sitzkissen mitgenommen. Seinen Mörder hat Horstmann vermutlich gar nicht wahrgenommen.

„Wir sind damals auf unseren Rädern zum Vergnügen im Stadtwald umhergefahren“, gab die Krüger-Freundin später zu Protokoll. Nach ihrer Aussage ereignete sich die Tat völlig unvermittelt. Erst nahmen sich die beiden ein Beispiel an Horstmann und pflückten ebenfalls Himbeeren. Doch dann habe Krüger auf einmal „so ein komisches Gesicht“ gemacht. Wie die Gerichtsmedizin feststellte, näherte er sich von hinten. Der erste Schuss traf den arglosen Beerensammler in gebückter Haltung im Rücken. Anfangs meinte man, er habe auf einer Bank gesessen, doch das erwies sich als Irrtum.

Der gerade mal 1,65 Meter große Rentner war nicht sofort tot, er stöhnte noch. Also nahm ihn Krüger abermals ins Visier. Aus nächster Nähe gab er zwei weitere Schüsse ab, einen in den Hinterkopf, den anderen in die Schläfe. Den Toten zerrte Krüger ins dichte Unterholz. Dort fand man ihn auf dem Bauch liegend vor. Noch mit dem braunen Filzhut auf dem Kopf, aber ohne Schuhe, seine Taschen waren ausgeleert. In einer Entfernung von 50 Metern entdeckte man das Fahrrad. Einiger Habseligkeiten des Rentners entledigte sich Krüger unweit der Kleinen Wümme. Darunter das geblümte Sitzkissen.

Zwei Tage lag die Leiche im Gebüsch. Allerdings keineswegs unbemerkt. Ein anderer, fast gleichaltriger Beerensammler wurde schon am Tag des Geschehens auf das Mordopfer aufmerksam. Er hielt die regungslose Gestalt aber für einen Trunkenbold, der seinen Rausch ausschlief. Stutzig wurde er erst, als er den Mann zwei Tage darauf noch immer in der gleichen Lage vorfand.

Zunächst konnte man den Toten nicht identifizieren. Weil seine Frau auf Kur war, wurde er auch nicht als vermisst gemeldet. Erst als sie drei Tage nach dem Mord nach Hause zurückkehrte, verständigte sie die Polizei. Die Nachbarn hatten schon Böses geahnt. Die Personenbeschreibung in der Presse passte auf den Mitbewohner, der sich seit dem 17. Juli nicht mehr hatte blicken lassen. Seine Frau wunderte sich, dass ihr Mann sie nicht am Hauptbahnhof in Empfang genommen hatte.

Bei einem Berlin-Besuch am 7. Dezember 1971 folgte die nächste Schreckenstat, diesmal traf es einen 33-jährigen Taxifahrer nach dem üblichen Muster: erst ein Schuss in den Rücken, dann ein oder zwei Kopfschüsse. Schwer verletzt kam das Opfer davon, verlor aber fast das gesamte Augenlicht und litt fortan unter Sprach- und Denkstörungen.

Wieder mit dabei: die Freundin und eine neue Bekanntschaft, ein gewisser Werner M. Der Mann lebte in Berlin, ihm galt der gemeinsame Besuch. Im Prozess übernahm der bekannte Rechtsanwalt Heinrich Hannover seine Verteidigung. An den Fall kann sich der heute 96-Jährige nur noch schwach erinnern, die Akten hat er vernichten lassen – "möglicherweise aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes", wie er sagt. 

Drei Tage danach starb Johanna Kaussel in Bremen. Die erste Kugel drang oberhalb des linken Ohres in den Schädel ein, die zweite traf sie in der Stirn zwischen den Augen. Beteiligt war wieder das Trio aus Berlin: M. und Schulze standen laut Gericht Schmiere, während Krüger am Morgen gegen 9.30 Uhr das Geschäft betrat. 

Der WESER-KURIER beschrieb die Antiquitätenhändlerin als "lebensfrohe und charmante Frau". Vielen Kunden war sie unter einem anderen Namen bekannt. Nämlich als Frau Wenzel, dieser Name stand auch über dem Schaufenster. Freilich gibt es dafür eine harmlose Erklärung. Sie hatte sich scheiden lassen und danach ihren Mädchennamen wieder angenommen.

