„Bei mir bist du schön.“ Unter diesem Motto stand ein Abend im Gustav-Heinemann-Bürgerhaus in Gedenken an den Bürgerrechtler und Ausschwitz-Überlebenden Ewald Hanstein (1924 bis 2009). Eingeladen hatte dazu die Internationale Friedensschule Bremen und der Arbeitskreis „Erinnern an März 1943“.
„Wir ehren heute Ewald Hanstein, einen herausragenden Bürger Bremen-Nords, der die Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma entscheidend geprägt hat“, sagte Ralf Lorenzen vom Arbeitskreis „Erinnern an März 1943“. In den letzten Jahrzehnten habe der in Bremen-Aumund gelebt und sich unter anderem in der Internationalen Friedensschule Bremen engagiert, so Lorenzen.
Der Abend begann musikalisch mit Fagott, Geige, Gitarre, Bass und Keyboard mit der Dardo Balke Band. Natürlich erklangen Melodien wie „Bei mir bist du schön“ oder „Bei mir bistu shein“, 1932 für ein jiddisches Musical geschrieben.
Als die Bürgerrechtsbewegung begann
In einer Talkrunde unter der Moderation von Lorenzen ging es dann um die Persönlichkeit von Hanstein und die Frühzeit der Bürgerrechtsbewegung. Daran teil nahmen die Vorstände im Bremer Sinti-Verein, Hermann Ernst und Wolf Leschmann, sowie Hansteins Sohn Romano. „Das war ein Mann, zu dem man hingehen konnte, wenn man Probleme hatte. Der hatte für jeden ein Ohr“, beschrieb Herrmann Ernst den Bürgerechtler Hanstein. Er sei für ihn wie „ein Onkel“ gewesen, harmonisch, liebevoll, herzlich. Wolf Leschmann dagegen fasste den Bogen weiter, sprach das Thema Entschädigungen und Wiedergutmachung an.
Während die Band Klassiker wie „'S Wonderful“ von George Gershwin und Django-Reinhardt-Instrumentals spielte, wurden im Verlauf des abends Bilder aus dem Leben Hansteins an die Leinwand geworfen. Sie zeigten unter anderem Hanstein mit Gitarre in einem Trio bei einem Auftritt in den 1990er Jahren. Ebenso zeigten die Bilder Hanstein mit einem polnischen Überlebenden in Nordhausen oder mit dem Bundespräsidenten Richard von Weizäcker 1993.
Informant der jungen Generation
In einer zweiten Talkrunde kamen Sozialpädagoge Detlef Marzi, langjähriger Mitarbeiter von Hanstein von 1989 bis 1987, und Magdalena Paczkowska, auch ehemalige Mitarbeiterin von Hanstein und Roma-Fachfrau in der Familienhilfe, zu Wort. Wiedergutmachung, Anerkennung als Minderheit, zu Gedenkstätten zu fahren, hätten seine Jahre bei Hanstein bestimmt, so Marzi. Hanstein sei wichtig gewesen. Insbesondere, um junge Generationen darüber zu informieren, was mit Sinti und Roma passierte und passiert, sagte der Sozialpädagoge. „Hanstein war eine faszinierende Person mit pädagogischem Geschick. Und die Musik war ein wichtiges Element zu leben und ein Medium Gefühle herüberzubringen.“
Das Ziel von Hanstein sei es gewesen, etwas über Jugend und Bildung zu erreichen, so Paczkowska. „Er hat mit Menschen auf Augenhöhe gesprochen.“ Romeo Franz, Europa-Abgeordnerter Bündnis 90/Die Grünen, sprach sich im Interview mit Lorenzen für das „Selbstbestimmungsrecht der Sinti und Roma" aus. Als „unfassbar“ bezeichnete er die Situation der Menschen mit Roma-Hintergrund in der Ukraine.
Nach Hanstein soll eine Straße in Aumund abgehend von der Beckstraße benannt werden. Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt sagte im Rahmen der Enthüllung des Straßenschildes Ewald-Hanstein-Straße: „Das ist heute für mich ein besonderer Abend.“ Hanstein sei eine Persönlichkeit gewesen, „die durch ihr einfaches Wesen einen mitgenommen und immer akzeptiert hat“. Romano Hanstein bedankte sich ausdrücklich dafür, dass nun eine Straße in Nordbremen den Namen seines Vaters trägt.
