Das Geschäft von Jens Reeger, das sagt er selbst, ähnelt mittlerweile einer Festung: Gitter vor den Fenstern, Kameras in mehreren Räumen, Alarmanlage – und zum Feierabend werden jetzt schwere Rolltore vor den Auslagen heruntergelassen. Reeger ist kein Schmuckhändler oder Chef einer Bank. Der Mann verkauft Fahrräder. Er hat diverse Einbrüche in seinen Laden erlebt, aber noch nie waren die Täter so hartnäckig wie vor einem Jahr. Und so rigoros. Drei versuchte Beutezüge an drei aufeinander folgenden Tagen. Immer flogen Gullydeckel. Nicht nur gegen seine Schaufenster.
Vor einem Jahr stand Reeger, 57, seit 30 Jahren Chef des Vegesacker Radstudios, vor seinem Geschäft und zeigte auf gesprungenes Sicherheitsglas und auf gusseiserne Kanalabdeckungen, die so waren wie die, die von den Einbrechern geworfen worden waren. Jetzt kann kein Sicherheitsglas mehr zerspringen. Jetzt gibt es das Rolltor. Der Fahrradhändler sagt, dass es ihn 30.000 Euro gekostet hat. Gleich nach den ersten Vorfällen hatte Reeger sein Geschäft mit einem Bauzaun verbarrikadiert. Damit das Ganze nicht so abschreckend aussah, hängte er Adventsgirlanden an die Stahlgitter.
Aus Sorge, die Täter könnten es wieder versuchen, hat Reeger noch mehr getan als einen Zaun aufzustellen. Er schlief im Laden. Damals war er nicht der einzige, der das tat. Auch bei anderen Radgeschäften hatten Einbrecher Beute gemacht oder es versucht. Bei einem Händler waren sie wenige Tage zuvor eingestiegen, bei einem anderen am selben Tag. Und immer ging es ihnen nicht um irgendwelche Räder, sondern um die teuersten: E-Bikes. Seine Modelle hat Reeger später gesondert gesichert. Auf Zetteln stand, dass die Akkus separat aufbewahrt werden – die Ware für Diebe also wertlos ist.
Auch die Täter waren nicht irgendwelche Täter. Die Polizei sagte später, schon vorher mit den Einbrechern zu tun gehabt zu haben – und sagt heute, einen von ihnen gelegentlich auf der Straße anzutreffen. Damals hatte sich Reeger gewundert, dass er das Trio, das von seinen Kameras beim Einbruchsversuch gefilmt wurde, einen Tag danach wieder vor seinem Geschäft sah. Inzwischen weiß er sicher, was er seinerzeit vermutet hat: dass die Mitglieder der Gruppe alle minderjährig sind. Nach Angaben der Polizei, die kurz darauf eine Festnahme vermeldete, ging es um Jugendliche im Alter von 15 bis 17 Jahren.
Und die haben die Einsatzkräfte nach eigenem Bekunden nicht Wochen, sondern Monate beschäftigt – und unterm Strich dafür gesorgt, dass die Jahresbilanz der Polizei für den Bremer Norden nicht so ausgefallen ist, wie sie hätte ausfallen können. Die Beamten machten die Minderjährigen für die Zunahme an Geschäftseinbrüchen ebenso mitverantwortlich wie für das Plus an Kelleraufbrüchen. Auch dort suchten und fanden sie, was sie bei Reeger und seinen Berufskollegen in den Auslagen sahen: E-Bikes. Die Polizei schloss nicht aus, dass die Jugendlichen im Auftrag eines Großabnehmers handelten.

Ein Bauzaun zum Schutz: Aus Sorge, die Täter könnten es noch einmal versuchen, verbarrikadierten sich Händler.
Konzepte für privaten Wachschutz
Michael Steines nannte die Jugendlichen auch anders. Der Polizeileiter sprach von Intensivtätern. Und von schnellen Erfolgen, sie zu fassen, aber langen Prozessen, bis ein Gerichtsverfahren eröffnet wird. So langen, dass sich ihm zufolge auch die Polizei manchmal mehr Tempo wünschen würde. Dass die Minderjährigen nach den Vorfällen nicht gleich in Untersuchungshaft genommen wurden, hat für Steines nichts mit Untätigkeit der Justiz zu tun, sondern damit, dass die eingeschalteten Ämter nicht gleich die richtigen Maßnahmen gefunden haben, um die Jugendlichen zu stoppen.
Weil es immer mehr Vorfälle in der Vegesacker Fußgängerzone gab, forderte Reeger schließlich mehr Schutz. Der Unternehmer warb für den Einsatz privater Sicherheitskräfte. Er sprach mit Händlern darüber. Zuletzt kam es zu einem Gipfeltreffen im Ortsamt, bei dem auch Vertreter der Polizei und der Kaufmannschaft dabei waren. Beide sahen keinen Bedarf: Die Polizei nicht, weil sie ohnehin die Zahl der Fuß- und Autostreifen in den Geschäftsstraßen verstärken wollte – und die Unternehmervereinigung nicht, weil sie zu viele Schwierigkeiten befürchtete. Auch fürs Image des Stadtteils.
Reeger sagt, seine Konzepte – er hat mit mehreren Wachschutzanbietern gesprochen – mittlerweile in die Schublade gelegt zu haben. Nicht bloß, weil die Resonanz der Geschäftsleute ausgeblieben ist, sondern auch, weil Vorfälle wie damals schon länger nicht mehr vorgekommen sind. Der Fahrradhändler erklärt sich das zum einen damit, dass auch andere Händler so wie er noch mehr in Sicherheitstechnik investiert haben, und zum anderen mit den Jugendlichen selbst: Reeger hat immer wieder Ausschau nach ihnen gehalten, sieht aber nur noch einen von ihnen gelegentlich in der Fußgängerzone.
Er geht davon aus, dass die Behörden gemacht haben, was sie manchmal bei jugendlichen Intensivtätern machen: Sie von ihren Eltern trennen, um ihnen ein neues Umfeld zu geben, nicht selten in einem anderen Bundesland, wo speziell geschultes Personal sich um sie kümmert. Fremdplatzierung nennen die Einsatzkräfte das. Franke Haedke sagt es etwas anders. Nach Angaben der Polizeisprecherin sind die Jugendlichen und ihre Familie in Zusammenarbeit mit Justiz und Soziales auf mehrere Gebiete verteilt worden – und seither keine Gullydeckel mehr in Schaufenster geworfen worden.
Als Reaktion auf die schweren Diebstähle bei Händlern setzte die Polizei ein spezielles Ermittlerteam ein. Nach Haedkes Statistik gehen die Fallzahlen inzwischen zurück. Ein Schwerpunkt sind Einbruchsdiebstähle ihr zufolge aber weiterhin.