Ein übersehener Armbruch bei einem Zweijährigen im Klinikum Bremen-Nord hat mehrere Eltern beunruhigt. Der Grund: Sie haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Wie oft es vorkommt, dass kinderchirurgische Notfälle zum Streitthema werden und an wen sich Betroffene wenden können.
Wie lautet der Ausgangsfall?
Nach einem Sturz von der Rutsche hat die Leuchtenburgerin Julia Feldhusen ihren zweijährigen Sohn Tjark mit Verdacht auf Armbruch in die Zentrale Notaufnahme des Klinikums Bremen-Nord gebracht. Nach Darstellung der Mutter wurde sie nach mehr als drei Stunden Wartezeit ohne Untersuchung nach Hause geschickt. Der zuständige Arzt habe lediglich auf die Strahlenbelastung hingewiesen, die beim Röntgen entstehen würde. Ein Facharzt stellte den Knochenbruch am Folgetag mittels Ultraschalluntersuchung fest. Die Mutter zeigte sich entsetzt über die Nichtbehandlung. Der Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno) bot eine Nachbesprechung an.
Welche weiteren Fälle gibt es?
Nach der Berichterstattung meldeten sich weitere Mütter und Väter in der Redaktion. Einige Beschwerden betrafen andere Krankenhäuser oder lagen länger als ein Jahr zurück. Anders der Fall der Familie von Julia von Hein aus Hambergen. Nach ihrer Schilderung hat das Klinikum vor einigen Wochen übersehen, dass sich ihre einjährige Tochter Käthe nach einem Sturz auf dem Trampolin einen Schienbeinbruch zugezogen hatte. „Sie konnte nicht mehr laufen und hatte starke Schmerzen“, so Julia von Hein. „Es wurde kein Röntgen gemacht, da die Ärztin es ungern bei so Kleinen macht.“ Die Ärztin habe zwar „einen ‚kleinen Streckverband‘ machen“ wollen, aber nicht gewusst, wo sie Verbandsmaterial herbekommt. „Sie ging dann einfach weg.“ Nach weiterer Wartezeit habe sie entschieden, die Klinik zu verlassen, so die Mutter, da die Ärztin auch zuvor mehrfach den Raum verlassen hatte, um in der Kinderstation zu behandeln. Wegen der starken Schmerzen des Kindes habe die Familie am Folgetag das Klinikum Mitte aufgesucht, wo der Bruch mittels Röntgen erkannt und das Bein in Gips gelegt worden sei.
Wie reagiert die Klinik auf Beschwerden?
„Fehler passieren überall“, sagt Frank Wösten, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme. Seiner Einschätzung nach kommt es alle zwei Wochen zu einer Beschwerde in der Zentralen Notaufnahme. Die Anzahl sei im Vergleich zu früheren Jahren aufgrund des Beschwerdemanagements rückläufig. Die Klinik setze sich mit jedem Vorwurf auseinander, die Betroffenen bekämen immer eine Antwort. Was die genannten Brüche betrifft, sagt Frank Wösten: „In beiden Fällen ist nichts gravierend falsch gelaufen. Es gibt hier nur die Möglichkeit röntgen oder nicht röntgen. Und das Röntgen führt zu erheblicher Strahlenbelastung." Ultraschallaufnahmen gehörten nicht zum Standardverfahren in der Klinik. Dafür brauche es besonders geschultes Personal. "Wir in der Notaufnahme sind dazu da, um die Erstversorgung zu machen." Dass Eltern die Klinik vorzeitig verlassen, weil die Ärztin zu einem Notfall abgerufen werde, könne er nicht nachvollziehen: "Das macht mich fassungslos."
Muss ein Knochenbruch immer behandelt werden?
Nach den Worten der Geno-Ärzte nicht in jedem Fall. „Man akzeptiert eine Fehlstellung zum Beispiel bei einem gebrochenen Unterarm von 40 Grad“, erläutert Frank Wösten, Chef der Zentralen Notaufnahme im Klinikum Nord. Ist der Arzt der Ansicht, dass der Knochen „wahrscheinlich nicht gebrochen“ ist, könne dieser zu einem späteren Zeitpunkt geröntgt werden. Eine Verschlimmerung des Gesundheitszustands sei dadurch nicht zu erwarten, so Klinikdirektor Richard Delebinski.
Wieso sind die Wartezeiten so lang?
„Eigentlich haben Kinder Vorrang, vor allem verunfallte Kinder“, sagt Frank Wösten, Chef der Notaufnahme. Aber, wenn weitere Schwerverletzte zu versorgen seien, seien Wartezeiten nicht auszuschließen. In der Notfallaufnahme sei jedoch nie nur ein Arzt im Einsatz, sondern in der Regel fünf. Außerdem erfolge binnen zehn Minuten nach Eintreffen der Patienten eine Ersteinschätzung: „Die Patienten, die nichts haben, dürfen lange warten“, sagt Frank Wösten. Die Wartezeit betrage in der Regel drei bis fünf, gelegentlich acht Stunden.
Worüber beschweren sich Patienten oft?
Jährlich werden bundesweit rund 10.000 Behandlungen, bei denen Patienten oder deren Angehörige einen Behandlungsfehler vermuten, durch Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern bewertet. Laut dieser Bundesstatistik haben Patienten 2021 mehr als 9000 Vorwürfe gegen Medizinier erhoben. Dabei ging es zumeist (über 2400 Fälle) um operative Therapien. Über eine fehlerhafte Untersuchung, Anamnese und Diagnostik beschwerten sich gut 500 Patienten. In 1440 Verfahren stellten die Gutachter tatsächlich Behandlungsfehler fest. In 1300 Fällen führte der Fehler zu einem Gesundheitsschaden, 167 Patienten erlitten einen schweren Dauerschaden, 92 Menschen starben. In Bremen betrifft ein Großteil der Schlichtungsanträge die Orthopädie und Unfallchirurgie. Das stellt Rechtsassessor Florian Nienaber von der Ärztekammer Bremen fest. In der Hansestadt seien 2022 und 2021 jeweils circa 70 Schlichtungsanträge gestellt worden. Kinderchirurgische Fälle stellten die Minderheit dar. Florian Nienaber: „Anträge, die zum Vorwurf haben, dass eine Fraktur übersehen wurde, weil gegebenenfalls nicht geröntgt wurde, sind absolute Einzelfälle.“