Christian Wagner: Es hat sich nicht viel verändert. Wir setzen vielleicht innerhalb der Familie verstärkt die Hygieneempfehlungen um, die wir aber eigentlich jedes Jahr mit den Kindern so gut wie möglich umsetzen, wenn Grippe auf dem Vormarsch ist. Wir achten als Familie vielleicht jetzt noch ein wenig mehr darauf. Und ich werde im Moment auch nicht dorthin gehen, wo große Menschenmassen sind. Tatsächlich habe ich meine Teilnahme an einer größeren Veranstaltung am Wochenende abgesagt.
In Berlin stehen Menschen an der Charité Schlange für einen Corona-Test. Wie viele Menschen wollten sich in Ihrer Praxis in dieser Woche testen lassen?Viele Patienten möchten meinen Rat zu dem Corona-Virus. Rein theoretisch können wir jetzt auch testen. Wir haben aber keine der entsprechenden Schutzmaßnahmen zum Selbstschutz bei klaren Verdachtsfällen geliefert bekommen. Wir mussten am Wochenende ein paar rigorose Maßnahmen in unserer Praxis umsetzen. Wir haben Plakate gedruckt und teilen den Patienten nun direkt am Türaushang mit, dass wir hierzu eine telefonische Beratung machen. Und dass Verdachtsfälle von uns außerhalb der Praxisräume untersucht werden.
Sorgen würde uns machen, wenn klare Verdachtsfälle auf Corona-Infektion mit Symptomen einer Erkrankung der oberen Atemwege einfach so die Räume betreten und ins Wartezimmer gehen und andere anstecken. Insbesondere unsere chronisch kranken Patienten anstecken oder den Virus an alte und kranke Angehörige weitergeben. Allen Praxen der niedergelassenen Kinderärzte in Bremen-Nord ist klar, dass wir uns darauf konzentrieren müssen, Infektionsketten zu unterbrechen. Wenn ein Verdacht besteht, sollen die Eltern Kontakt zum Gesundheitsamt aufnehmen und sich an die veröffentlichen Empfehlungen insbesondere des Robert-Koch-Institutes halten. Und vor allem Ruhe bewahren.
Es scheint im Moment von Tag besser zu werden. Aber wir sitzen nicht den ganzen Tag in der Praxis und telefonieren nur. Die Krankheitsfälle, die wir sehen, zeigen uns, dass wir zurzeit eine Grippewelle haben. Sehr viele Kinder sind auch mit Scharlach unterwegs. Oder anderen, für die Jahreszeit typischen Infekten.
Tragen Sie bei den Untersuchungen eine Schutzkleidung?Wenn Sie eine Schutzausrüstung komplett mit Anzug meinen, dann nein. Wir tun als Team unser Bestes, Hygienerichtlinien bei dem vorhandenen Mangel an Schutzausrüstung umzusetzen. Wir gehören zu den Praxen, die einen Mangel an all den momentan nicht mehr lieferbaren Hygienematerialien haben.

Der Nordbremer Kinderarzt Christian Wagner hofft, dass die Patienten trotz Corona-Virus ruhig und besonnen bleiben.
Vor allem Desinfektionsmittel. Wir versuchen derzeit, an alle verfügbaren, noch so kleine Mengen zu kommen. Das Hände-Desinfektionsmittel geht in der Praxis in rauen Mengen weg.
Wie schützen Sie sich dann vor einer möglichen Ansteckung?Ich versuche, bei der Unterhaltung einen Mindest-Abstand zu halten und mir bei einer Untersuchung nicht ins Gesicht niesen zu lassen.
Warum tragen Sie keinen Mundschutz?Ich habe einen Mundschutz zwar griffbereit liegen, trage ihn aber nur in den nötigen Fällen. Wie unser ganzes Team. Das ist aber auch nur ein OP-Mundschutz, der mich nur minimal vor Tröpfchen-Fluginfektionen schützt.
