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Austellungen in Vegesack Im Overbeck-Museum: Ein Spaziergang zwischen den Jahrhunderten

Im Overbeck-Museum sind jetzt zwei neue Ausstellungen eröffnet worden. Darin treffen Gemälde von 1900 auf computergenerierte Kunst und aktuelle Fotos.
04.02.2024, 18:30 Uhr
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Von Marina Köglin

„Die Overbecks – neu sortiert“ so lautet der Titel der aktuellen Ausstellung im Overbeck-Museum. Die Künstlerin Ulrike Brockmann hat Gemälde des Worpsweder Künstlerpaares Fritz und Hermine Overbeck zur Grundlage eigener Werke gemacht. Abbildungen der Originalgemälde aus der Zeit um 1900 bearbeitete sie mithilfe einer Computer-Software, zerlegte sie in ihre Farbwerte und ordnete diese, nach der Häufigkeit ihres Vorkommens sortiert, neu an: Die häufigste Farbe als breiter Streifen oben, die seltenste Farbe als dünner Streifen unten. Die entstandenen Bilder zeigen ausschließlich waagerechte Striche, einem Strichcode nicht unähnlich. Doch schon der zweite Blick macht deutlich: Diese Beschreibung ist viel zu einfach.

Denn die künstliche und zugleich künstlerische Trennung der Farben konfrontiert den Betrachter mit den Grenzen seiner Wahrnehmung. Haben die Streifen wirklich alle verschiedene Farben? Ja, haben sie. Auch wenn es minimal unterschiedliche Nuancen sind. Das Auge kann diese Unterschiede kaum wahrnehmen, aber der Computer kann sie berechnen. Die Bilder sind eine ästhetische Aufforderung, gewohnte Sichtweisen zu verlassen, zu überwinden. So könne die Kunst dabei helfen, die Perspektive zu wechseln und neue Wege zu gehen.

Wahrnehmungsmuster hinterfragen

„Wenn sich unsere Wahrnehmung hier im Museum auf Experimente einlassen kann, dann kann sie das woanders auch“, sagte Museumsleiterin Katja Pourshirazi in ihrer Eröffnungsrede. Ein Bild in Pixel zu zerlegen und nach Farben sortiert wieder zusammenzusetzen, sei keine künstlerische Spielerei. Vielmehr stelle Ulrike Brockmann mit dieser Vorgehensweise die Frage nach den Wahrnehmungsmustern, die unser Wirklichkeitsverständnis prägen. Wie nehmen wir die Welt wahr? Könnte nicht alles auch ganz anders sein? Und „ganz nebenbei“ entdeckt der Betrachter, wie unendlich viele Arten von Blau, Orange und Grün es gibt.

Die in Bremen lebende Künstlerin Ulrike Brockmann arbeitet seit mehreren Jahren an ihrem Kunstzyklus „Sortiertes Sehen“. Eigens für diese Reihe hat ihr Bruder, der Physiker Dirk Brockmann, ein Computerprogramm für sie geschrieben, das ein Bild in seine Farbwerte zerlegen und diese dann sortieren und in Streifen anordnen kann. Doch nicht jedes nach Farben sortierte Bild entspricht den Vorstellungen der Künstlerin. Darum greift sie immer wieder in den computergesteuerten Prozess ein. Am Ende wird die entstandene Vektorgrafik per Pigmentdruck auf Papier gedruckt und auf Alu-Dibond aufgezogen.

Auch eine politische Dimension

„Wie sanft die Farben sind“, sagte eine Besucherin. „Erst war ich ja skeptisch, aber jetzt gefallen mir die Bilder so gut, ich könnte die ganze Zeit hier stehen bleiben und schauen.“ Worte, die Ulrike Brockmann natürlich freuen. „Ich möchte ja, dass Menschen mit meinen Bildern leben wollen.“ Vorbehalte könne sie durchaus nachvollziehen. „Wenn man etwas Fremdem begegnet, was man zunächst nicht richtig begreifen kann, das muss man ja auch erst einmal aushalten können, bevor man lernt, es zu verstehen, und sich damit anfreunden kann. In der Hinsicht haben meine Bilder vielleicht sogar eine politische Dimension.“

