Herr Joachim, wenn es um die Politik der Europäischen Union geht, heißt es häufig: ,Brüssel ist so weit weg.' Und dieser Gedanke wirkt sich dann auch auf das Interesse an dem Thema aus. Warum sind der Bremer Norden und die belgische Hauptstadt gar nicht so weit voneinander entfernt, wie viele glauben?
Olaf Joachim: Weil die Europapolitik und das, was Europa schafft und vielleicht auch nicht schafft, unmittelbare Konsequenzen für alle Bürgerinnen und Bürger der EU hat. Und damit auch für die in Bremen und Bremen-Nord.
Inwieweit kann denn der Bremer Norden von Europa profitieren?
Als Erstes fallen sicherlich die vielen Projekte auf, die Europa mitfinanziert hat. Man muss ja nur einmal auf die ganzen Baustellenschilder gucken, dann fällt schnell auf, wo überall Geld aus Brüssel drinsteckt. Darüber hinaus profitiert Bremen – und damit auch Bremen-Nord – natürlich auch von dem Europäischen Sozialfonds. Und auch auf die Wirtschaft wirken sich die Entscheidungen der EU positiv aus. Das Problem, oder wenn man so will, das Schöne daran ist: Europa ist für viele selbstverständlich geworden. Die Leute regen sich trefflich über vermeintliche Bananenverordnungen auf. Und das auch nicht immer zu Unrecht. Aber das, was in den vergangenen Jahrzehnten gut lief, ist für uns selbstverständlich und wird einfach so mitgenommen. Beispielsweise die Reisefreiheit. Oder die für Unternehmen so wichtige Freiheit der Güter, also der europäische Markt ohne Zölle. Und ja: Es gibt noch viel zu tun. Auch wenn es nur eine Kleinigkeit ist: Ich nutze für die diversen kleinen elektronischen Helfer wie Handy oder Tablet heute drei verschiedene Steckersysteme. So etwas nervt die Menschen, aber das lässt sich nur auf europäischer Ebene regeln.
Können Sie konkrete Beispiele nennen, wo Geld aus Brüssel nach Bremen-Nord geflossen ist?
Als vor einigen Jahren das Gelände der Bremer Woll-Kämmerei erschlossen wurde, haben wir in erheblichem Maße von Geld aus Brüssel profitiert. Das Gleiche gilt für einen Teil der Innovations- und Forschungsprojekte, unter anderem an der damaligen Jacobs University. Während der Corona-Pandemie hat die Europäische Union einen Fonds für in Not geratene Branchen aufgelegt, aus dem beispielsweise die Digitalisierung von Veranstaltungsstätten in Bremen-Nord finanziert wurde. Davon hat dann das Kulturbüro mit seinen Häusern in Vegesack profitiert. Oder denken wir an die Stahlwerke, auch wenn die auf der Grenze zu Bremen-Nord liegen. Dass der Bund die Dekarbonisierung mit vielen hundert Millionen Euro unterstützt, wäre ohne den Bund, aber auch ohne die Genehmigung der EU so nicht möglich gewesen.

Seit drei Jahren wird in Vegesack darüber gesprochen, was in der Lesummündung auf das Schulschiff folgen könnte. Ebenfalls im Gespräch ist ein Gastronomieschiff für den Museumshafen. Welche Möglichkeiten gibt es, um solche Projekte von der EU fördern zu lassen?
Eine dauerhafte finanzielle Unterstützung ist immer schwierig – völlig unabhängig davon, ob das Geld von der EU oder vom Bund kommt. Das ist bei Investitionen immer einfacher. Am Ende kommt es darauf an, wie die Länder die EU-Mittel in ihre Förderprogramme integrieren. Da ist Bremen richtig gut, stark und konsequent. Doch auch Gutes lässt sich bekanntlich noch verbessern. Daher wollen wir uns künftig von einer Stelle aus zentral um sämtliche Förderungen bemühen – sei es um Förderungen der EU oder des Bundes. Sobald der Haushalt beschlossen ist, legen wir los. Und vielleicht findet man so ja auch Ansätze, wo speziell Bremen-Nord profitieren kann.