Wie panisch reagieren Eltern auf eine mögliche Ansteckung?Ich merke schon, dass immer mehr Eltern sich Sorgen machen. Aber im Arztgespräch kann man sie noch gut beruhigen. Nach den bisherigen weltweiten Erfahrungen verursacht das Virus bei Kindern- und Jugendlichen nur sehr geringe Erkältungssymptome ohne erhöhte Gefahren für Komplikationen.
Weil für die Durchführung des Abstriches, der nur bei definierten Verdachtsfällen durchgeführt werden soll, die erforderlichen Selbstschutzmaßnahmen fehlen. Ein einfacher Mundschutz schützt nicht vor einer Ansteckung. Man bräuchte einen Infektionsschutzkittel – oder Anzug, Atemschutzmasken mit eingebautem Filter (mindestens FFP-2, besser FFP-3-Mundschutz). Je höher die Klasse, desto wirksamer der Schutz. In der Praxis verfügen wir derzeit nur über einen Satz FFP-3-Mundschutz für das Team. Für einen echten Corona-Verdachtsfall würden wir uns im Moment unterschützt fühlen. Zumal wir auch kaum noch Desinfektionsmittel haben.
Wie lange kommen Sie mit dem vorhandenen Mittel noch hin?Falls wir keinen Risikofall haben, als Schutz für uns selbst, ist es noch ein paar Tage zu handhaben. Ansonsten müssen wir über Mehrfachverwendung von Mundschutz reden, was nicht den offiziellen Hygieneempfehlungen entspricht. Grundsätzlich ist für uns in der Praxis der Selbstschutz ein großes Problem. Wir sollten als Kinderärzte in der Grundversorgung in Bremen-Nord nicht ausfallen oder 14 Tage in Quarantäne gehen. Unser Team will unseren Patienten vollständig zur Verfügung stehen.
Wann erwarten Sie Nachschub?Wir haben selbst schon im Internet geschaut. Aber die Apotheken stehen uns zur Seite. Ich habe gestern einen Anruf bekommen, dass sie uns eventuell ein wenig Desinfektionsmittel besorgen könnten. Wir stehen sozusagen auf einer Warteliste mit anderen Praxen und es wird geschaut, wer es am nötigsten braucht.
Täglich werden weitere Infizierte gemeldet. Womit rechnen Sie?Das kann man schlecht sagen. Am Verlauf in China kann man abschätzen, dass uns diese Situation wohl noch Wochen begleiten wird. Ich hoffe, dass die Patienten ruhig und besonnen und zunächst zu Hause bleiben, wenn sie sich krank fühlen. Bei der telefonischen Beratung klären wir dann ab, was weiter zu tun ist. Wir sorgen dafür, dass jeder behandelt wird – aber schön geordnet, nacheinander, ohne lange Wartezeiten im überfüllten Wartezimmer. Ansonsten ist es so, dass wir Arztpraxen unheimlich tagesaktuell arbeiten. Jeden Tag kommt etwas Neues, auf das wir reagieren müssen.
Bis vergangenen Freitag war es so, dass nur das Gesundheitsamt Abstriche machen sollte und nur im Notfall Abstriche in den Praxen erfolgen sollten. Jetzt wird eine Corona-Zentralstelle in Bremen eingerichtet. Die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt arbeiten auch an der Belastungsgrenze in dieser Situation. Wir niedergelassenen Ärzte sind bis jetzt für Beratung und die medizinische Abklärung des Gesundheitszustandes der Patienten zuständig. Wir stellen telefonisch fest, ob eine ärztliche Untersuchung aufgrund der Symptome notwendig ist. Nochmals die Bitte an alle Patienten, vorher immer in den Praxen anzurufen, auch wenn man mal länger in einer Warteschleife hängt.
Das Interview führte Patricia Brandt.
Christian Wagner (49) ist Kinderarzt in Vegesack und Obmann des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte Bremen-Nord. Er lebt mit Frau und drei Kindern im Bremer Norden.