Das kleine Geschäft hatte sie acht oder neun Jahre zuvor eröffnet, im Adressbuch wird es erstmals 1963 erwähnt. Heute befindet sich dort ein Kosmetiksalon. Auf Verbindungen ins kriminelle Milieu gab es keine Hinweise, der Hehlerei hatte sie sich niemals verdächtig gemacht. Zusammen mit drei anderen Parteien bewohnte sie ein Altbremer Haus an der Gabriel-Seidl-Straße in Schwachhausen. Wie die Zeitung in Erfahrung gebracht hatte, stand die 67-Jährige in Kontakt zu teils wesentlich jüngeren Männern. Ein Eifersuchtsdrama wollte die Polizei deshalb zunächst nicht ausschließen.

Unklar blieb die Beziehung zu ihrem Mörder. Im Gegensatz zu seinen anderen Opfern könnte Krüger die Antiquitätenhändlerin schon vorher gekannt haben. Zur Zuchthausstrafe war er unter anderem wegen eines Schaufenstereinbruchs bei Johanna Kaussel verurteilt worden, vielleicht hat sie gegen ihn ausgesagt. Die Freundin seines Komplizen M. wollte gehört haben, Krüger habe mit der Frau noch eine offene Rechnung gehabt. "Ich dachte, es handle sich um eine Erpressung." Anders als zunächst angenommen, ging es dem Mörder tatsächlich um Geld. Krüger entwendete 350 Mark aus der Kasse.

Lange Zeit wusste die Polizei nicht, dass die Morde an Horstmann und Kaussel auf das Konto desselben Mannes gingen. Und natürlich auch nicht, dass er noch zwei weitere Mordversuche begangen hatte. Keinerlei Spuren hatte die Polizei im Mordfall Horstmann. Ein harmloser Rentner ohne Freunde und ohne Feinde. Eine Beziehungstat war ausgeschlossen. Im WESER-KURIER hieß es, der Mörder sei „ganz gewiß ein Fremder“. Alles deute auf einen Raubmord hin.

Im Krieg kommen so viele Menschen um, da kommt es auf ein paar mehr oder weniger nicht an.

Der "Fremde" wohnte in einem möblierten Zimmer im Fesenfeld. Offenbar hielt sich Krüger mit kleinen Gaunereien über Wasser, vielleicht auch Drogenhandel. Bei seiner Mutter in der Gartenstadt Vahr scheint er ein- und ausgegangen zu sein – obwohl die Beziehung als zerrüttet galt. Irgendwelche Skrupel plagten ihn anscheinend nicht. M. zufolge erklärte er: "Im Krieg kommen so viele Menschen um, da kommt es auf ein paar mehr oder weniger nicht an."

Pikanterweise musste sich der vorbestrafte Mann regelmäßig bei der Polizei melden, das gehörte zu seinen Auflagen nach der Entlassung aus dem Zuchthaus. Zuletzt war Krüger zwei Tage vor seiner Festnahme im Polizeihaus erschienen. Bereits zu diesem Zeitpunkt konzentrierten sich die Ermittlungen auf ihn. Inzwischen war klar, dass die vier Gewalttaten mit derselben Pistole verübt worden waren. Nun fehlte nur noch die Waffe selbst, die nach einem anonymen Anfangshinweis bei ihm vermutet wurde.

Für eine Verhaftung reichte der Tatverdacht nach Polizeiangabe nicht aus. Man ließ ihn laufen, heftete sich aber an seine Fersen. Erst als alles darauf hindeutete, dass er die Waffe bei sich habe, sollte vor der Haustür der Mutter der Zugriff erfolgen. Die Beamten lauerten ihm in der Undeloher Straße auf. Doch in der Dunkelheit konnte Krüger entwischen, zwei Tage befand er sich auf der Flucht. Immerhin herrschte jetzt Klarheit. Beim Schusswechsel mit der Polizei hatte Krüger seine Pistole verloren, sie konnte eindeutig als Tatwaffe bei den beiden Morden und Mordversuchen identifiziert werden. 

Nun wandte sich die Polizei an die Öffentlichkeit, ein Foto des Gesuchten erschien in der Presse. Gefasst wurde Krüger schließlich einen Tag vor Heiligabend, am 23. Dezember 1971, auf dem Riensberger Friedhof. Abermals half ein Hinweis aus der Bevölkerung – man hatte ihn gesehen, wie er von der H.-H.-Meier-Allee in Richtung Riensberg lief. Von schwer bewaffneten Polizisten ließ sich Krüger widerstandslos festnehmen. Sein Kommentar: „Gegen eine MP kann man nicht anstinken!“ Der WESER-KURIER war bei seiner Vorführung in der Stadthallenwache hautnah dabei, sogar von der Leibesvisitation wurde ein Foto abgedruckt.

