Kourosh Hamlehbar hat 45 Jahre im Iran gelebt, jetzt ist seine alte Heimat für ihn unerreichbar – und seine neue der Bremer Norden. Dort wohnt er, dort hilft er: Hamlehbar macht Sport mit Senioren in Schönebeck, mit Jugendlichen in Grohn und mit einer Drittklässlerin aus Blumenthal. Alles ehrenamtlich. Warum er nach Deutschland geflüchtet ist, welchen Stellenwert für ihn Integration hat und was ihn antreibt, für andere da zu sein. Ein Porträt.
Sie sitzen zu zweit am Tisch: Hamlehbar links, Monika Hoffmann rechts. Die Blumenthalerin war mal Sonderpädagogin mit Schwerpunkt Logopädie, inzwischen ist sie Tanztherapeutin und, wenn man so will, Hamlehbars Mentorin: Sie geht mit ihm Briefe von Behörden durch, unterstützt ihn beim Kontakteknüpfen und übt mit ihm Deutsch. Für Hoffmann ist das ganz normales Engagement, für Hamlehbar ein Glücksfall. Ein Pastor hat ihm von ihr erzählt. Anfangs trafen sie sich mehrmals die Woche, jetzt kommen sie noch ein- bis zweimal im Monat zusammen.
Dass sie sich mittlerweile weniger sehen, hat nicht zuletzt mit seinem eigenem Engagement zu tun. Man könnte sagen, dass er bei anderen macht, was Hoffmann bei ihm gemacht hat: einfach helfen. Seit Monaten betreut der Iraner drei Bewohner einer Pflegeeinrichtung und Jugendliche im Quartier. Mit den einen macht er Übungen, damit sie gelenkig bleiben, mit den anderen spielt er Fußball, damit sie etwas zu tun haben. Neuerdings geht er auch schwimmen. Immer montags von 11.30 bis 13 Uhr. Das ist die Zeit, die er mit Mia Sophie Biskup verbringt.
Ohne ihn könnte die Blumenthaler Grundschülerin nicht mit den anderen aus der Klasse im Becken sein. Ärzte haben bei dem Mädchen krampfartige Anfälle ähnlich wie bei Epileptikern festgestellt – und die Bildungsbehörde, dass sie niemanden vermitteln kann, damit Mia Sophie das Schwimmen lernen kann. Bis sich Hamlehbar beim Ressort meldete. Er hat, was eine Begleitperson für den Unterricht im Wasser braucht: das Abzeichen fürs Rettungsschwimmen. Der Iraner hatte kurz zuvor die Prüfung absolviert. Im Grunde zum zweiten Mal.
Hamlehbar, 48, Brille, schwarzes Haar, war Sportlehrer in einer Stadt im Südosten des Landes. Auf seinem Stundenplan standen Basketball, Tischtennis, Fußball und Schwimmen. Auch an seiner Schule mussten Lehrer wissen, wie Erste Hilfe funktioniert und was sie machen müssen, wenn jemand im Becken untergeht. Er schaffte in Deutschland die Rettungsausbildung in der Hälfte der Zeit. Eigentlich sollte er Mia Sophie zweimal beim Unterricht begleiten. Mittlerweile hat die Behörde erklärt, sich darüber zu freuen, wenn er sie bis zum Ende des Schuljahres betreut.
Und wenn er noch anderen Kindern dabei helfen könnte, das Schwimmen zu lernen. Hamlehbar würde das machen, hat aber noch keine Rückmeldung vom Ressort bekommen. Dafür bekam er jetzt eine andere. Der Leiter der Senioreneinrichtung hat ihm angeboten, aus seinem ehrenamtlichen Einsatz bei den Senioren einen bezahlten zu machen. Wenn er noch mehr Deutschunterricht genommen hat. Wenn er seine physiotherapeutische Ausbildung, die zu seinem Sportstudium gehörte, in Deutschland erweitert. Und wenn sein Asylantrag durch ist.
Er sagt, dass er den Iran verlassen musste, weil er die religiösen Ansichten der Regierung nicht geteilt hat. Wäre er geblieben, meint er, hätte man ihn eingesperrt. Hamlehbar kam 2019 nach Deutschland. Seine Frau und seine Tochter sind im Iran geblieben. Er hofft, dass sie irgendwann nachkommen können. Der Iraner weiß, dass das schwierig werden könnte und viele Deutsche finden, dass sich Flüchtlinge nicht integrieren wollen. Hamlehbar findet das nicht. Für ihn ist das Eingliedern in eine Gesellschaft elementar. Vor einem Monat hat er sich taufen lassen.