Lebenslange Ängste
Hanstein selbst kam posthum ebenfalls zu Wort – ein Film zeigte ihn, als er ein Interview im KZ Mittelbau Dora nördlich von Nordhausen in Thüringen gab. Hanstein berichtete, wie er 1944 in Stollen Löcher für Sprengungen bohren musste. Stollen, die zu einer Produktionsstätte für Rüstung umgebaut werden sollten. „Wir durften bei Sprengungen den Stollen nicht verlassen“, erzählte Hanstein. Dabei seien Menschen ums Leben gekommen. Dass zwölf Stunden gearbeitet werden musste und dass die Verpflegung nicht gut gewesen sei, ließ er wissen. Hanstein verwies auf Todesmärsche, bei denen Menschen, die nicht mehr laufen konnten, von der SS erschossen worden seien. Befreiung hätten erst amerikanische Panzer gebracht. Doch Hanstein gestand während des Interviews ebenfalls: „Die Angst wird man nicht los, da träumt man nachts von.“
Ein Tag später in der Schule
„Das war sehr eindrucksvoll, weil es sehr anekdotisch war“, stellte Jonas Zacharias, Schüler an der Oberschule an der Egge, fest. Sonst höre man nur Zahlen. „Das aber war aus der persönlichen Sicht.“ So reagierte er auf eine Lesung und den Bekenntnissen von Romano Hanstein – den Sohn des Sinto Ewald Hanstein (1924 bis 2009).
Auf der Aula-Bühne der Oberschule nahmen Romano Hanstein, Ralf Lorenzen und Romeo Franz am Freitagvormittag Platz. Ihr Publikum: Schülerinnen und Schüler von den achten bis zu den 13. Klassen. Ihr Thema: Situation und Diskriminierung der Sinti und Roma zur Zeit des Nationalsozialismus bis heute am Beispiel des Ewald Hanstein. Geschichtslehrerin Monika Eichmann begrüßte sie, dann gab es eine Lesung. Das Buch: "Meine hundert Leben – Erinnerungen eines deutschen Sinto" von Ewald Hanstein. Ralf Lorenzen und Romano Hanstein hatten die Erinnerungen von 1936 bis 1945 ausgewählt.
Sinti und Roma wurden als Asoziale bezeichnet, in Konzentrationslager deportiert. Ewald Hanstein sah seinen Vater nach dessen Abtransport nicht mehr wieder. Ein Leben geprägt von Unsicherheit und Denunziation. Mit 14 Jahren übernahm Ewald Hanstein Verantwortung, half der Mutter, musste Geschwister satt bekommen. Bombenangriffe und Leben im Untergrund gehörten dazu.
Der 47-jährige Romano Hanstein gab die Erfahrungen mit seinem Vater wieder. Der habe nie ein Geheimnis aus seinem Schicksal gemacht. „Er gehörte zu den wenigen, die den Holocaust überlebten und darüber sprechen konnten.“ Romano bestätigte, dass Eltern ein erlebtes Trauma auf Kinder übertragen. Deshalb empfinde er Angst bei Behörden, Polizisten und Menschen in Uniform.
Das Interesse des Sohnes geweckt
Doch es sei auch sein Interesse an der Geschichte der Juden und anderer Verfolgter geweckt worden. „Mit 17 bin ich nach Auschwitz gefahren und durch das KZ gegangen mit Menschen, die dort untergebracht waren.“ Geschichtslehrerin Eichmann stellte die Frage, wie er seine persönliche Situation erlebe. „Ich bin in Bassum eingeschult worden. Dann zogen wir nach Rönnebeck. Ich habe aber nie Probleme in der Schule gehabt.“ Das liege einfach an Bremen. Nur als er älter geworden sei und feiern wollte, sei ihm der Zutritt zu gewissen Lokalen verwehrt worden. Die negative Bedeutung des Wortes Zigeuner bestätigte er ebenfalls: „Ich bin Sinto, kein Zigeuner.“
Sinto Romeo Franz ist Europa-Abgeordneter von Bündnis 90/Die Grünen. Er ging auf soziale Brennpunkte ein, auf Stigmatisierung und Diskriminierung. „Hinterfragt eure Vorurteile“, gab er den Schülerinnen und Schülern mit auf den Weg. Offen, aufgeklärt und kosmopolitisch zu sein, sei das Ziel. Franz schlug vor, an der Schule eine Arbeitsgemeinschaft gegen Diskriminierung zu gründen. Dabei wolle er behilflich sein. Außerdem sprach er eine Einladung nach Brüssel aus.