Doris Laatz hatte geglaubt, dass jetzt alles anders wird: Dass die Suche nach Helfern, wenn nicht für immer, so doch für lange Zeit, beendet ist. Fünf Intensivpfleger – so groß war das Team, das sich um ihren an der Nervenkrankheit ALS erkrankten Mann Tobias kümmerte, noch nie. Die Frau sagt, dass es für sie ungewohnt war, mehr Zeit für sich und die Kinder zu haben. Dann kam der Brief. Der Pflegedienst schrieb, kein Personal mehr schicken zu können. Im September war das. Seither versorgen Doris Laatz und ihr Schwiegervater den Schwerkranken allein, der die Kontrolle über seinen Körper verloren hat, im Bett liegt und seit einem Jahr sein Zimmer nicht mehr verlassen hat.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Familie ohne Helfer auskommen muss. Immer wieder kam es vor, dass Pflegedienste ein Team ankündigten, das innerhalb von Monaten, manchmal Wochen kleiner und kleiner wurde – bis schließlich niemand mehr kam. Doris Laatz hat das in den vergangenen Jahren so häufig erlebt, dass sie auf die Pflegedienste schon lange keine Wut mehr hat. Sie steht vor dem Bett ihres Mannes und zuckt mit den Schultern. „Was“, fragt sie, „würde das an unserer Lage ändern?“
Doris Laatz weiß inzwischen nicht nur, was eine Intensivpflegekraft macht, weil sie wie eine arbeitet. Sie weiß auch, dass ihr Fall längst kein Einzelfall ist: Dass ihr Mann einer von zwei Millionen Menschen in Deutschland ist, die zu Hause von Pflegediensten versorgt werden. Dass die meisten von ihnen immer wieder ohne Helfer auskommen müssen. Und dass es noch schwieriger ist, Intensivpfleger zu finden als allgemeine Pflegekräfte, weil sie seltener sind als ihre Kollegen und darum häufiger abgeworben werden.
Seit Tobias Laatz einen Luftröhrenschnitt bekam und ohne Technik nicht mehr allein atmen kann, muss er permanent betreut werden. Ein Pflegeteam, das rund um die Uhr über ihn wacht, steht ihm sozusagen zu. Ärzte argumentieren, dass die ausgebildeten Kräfte zu seinem Schutz da sind. Zu seinem und dem seiner Frau. Die Mediziner wissen, wie lange sie ihren Mann immer wieder allein gepflegt hat und was es bedeutet, Tag und Nacht für einen Menschen zu sorgen, der immer mehr Hilfe braucht, weil er immer weniger kann.
Doris Laatz sagt, manchmal Rückenschmerzen zu haben und manchmal nicht zu wissen, wie sie allen gerecht werden kann – ihrem Mann, den Kindern, sich selbst. Als es noch genügend Pflegekräfte für Tobias Laatz gab, stand sie kurz davor, nach langer Pause wieder eine Stelle anzutreten. Dann kam die Kündigung des Pflegedienstes. Manche Firmen, die kein Personal mehr für sie hatten, schlugen etwas vor, was sie eine Alternative nannten, für Tobias und Doris Laatz aber keine Alternative ist: Sie boten einen Platz für eine stationäre Betreuung an.
Tobias Laatz will in keine Pflege-WG. Er will bei seinen Kindern und seiner Frau sein – und seine Frau, dass die Familie zusammenbleibt, „so lange wie möglich“. Darum gehört jetzt der Schwiegervater zum Team, das sich kümmert. Detlev Dewers kommt seit Monaten täglich zu seinem Sohn, um zu helfen, so gut er kann. Er ist 66, hat Probleme mit der Bandscheibe und müsste eigentlich operiert werden. Doch solange es keine neuen Helfer gibt, kann er nicht ausfallen. Doris Laatz sagt, dass sie momentan bei drei Pflegediensten auf der Warteliste stehen.