Im Mordprozess vor dem Bremer Schwurgericht verweigerte Krüger die Aussage, auf Grundlage von Indizien wurde er im Dezember 1972 zu dreimal lebenslanger Haft verurteilt. Bei der Urteilsbegründung erklärte der Vorsitzende Richter, mehr als die Geldgier habe den Angeklagten „ein absolutes Machtgefühl ergriffen“ – gesteigert dadurch, dass die drei ersten Taten ohne Folgen blieben. Seine mitangeklagte Freundin, mittlerweile Mutter seines Sohnes, erhielt neun Jahre wegen Beihilfe, Werner M. elf Jahre. Im April 1974 brach Krüger sein Schweigen und gestand die Taten.

Zur Sache

Hohe Hürden vor öffentlicher Fahndung 

Als die Polizei sich vor 50 Jahren mit dem Fall Eckhard Krüger beschäftigte, waren DNA-Spuren noch ein Fremdwort. Das damalige Vorgehen der Polizei unterscheidet sich in einigen Punkten gravierend von der heutigen Polizeiarbeit. "Es sind neue Methoden hinzugekommen, die Spurenauswertungen sind natürlich deutlich besser geworden", sagt Polizeisprecher Nils Matthiesen. Nicht nur, weil der genetische Fingerabdruck damals weder bekannt noch auswertbar war.

Auch die Fahndungs- und Ermittlungsmethoden haben sich grundlegend gewandelt. Neue Experten wie operative Fallanalysten – besser bekannt als "Profiler" – leisten wertvolle Dienste. Ein ganz anderes Gewicht hat die Öffentlichkeitsfahndung bekommen. Die sozialen Netzwerke spielen dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Im Fall Krüger ging die Polizei im Dezember 1971 sehr schnell mit einem Foto des Gesuchten an die Öffentlichkeit. Das geschieht auch heute noch, aber die Hürden sind höher. Gehört doch zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht nicht nur der Schutz der Privatsphäre und auf informationelle Selbstbestimmung, sondern auch das Recht am eigenen Bild. Ein sensibler Punkt, denn: "Ein Fahndungsfoto stellt zusätzlich die Verbindung zu einer Straftat her", sagt Matthiesen.

Deshalb geht die Polizei zunächst alle anderen Ermittlungsschritte. Dazu zählt, Opfer und Zeugen zu befragen, Beweismittel zu sichern und auszuwerten. Vor dem Gang an die Öffentlichkeit kommen mit dem polizeilichen Intranet auch digitale Fahndungsmethoden zum Tragen. Exemplarisch war das kürzlich im Fall der Kinder und Jugendlichen zu sehen, die als Tatverdächtige im Fall der in einer Straßenbahn attackierten Trans-Frau gefasst wurden.

Erst wenn alle anderen Methoden ausgeschöpft sind und immer noch ein dringender Tatverdacht besteht, ist der Schritt in die Öffentlichkeit als ultima ratio eine Option der Polizeiarbeit. "Dazu bedarf es jedoch einer Entscheidung des Gerichts, denn die Persönlichkeitsrechte der gesuchten Person wiegen schwer – selbst bei dringendem Tatverdacht", sagt Matthiesen. Aus diesem Grund kann es bisweilen Wochen oder Monate dauern, bis die Bevölkerung zur Mithilfe aufgerufen wird.  

Konkret heißt das: Bevor ein Fahndungsfoto herausgegeben wird, nimmt sich erst einmal die Staatsanwaltschaft des Falls an. Die Polizei übergibt ihre Ermittlungsergebnisse, die Staatsanwaltschaft prüft den Fall eingehend. Erst wenn die Staatsanwaltschaft davon überzeugt ist, dass nur noch die Öffentlichkeit bei der Ergreifung des Verdächtigen helfen kann, stellt sie bei Gericht einen Antrag auf Öffentlichkeitsfahndung. Matthiesen: "Liegt die richterliche Genehmigung vor, darf sich die Polizei an die Bevölkerung wenden."

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