Lene Knolls Zwillinge gehen zur Grundschule. Ob die beiden irgendwann in der dritten Generation in ihrer Bäckerei stehen werden? Im Moment wechselten die Berufswünsche der Kinder noch jeden Tag: "Ich sage immer: Mach! Hauptsache, du hast Spaß daran!" Knoll ist mit dieser Philosophie selbst gut gefahren. In ihrem Fall hat es geklappt: Knoll lenkt den Betrieb ihrer Eltern in Vegesack. 1983 ist die Backstube Bremen gegründet worden, um 40 Jahre Geschichte geht es also. Knoll schlägt das nächste Kapitel auf – was heute keineswegs selbstverständlich ist.
Einen Nachfolger fürs Unternehmen zu finden, das ist einem Report der Deutschen Industrie- und Handelskammer zufolge so schwer wie nie. Dabei steht in vielen Betrieben schon bald die Entscheidung an. Das Institut für Mittelstandsforschung erwartet bundesweit in den nächsten Jahren jeweils rund 38.000 Übergaben, die im Verhältnis meisten gibt es demnach in Bremen und Niedersachsen.
"Das Thema ist für uns hochrelevant", sagt Karsten Nowak von der Handelskammer Bremen. Aus seiner Sicht gibt es viele Gründe, warum die Zeiten besonders schwer sind, einen Nachfolger zu finden. Die Unsicherheit für Unternehmer sei dieser Tage groß, die Belastungen für die Wirtschaft spürbar: von der Inflation über die Energiekosten bis hin zur gesunkenen Kaufkraft. In Bremen stünden den Schätzungen zufolge jedes Jahr 300 Übergaben an. Wenn die nächste Generation nicht übernehme? Dann muss ein Betrieb womöglich schließen. "Das ist sehr bedauerlich", sagt Nowak, "es geht damit eine enorme Substanz verloren."
Eine Umfrage der Commerzbank, an der sich auch 100 Mittelständler aus Niedersachsen und Bremen beteiligten, bestätigt die Befürchtung. Wenn kein Nachfolger gefunden wird, wollen demnach 37 Prozent ihr Geschäft aufgeben. Martin Wittkopp ist in der Bremer Niederlassung der Commerzbank für die Unternehmerkunden der Region zuständig. Er beobachtet mit seinem Team bei der Nachfolgefrage immer wieder Herausforderungen. "Viele Familienbetriebe haben das Problem, dass es zwar 'Nachwuchs' gibt, der aber das unternehmerische Risiko scheut", berichtet Wittkopp. "Die Jüngeren sagen zwar: Super Betrieb, den ihr da aufgebaut habt, Mama und Papa!" Ihn fortzuführen könnten sie sich dennoch nicht vorstellen.
Steuerberater Stefan Oetje spricht in seiner Bremer Kanzlei oft mit Firmenchefs über die Nachfolge – und weiß von ähnlichen Fällen. Die jüngere Generation habe oft auch andere Vorstellungen von der Arbeit als ihre Eltern. Der monetäre Anreiz für die Selbstständigkeit sei geringer, weil es den Kindern finanziell heute besser gehe. Im Extremfall könne die Übernahme aber auch gerade am Geld scheitern, wenn ein Unternehmen so groß geworden sei, dass es einfach nicht mehr bezahlbar sei. "Typischerweise sagen die Banken dann: Toller Kunde! Kommen Sie in fünf Jahren wieder!", sagt Oetje vom Steuerberaterverband Bremen. "Das Risiko wollen sie vorher nicht." Wittkopp kennt diese Hürde ebenfalls, sieht es aber als Aufgabe der Banken an, zusammen mit Steuerberatern, Wirtschaftsprüfern und auch Bürgschaftsbanken eine Lösung zu finden. Wenn das nicht gelinge, stiegen stattdessen oft Investoren in einen Betrieb ein, die mit dem Geschäft nicht unbedingt etwas zu tun hätten. Oder ein Mitbewerber schlage zu.
Warum es bei den Knolls mit der Nachfolge geklappt hat? Die Eltern hätten das nicht forciert. "Ihr sollt später mal..." – dieser Satz sei in der Familie nie gefallen. "Ich bin von alleine darauf gekommen", sagt Knoll. Und das sei ganz wichtig gewesen. Schon immer habe sie gerne im Betrieb gejobbt. "Ich habe das lange in mir bewegt", sagt sie über die Nachfolgeentscheidung. Knoll machte anderswo eine duale Ausbildung zur Betriebswirtin und im Anschluss berufsbegleitend den Abschluss als Diplom-Kauffrau. Ihre Diplomarbeit verfasste sie schließlich über die Nachfolge in Familienunternehmen – bevor sie den Schritt selbst ging. Ihre Eltern habe das sehr gefreut.
Die Bäckerei trägt seit Kurzem ihren Namen. Über das Liefergeschäft ist Lenes Bio Backstube weit über Bremens Grenzen bekannt. Die Waren gehen nachts raus in die Region und bis nach Hamburg, Hannover oder Oldenburg. Knoll ist es vor allem wichtig, die Freude an der Arbeit zu vermitteln – ob gegenüber den Mitarbeitern oder einem möglichen Nachfolger. Die Selbstständigkeit habe viele schöne Seiten.
Selbst wenn Knoll noch viele Jahre Chefin sein wird, ist die Unternehmerin bereits vorbereitet: "Ich habe tatsächlich für den Ernstfall alles geregelt." Das sei in ihrem Alter wahrscheinlich nicht der Normalfall. Ihr gehe es aber um die Verantwortung für die 80 Mitarbeiter. Einen Nachfolger für eine Übergangszeit gibt es, wenn sie unerwartet ausfallen sollte. Knoll hat es schon erlebt: Ihr Vater sei 2017 plötzlich gestorben. Sie selbst war da schon länger im Unternehmen tätig. Eigentlich wollten sie den Betrieb noch weiter gemeinsam führen. Ihre Mutter blieb ein paar weitere Jahre im Geschäft. Seit 2020 führt Knoll es allein. "Ich kenne viele Kollegen, die keinen Nachfolger haben oder das Thema vor sich herschieben", sagt die Unternehmerin. Viele dächten: Warum soll ich mich darum kümmern? Ich hab ja noch Zeit. "Das ist aus meiner Sicht die größte Bedrohung. Einen Nachfolger kann man sich nicht eben schnell schnitzen."
Wittkopp sieht diese Gefahr ebenfalls. Mehr als die Hälfte der Unternehmen in Bremen und Niedersachsen betrachte die Nachfolgefrage heute noch nicht als relevant. "Das entspricht aber nicht der Alterspyramide", sagt der Experte der Commerzbank. Die klassische Unternehmensübergabe dauere dabei fünf Jahre. Es sei nicht mit der Unterschrift beim Notar getan, ein Nachfolger müsse aufgebaut werden. Wittkopp kennt jedoch auch Unternehmertypen, die einfach nicht loslassen können: "Die sagen: Ich mach' das, bis ich tot umfalle. Obwohl viele Gründe für einen Nachfolger sprächen und ein frischer Wind ganz gut täte."
Ein Wunschberuf der Kinder von Lene Knoll ist derzeit Reitlehrerin. Ab und zu gibt es jedoch auch bei ihnen schon im Spiel den Gedanken an die Nachfolge. Die beiden sagten ihr dann: "Mama, wenn du alt bist, dann machen wir die Bäckerei. Du darfst dir auch weiter Kuchen und Brötchen holen."