Mia Sophie Biskup kann schwimmen, nur noch nicht so gut, wie sie es eigentlich möchte. Darum hatte sich die Achtjährige schon gefreut, als es jetzt hieß, dass alle aus der Klasse zum Unterricht ins Vegesacker Freizeitbad fahren – um kurz darauf zu erfahren, dass es eine Ausnahme gibt: sie. Ärzte haben bei dem Mädchen aus Blumenthal krampfartige Anfälle diagnostiziert, die ähnlich ablaufen wie bei Epileptikern. Mit der Folge, dass sie fürs Schulschwimmen jemanden braucht, der auf sie aufpasst. Nur gibt es diese Begleitperson nicht, obwohl ihre Mutter geglaubt hatte, alles dafür getan zu haben, dass es sie gibt.
Isabelle Biskup wusste, dass sie frühzeitig für ihre Tochter einen Antrag auf eine Hilfskraft stellen muss. Der behandelnde Mediziner hatte es ihr gesagt. Was sie nicht wusste, war dagegen, wie schwer es ist, eine Hilfskraft zu finden. Die Mutter sagt, dass man ihr versichert hatte, alles werde schon gut gehen, als sie die Unterlagen inklusive Attest abgab. Im vergangenen Sommer war das. Sie dachte, dass die Bildungsbehörde bis Februar dieses Jahres, wenn der Schwimmunterricht beginnt, bestimmt eine Assistenz parat hat. Seit Ende Januar weiß sie, dass sie falsch gedacht hat – und die neue Badetasche und den neuen Badeanzug, die sie für Mia Sophie gekauft hat, doch nicht unbedingt hätte kaufen brauchen.
Für Isabelle Biskup ist es verständlich, dass Behörde und Bädergesellschaft beim Unterricht im Wasser auf Nummer sicher gehen wollen. Doch warum man ihr erst jetzt, wenige Tage vor der ersten Fahrt der Klasse ins Freizeitbad, mitgeteilt hat, dass ihre Tochter in der Schule bleiben muss, während die anderen Kinder das Schwimmen üben, kann sie nicht verstehen. Sie sagt, dass Mia Sophie in der Parallelklasse den Stoff durchnehmen musste, den sie eine Woche vorher in der eigenen durchgenommen hatte. Und dass die Zeit von Sommer bis Februar gereicht hätte, selbst die Lizenz zu erwerben, die ihr fehlt, um ihre Tochter beim Schulschwimmen begleiten zu können: das Abzeichen fürs Rettungsschwimmen.
Biskup war nach eigenem Bekunden mal Leistungsschwimmerin. Sie half dabei, Jugendliche zu trainieren und bei Wettkämpfen zu bewerten. Darum – und weil sie die Kritik von Vereinsfunktionären teilt, dass immer weniger Kinder richtig schwimmen können – hat ihre Tochter die Seepferdchen-Prüfungen absolviert, noch bevor sie eingeschult wurde. Mia Sophie war damals sechs. Und hatte kurz danach ihren zweiten Krampfanfall. Den ersten hatte sie mit fünf. Seither ist sie in neurologischer Behandlung. Laut Biskup kann niemand sagen, was genau die Anfälle auslöst und wann ihre Tochter das nächste Mal die Kontrolle über ihren Körper verliert. Oder ob überhaupt. Einen dritten Anfall gab es bisher nicht.
Sophie Biskup ist kein Einzelfall. Immer wieder kommt es vor, dass Schüler, die eine Begleitperson brauchen, nicht ins Wasser dürfen, weil keine Begleitperson bereitsteht. Auch bei Felix Scheuerl war das anfangs so. Sein Fall beschäftigte vor Jahren nicht nur Behörde und Bädergesellschaft, sondern auch den Landesbehindertenbeauftragten, der neue Regeln für den Schwimmunterricht forderte. Das Ressort kündigte damals an, schneller als bisher auf Kinder reagieren zu wollen, die eine Eins-zu-eins-Betreuung im Becken brauchen. Sie startete Aufrufe, um Hilfskräfte zu gewinnen. Felix Scheuerl wurde schließlich von einer Pensionärin im Bad begleitet, die einen Rettungsschein hatte.
Den Pool an Helfern gibt es immer noch. Nur ist er momentan nicht so groß, dass er für alle Kinder reicht, die permanent jemanden an ihrer Seite haben müssen. Nach Angaben von Maike Wiedwald gibt es in Bremen zurzeit sechs Drittklässler, die im Wasser betreut werden müssen – aber nur drei Schüler, die begleitet werden können. Die Sprecherin von Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD) sagt, dass es meistens Kräfte der Deutschen Lebens-Rettungs-Gesellschaft sind, die aushelfen. Auch die Schwimmmeister der Bädergesellschaft haben eine Rettungsausbildung. Nur, sagt Sprecherin Laura Schmitt, können die nicht zeitgleich über eine ganze Klasse und eine einzelne Person wachen. Aktuell ist eine von drei Poolstellen besetzt.
Dabei ist das Ressort laut Wiedwald ständig auf der Suche nach neuen Assistenzkräften. Die Behördenmitarbeiterin bedauert, dass nicht alle Kinder am Schwimmunterricht teilnehmen können – und auch, dass Isabelle Biskup erst jetzt von der vergeblichen Suche nach einer Begleitperson für ihre Tochter erfahren hat. Wiedwald bestätigt, dass die Mutter den Antrag früh bei der Schulleitung abgegeben und die ihn sofort ans Ressort geschickt hat. Die Sprecherin der Senatorin hat versucht zu rekonstruieren, was danach mit dem Papier geschah. Sie sagt, dass die Antwort irgendwo im Haus nicht weitergegeben wurde. Isabelle Biskup musste nachfragen, was denn nun mit der Schwimmassistenz ist.
Die Mutter hat inzwischen Bekannte, Nachbarn und Freunde gefragt, ob die vielleicht jemanden kennen, der Rettungsschwimmer ist und eventuell auch ad hoc als Begleitperson einzuspringen kann, damit Mia Sophie nicht noch mehr Schulstunden im Wasser versäumt. Sie sagt, sich vieles vorstellen zu können, nur eines nicht: aufzugeben. Behördenmitarbeiterin Wiedwald sagt etwas Ähnliches. Auch wenn der Schwimmunterricht inzwischen gestartet ist, sind die Fälle, in denen keine Assistenz gefunden wurde, für sie keine abgeschlossenen Fälle. Ihr zufolge hat es in dieser Woche mehrere Gespräche darüber gegeben, wie die Schüler doch zu einer Begleitperson kommen können. Sie glaubt, dass es noch Hoffnung gibt.