Welche Bedeutung hat das Erasmus-Plus-Programm für den Bremer Norden, das insbesondere Schülern und Studenten Aufenthalte in ganz Europa ermöglicht?
Eine sehr große Bedeutung, keine Frage. Deshalb haben wir uns auch fest vorgenommen, das Programm noch bekannter zu machen – trotz der bürokratischen Hürden, die es da unbestritten noch gibt. Das Erasmus-Programm ist den meisten Menschen mittlerweile ein Begriff. Für Studierende ist es ja fast schon eine Selbstverständlichkeit, für ein halbes Jahr ins Ausland zu gehen. Die etwas Vorsichtigen gehen nach Groningen, die Mutigen weiter weg. Das ist ja fast schon Standard. Aber außerhalb der Unis und Hochschulen gibt es noch Potenzial. In Bremen-Nord etwa nutzen vier Schulen das Programm, darunter die Europaschule Bördestraße. Gleiches gilt für den kommunalen Klinikverbund Gesundheit Nord. Ich würde mir wünschen, dass sich noch viel mehr Schulen und Betriebe beteiligen. Das würde Ausbildungen deutlich attraktiver machen, was in Zeiten von Fachkräftemangel nicht zu unterschätzen ist. Zudem ist es eine Werbung für den europäischen Gedanken. Und das auch bei denjenigen, die das nicht automatisch auf dem Schirm haben.
Als Bevollmächtigter für Europa sind Sie regelmäßig in Brüssel. Was ist dort genau Ihre Aufgabe?
Wir haben in Brüssel eine kleine, aber feine Vertretung mit mehreren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die pflegen den ständigen Kontakt zur EU und sorgen für einen reibungslosen Informationsfluss. Und zwar in beide Richtungen. In Bremen erfahren wir so, womit sich Brüssel beschäftigt. Und Brüssel erfährt, was in Bremen gut läuft und sich als Best-Practice-Beispiel eignen könnte. Und das wird dann durch meine Person unterstützt, insbesondere bei Treffen mit anderen Bundesländern, der Kommission oder den Abgeordneten.
Im Gegensatz zu den meisten Ihrer Kolleginnen und Kollegen aus den anderen Bundesländern repräsentieren Sie ,nur' zwei Städte in Brüssel. Ist es für Sie dadurch einfacher, auf die Belange einzelner Stadtbezirke wie beispielsweise den Bremer Norden einzugehen?
Der Vorteil ist, dass wir im Zwei-Städte-Staat an vielen Themen und deren Umsetzung in der Praxis viel näher dran sind. Das hilft bei der Suche nach Lösungen. Das gilt im Übrigen auch für meine Funktion als Bevollmächtigter in Berlin.
Welche Bedeutung hat das Bundesland Bremen in einer Union mit 27 Mitgliedsstaaten?
Formal die gleiche Bedeutung wie Bayern und Nordrhein-Westfalen. Das gilt einerseits für die Lobbyarbeit, andererseits aber auch für die Gesetzgebung und die Umsetzung der Gesetze. Da gibt es Gesetze, die die Mitwirkung der Bundesländer über den Bundesrat garantieren. Im Bundesrat hat Bremen zwar nur drei von 69 Stimmen, aber wir können wie alle anderen Länder zu den Dokumenten der EU Stellung nehmen und auf unsere Sicht aufmerksam machen. Was wir im Länderkreis übrigens auch machen. Insofern hat unser Land schon eine eigenständige Rolle dabei.
Warum ist es wichtig, am 9. Juni zur Europawahl zu gehen?
Das ist schon aufgrund der allgemeinen politischen Entwicklung wichtig. Denn es gibt einen verschärften öffentlichen Diskurs. Gerade der extrem rechte Rand hat sich auf die EU eingeschossen und ich gehe davon aus, dass das nur der Vorläufer für deutsche Wahlen ist. Das folgt dem gleichen Muster wie in anderen Nationalstaaten der EU. Wer das nicht will, der muss zur Wahl gehen und sein Kreuz bei einer der demokratischen Parteien machen.