Viele der späteren Sinfonien Joseph Haydns (1732 bis 1809) werden wegen ihrer Ideenfülle, ihrer dichten Komposition und hohen Differenzierung bis heute immer wieder aufgeführt. Im Kito spielte die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen am Sonntagvormittag drei der mehr als hundert Sinfonien des österreichischen Komponisten, angepasst an die Gegebenheiten eines Kammerorchesters mit nur sechs Instrumenten. Die Spieldauer der Werke bleibt mit 25 bis 30 Minuten eher kurz, verglichen mit den zeitlich weit ausgedehnteren Sinfonien eines Ludwig van Beethoven oder Anton Bruckner.
„Wir spielen auf historischen Instrumenten, wie sie zur Zeit Haydns gebräuchlich waren“, sagt Konzertmeister Daniel Sepec, „so besteht zum Beispiel die Querflöte aus Holz und nicht aus Metall, und wir verwenden für die Streichinstrumente teilweise Schafdärme.“ Die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen, die wegen ihres sozialen Engagements für Kinder und Jugendliche mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet wurde, zog im Jahre 1992 von Frankfurt am Main nach Bremen um und konnte sich musikalisch in Richtung Weltspitze entwickeln. Besonders beliebt ist das Orchester in Bremen beim Open Air Festival „Sommer in Lesmona“ in Knoops Park, und ab 1998 erobert es sich auch einen festen Platz beim Musikfest Bremen.
Beim Konzert im Vegesacker Kito spielten Anne Parisot (Traversflöte), Daniel Sepec und Konstanze Lerbs (Violine), Yuko Hara (Viola), Nuala McKenna (Violoncello) und Matthias Beltinger (Kontrabass) – alle Sechs zeigten in Soli wie im Zusammenspiel bravouröse Leistungen, die vom Publikum mit großem Beifall bedacht wurden.
Haydns Sinfonie Nr. 94 ist für ihren unerwarteten Paukenschlag im zweiten Satz bekannt, wobei im Kammerorchester Streicher und Flötistin im Tutti-Einsatz die Pauke ersetzten. Ein zeitgenössischer Biograf berichtet, dass Haydn diese Überraschung in seine Sinfonie eingeführt hat, weil er sich an den Zuhörern rächen wollte, die während einer Aufführung regelmäßig einzuschlafen pflegten.
Musikalischer Humor Haydns
Die Sinfonie, die besonders durch ihren zweiten Satz sehr populär wurde, beginnt recht einfach strukturiert. Nach einem Frage- und Antwort-Spiel von Bläsern und Streichern im ersten Satz und zahlreiche Motivwiederholungen und -variationen überrascht der lebendige, tänzerische Fortgang mit abrupten Wechseln zwischen forte und piano. Hinzu treten schwebende Figuren mit virtuosen Läufen, die tanzartig weitergesponnen werden. Dem Hauptthema im zweiten Satz liegt eine einprägsame Melodie zugrunde, dem nach einem Pianissimo der berühmte Paukenschlag folgt. Danach geht es weiter, als wäre nichts gewesen. Der englische Komponist Donald Francis Tovey assoziierte bei dem bewusst banalen Hauptmotiv Gänse, die über einen Geflügelhof watscheln – und bei der dritten Variation scheint die Oboe ein Ei gelegt zu haben, schreibt der Musiker.
Sprünge und abgesetzte Bewegungen kennzeichnen den dritten Satz, mit vielen Echos und Imitationen. Und der Schlusssatz führt eine Fülle thematischer Gedanken vor. Die sechs Musiker der Kammerphilharmonie tragen die Sätze mit Vehemenz und Lebendigkeit vor und ernten sogar zwischen den Sätzen immer wieder Applaus.
Die Sinfonie Nr. 73 ist auch unter dem Namen „Die Jagd“ bekannt. Sie stellt an die Musiker, unter anderem wegen ihrer unerwarteten Verläufe, hohe Anforderungen. Ein Klangteppich der Streicher mit klopfenden Staccato-Akkorden leitet die Sinfonie ein. Das Thema, zunächst von der Violine solo vorgetragen, wird vom gesamten Orchester wiederholt. Auch in diesem Werk überraschen die Kontraste zwischen ruhigem und lärmendem Geschehen. Haydn zeigt, wie man aus der thematischen Arbeit an einem einzigen Motiv zu reichster Differenzierung kommen kann. Der vierte Satz enthält fanfarenartige Signale, die traditionellen Jagdrufen entsprechen, wobei Haydn aus seiner Oper „La fedeltà premiata“ geschöpft hat.
Auch die Sinfonie Nr. 101 wurde durch einen einprägsamen Titel bekannt: „Die Uhr“ gehört zu den berühmtesten unter Haydns Londoner Sinfonien. Die pendelnden Achtelnoten im zweiten Satz haben diesem Werk den Namen eingebracht. Das Werk beginnt ernst und getragen. Plötzlich auftauchende Akkorde lösen dann aber in starkem Kontrast ein zartes Pianissimo ab, zahlreiche Steigerungen und Trübungen treten ein. Haydn verblüfft durch kompositorische Scherze: Ein harmloses, naives Spiel der Flöte wird vom ganzen Orchester dissonant unterbrochen, die ganze Passage wiederholt und nun „richtig“ in passenden harmonischen Bewegungen gespielt. Haydn zeigt musikalischen Humor, indem es im dritten Satz wirkt, als habe der Flöten-Instrumentalist seinen Einsatz verpasst und damit die nachfolgenden Streicher verunsichert – die daraus entstehende Dissonanz klingt wie eine Karikatur auf eine Provinzkapelle, die eigentlich noch viel üben müsste.