Die Ausstellung ist auch eine Premiere: Bisher hat Ulrike Brockmann noch nie offengelegt, welches konkrete Bild oder Foto ihren Arbeiten jeweils zugrunde lag. In der Ausstellung im Overbeck-Museum werden jetzt erstmals ihre Arbeiten direkt neben den zugrunde liegenden Vorbildern gezeigt, sodass die Betrachter das Vorher und Nachher vergleichen können. Insgesamt 20 Bilder, zehn von Fritz Overbeck, zehn von Hermine Overbeck-Rohte, dienten als Vorlagen. Die Besucher sehen also an der jeweiligen Wand zweimal das gleiche Bild nebeneinander – aber völlig anders. 125 Jahre alte Ölgemälde neben computergenerierter Präzision. „Eine geradezu unwahrscheinliche Begegnung. Niemals hätten sich Fritz und Hermine Overbeck so etwas vorstellen können“, so Katja Pourshirazi. „Aber ich bin mir sicher, es hätte ihnen gefallen.“

Blendwerk ’01 trifft Overbeck

Eine weitere besondere Begegnung ist ein Stockwerk höher zu sehen: „Blendwerk ’01 trifft Overbeck“. Klaus Baete, Jürgen Beuren, Hans Bittner, Michael Jacoby und Klaus-Peter Kehl sind die Fotografen der Gruppe Blendwerk '01. Seit 2012 zeigt die Fotogruppe ihre Jahresausstellung im Kito bzw. Overbeck-Museum. Es soll ihre letzte Ausstellung sein; das Quintett geht in den Ruhestand. Bei der Abschluss-Ausstellung sind – quasi als Dankeschön an das Museum – die Overbecks das Thema. Museumsleiterin Katja Pourshirazi wählte vier Overbeck-Gemälde aus, welche die fotografische Kreativität der Blendwerker in Gang setzen sollten. In der Ausstellung sind die Gemälde und die durch sie inspirierten Fotos im direkten Dialog zu sehen.

Gemälde als Inspiration

Vorlagen waren die „Trocknende Wäsche“ von Hermine Overbeck-Rohte oder die „Gewitterwolken“ von Fritz Overbeck, die die Blendwerker mit eigenen imposanten Wolkenbildern beantworten. Auch die „Fähre Frieda“ von Fritz Overbeck diente als Inspirationsquelle. Hans Bittner hat in Indien ein kleines Fährschiff entdeckt und fotografiert. „Wer hätte gedacht, dass die Frieda eine kleine Schwester in Bombay hat? Die Ähnlichkeit ist frappierend“, stellte Katja Pourshirazi fest. Auf alle Vorlagen haben die Blendwerker überraschende „Antworten“ gefunden. Ideenreiche Bildkompositionen, die sich manchmal erst nach längerem Hinschauen offenbaren – oder den Betrachter direkt zum Schmunzeln bringen. So kontert Klaus Baete das Bild „Bücklinge“ von Hermine Overbeck-Rohte mit dem Foto eines Pizzastückes, das eine ganz verblüffende Farb-Ähnlichkeit mit der Vorlage aufweist.

Der Foto-Gemälde-Dialog ist in all seinen verschiedenen Aspekten mehr als gelungen; er lädt zum genauen Hinschauen, zum Nachdenken, Staunen und Diskutieren ein. Oder wie Katja Pourshirazi abschließend sagte: „Kunst, die auf Kunst antwortet, zeigt uns die Kraft der menschlichen Fantasie. Es gibt viel mehr als das, was wir im Alltag wahrnehmen. Die Fotografien der Gruppe Blendwerk’01 erinnern uns daran. Wir dürfen, während wir die Bilder betrachten, in der Fülle der Welt spazieren gehen.“

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Info

Die Blendwerker laden während ihrer Jahresausstellung zu persönlichen Fotografengesprächen ein. An den Sonntagen 18. und 25. Februar, 10., 17. und 24. März sowie am 7. April werden wechselnde Mitglieder der Gruppe jeweils ab 15 Uhr interessierten Besuchern im Overbeck-Museum, Alte Hafenstraße 30, Antworten auf Fragen zu ihren Fotografien geben.

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