Wenn Dietbert Arnold an seinem Schreibtisch sitzt, beschleicht ihn nicht selten ein mulmiges Gefühl. Beim Blick nach oben durchs Dachfenster erkennt er den Grund: Der Ausleger eines riesigen Baukrans schwebt direkt über ihm und seinem Wohnhaus. Zwei dieser stählernen Riesen stehen auf dem gegenüberliegenden Grundstück an der Lerchenstraße, auf dem die Erweiterung und Modernisierung der gleichnamigen Oberschule vorgenommen wird. Wie seine Ehefrau nimmt Dietbert Arnold die Kräne als massive Bedrohung wahr. Er hat jetzt auf dem Polizeirevier Vegesack Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet.
Verantwortlich dafür macht der 69-Jährige den städtischen Grundstücks- und Gebäudeverwalter Immobilien Bremen. Als direkter Anwohner der Großbaustelle sei man ohnehin zahlreichen Belastungen ausgesetzt und habe auch schon mal die Hilfe des Vegesacker Ortsamtsleiters in Anspruch genommen, sagt der 69-Jährige und fügt an, dass jetzt eine nicht mehr akzeptable Grenze erreicht sei. „Die beiden Großkräne sind aufgestellt worden, ohne uns zu informieren, geschweige denn zu fragen“, empört sich der Aumunder, der als öffentlich bestellter und vereidigter Sachverständiger für Pferdezucht und -haltung tätig ist und täglich an seinem Schreibtisch sitzt. Die rund 60 Meter langen Kranausleger schwenkten immer wieder großflächig über sein Grundstück und erreichten zuweilen auch das Wohnhaus. Arnold: „Bei einem Unfall könnten sie unser Hausdach durchschlagen.“
Die „Lerche“, wie die Bildungsstätte im Vegesacker Ortsteil Hammersbeck bezeichnet wird, ist seit dem Schuljahr 2009/10 eine durchgängige Oberschule der Jahrgänge 5 bis 13 mit eigener gymnasialer Oberstufe. Und sie platzt mit ihren knapp 1000 Schülerinnen und Schülern nicht nur aus allen Nähten, sondern leidet auch unter erheblichen baulichen Mängeln. Deshalb soll sie für rund 40 Millionen Euro erweitert und modernisiert werden. Die Bauarbeiten könnten noch einige Jahre dauern. Der Neubau soll im Sommer 2024 hergestellt, die anschließende Sanierung der vorhandenen Gebäude nach Mitteilung von Holger Franz, Regionalkoordinator bei Immobilien Bremen für den Schul- und Kita-Bau in Bremen-Nord, zwei Jahre später realisiert worden sein. Ohne den Einsatz der beiden Kräne aber sei es überhaupt nicht möglich, das gesamte Projekt in einer absehbaren Zeitspanne zu realisieren. Franz: „Es gibt keine machbare Alternative, um den Wunsch des Anwohners zu erfüllen.“
Hammerschlags- und Leiterrecht
Grundsätzlich gilt in Deutschland für das Überschwenken des Nachbargrundstücks das sogenannte Hammerschlags- und Leiterrecht. Ein altertümlicher Begriff, der ursprünglich besagte, dass zum Beispiel für eine Reparatur am eigenen Haus auch auf dem Nachbargrundstück eine Leiter aufgestellt, und der Hammer geschwungen werden darf. Nach dem Hammerschlags- und Leiterrecht ist heutzutage auch das Überschwenken eines Nachbargrundstücks mit einem Kranausleger statthaft, wenn bestimmte Voraussetzungen eingehalten werden, wie der Bundesgerichtshof 2012 befunden hat. Dazu gehören die rechtzeitige Information des Nachbarn sowie ihm die Termine für den Auf- und Abbau eines Baukranes, seine Einsatzzeiten und den ungefähren Radius anzugeben, in dem sein Grundstück überschwenkt werden soll.
Von einer rechtzeitigen und detaillierten Information über den Einsatz der beiden Baukräne auf dem Schulareal an der Lerchenstraße kann nach Darstellung von Dietbert Arnold allerdings keine Rede sein. Dem widerspricht Holger Franz. Schon im August habe man mit dem Nachbarn vor Ort ausführliche Gespräche geführt.
Am 20. Dezember nun teilte Uwe Asendorf, Projektsteuerer bei Immobilien Bremen, Arnold per E-Mail mit, dass die Kräne aus Platzgründen nicht arretiert, also festgestellt werden könnten, damit die Kranausleger nicht mehr über seinem Grundstück schwebten. Und auch eine andere Positionierung der Kräne sei nicht sinnvoll. Selbstverständlich aber, so Asendorf an die Adresse des Hammersbeckers, „steht es Ihnen frei, den Rechtsweg zu beschreiten.“
Das hat Dietbert Arnold inzwischen nach eigenem Bekunden getan. Da ihm auf der Baustelle noch einmal erklärt worden sei, neue Schulräume seien wichtiger als seine Rechte als Grundstückseigentümer „und sich Immobilien Bremen nicht an mein Verbot hält, mit den Kranauslegern mein Grundstück zu überschwenken“, habe er beim Polizeirevier Vegesack Strafantrag wegen Hausfriedensbruch gestellt. Eine Polizeibeamtin, so Arnold, habe sich danach sofort zur Baustelle in der Lerchenstraße begeben, um sich vor Ort zu informieren.