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Hilfe für Flüchtlinge Möbel-Transport für den guten Zweck

Die Ehrenamtlichen von der Ökumenischen Starthilfe Grohn sind fast täglich unterwegs, um Möbel für Flüchtlinge abzuholen und auszuliefern. Warum sie helfen und welche Herausforderungen es gibt.
20.06.2022, 16:00 Uhr
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Möbel-Transport für den guten Zweck
Von Julia Assmann

10 Uhr, Mittwochvormittag in den Räumen der Ökumenischen Starthilfe Grohn. Eigentlich ist das Lager, in dem Spenden für Flüchtlinge angenommen und ausgegeben werden, um diese Zeit gar nicht geöffnet. Doch der ehemalige Supermarkt an der Lerchenstraße ist trotzdem voller Leute. Ein vielsprachiges Stimmengewirr ist zu hören: Ukrainisch, Arabisch, Deutsch. In einer Ecke diskutieren drei Männer mit vielen Gesten. In einer anderen begutachten zwei Frauen einen Schrank und versuchen mithilfe einer Übersetzungs-App, einem Mann etwas zu erklären. Weitere Männer kommen herein, unterhalten sich auf Arabisch. Mittendrin steht Sybille Vollmer. "Sobald die Tür aufgeschlossen wird, ist hier was los", sagt sie und lacht.

In dem scheinbaren Durcheinander wirkt die 75-Jährige – kurze, braune Haare, weiße Bluse – wie ein Fels in der Brandung. Sie hat den Überblick, weiß genau, wer warum hier ist. "Die beiden Frauen und die drei da drüben kommen aus der Ukraine. Sie suchen sich Möbel aus. Die anderen sind Helfer, die gleich mitfahren, um Spenden aus einem Haus in Schönebeck abzuholen", erklärt sie.

Mit entschlossener Stimme gibt sie Anweisungen. "Wir brauchen heute viele Kisten, weil wir auch Geschirr mitnehmen. Ladet schon mal welche ein", sagt sie zu einem Helfer. Einem anderen zeigt sie, wo er die Waschmaschine abstellen soll, die er gerade mit einer Sackkarre hereinbringt. Nachdem sie einer Übersetzerin erklärt hat, dass die beiden Ukrainerinnen ihre Möbel am Nachmittag geliefert bekommen, klatscht sie in die Hände. "So, jetzt alle raus hier. Wir müssen los", ruft sie bestimmt.

Spendenbedarf stark gestiegen

Die Ehrenamtlichen von der Ökumenischen Starthilfe Grohn sind fast täglich unterwegs, um Möbel abzuholen und auszuliefern. In den vergangenen Monaten ist die Zahl der Menschen, die Spenden benötigen, stark gestiegen. Auch für Sybille Vollmer vergeht kaum ein Tag, an dem sie nicht für das Projekt im Einsatz ist. Die Sozialpädagogin, die über Jahrzehnte in der Jugendgerichtshilfe gearbeitet hat, gehört zu den Mitbegründerinnen der Ökumenischen Starthilfe, die von den Grohner Gemeinden Heilige Familie und St. Michael initiiert wurde.

Damit alle bekommen, was sie dringend benötigen, wenn sie in eine Wohnung ziehen, ist es wichtig, dass stets Spenden nachkommen. "Glücklicherweise bekommen wir sehr viele Spenden", sagt Vollmer. An diesem Tag geht es nach Schönebeck. Die Helfer verteilen sich auf mehrere Privatautos. Harald Kossack, ebenfalls Ehrenamtlicher der ersten Stunde, steuert einen Sprinter. Den Wagen hat die Initiative mithilfe von Spendengeldern gekauft. Bis vor Kurzem konnte die Starthilfe auch einen Kirchenbus nutzen, um alle Helfer gleichzeitig zu transportieren. Der steht inzwischen aber nicht mehr zur Verfügung.

Viele Helfer waren selbst Flüchtlinge

Bis zum Ende des Monats sollen die Ehrenamtlichen in Schönebeck ein Reihenhaus leer räumen. Fast jedenfalls. Vor Ort versammeln sich alle vor der Haustür. "Die Dinge, auf denen Zettel kleben, bleiben hier. Habt ihr das alle verstanden?" Die meisten nicken. Für die anderen übersetzt Jomaa Abdulsalam. Der Syrer lebt seit fast sieben Jahren in Deutschland. Er arbeitet in Vollzeit bei einem Sicherheitsdienst, ist kürzlich Vater eines Sohnes geworden. Seit eineinhalb Jahren hilft er regelmäßig bei der Starthilfe mit.

Heute sind insgesamt neun Helfer dabei. Die meisten sind selbst als Flüchtlinge nach Deutschland gekommen. Omar Alkhalaf ist wie Abdulsalam Kurde. Beide stammen aus derselben Stadt in Nordsyrien. Kennengelernt haben sie sich aber erst in Deutschland. Nun helfen sie in ihrer Freizeit anderen, die Unterstützung beim Ankommen im neuen Land brauchen.

Kochtöpfe sind immer knapp

Im Haus verteilt Sybille Vollmer die Aufgaben: "Einer räumt die Küchenschränke aus, einer die Gläser im Wohnzimmer. Die anderen kommen mit nach oben." Sie weiß sich durchzusetzen, notfalls mit lauter Stimme. "Anders geht es manchmal nicht", sagt sie. Die Helfer wissen sie zu nehmen und auch, dass ihre resolute Art nicht böse gemeint ist, im nächsten Moment schon wieder ein Lächeln über ihr Gesicht huscht. Bei allen Fragen ist sie die erste Ansprechperson. "Frau Vollmer, soll das Bett schon nach unten?" Sie runzelt die Stirn. "Das sag ich jetzt zum dritten Mal: Nein, erst der Schrank", erwidert sie.

Während die Männer Teil um Teil nach draußen tragen, verschafft sie sich einen Überblick über die Küchenutensilien, guckt nach Pfannen und Töpfen. "Kochtöpfe sind immer knapp bei uns." Das Organisieren ist sie gewohnt. "Ich habe vier Kinder und zwei Pflegekinder", sagt sie zur Begründung und lacht. Dass das Projekt einmal so groß werden würde, hätte sie anfangs selbst nicht gedacht. "Wir sind alle mit der Aufgabe gewachsen", meint sie.

Auslieferung am selben Tag

Dann überlässt sie Ghasem Farhadi die Küche. Er verstaut den Schrankinhalt in Kisten und Körben. "Ich helfe seit zwei Monaten mit", erzählt der Iraner. In seinem Heimatland war er Bauingenieur. "Ich weiß, wie schwierig es ist, ein neues Leben in einem fremden Land anzufangen. Deshalb helfe ich", erklärt er.

Frank Rodermund steht indes vor dem Haus und sortiert vor, in welcher Reihenfolge die Sachen zum Sprinter gebracht werden sollen. Der 65-Jährige ist jeden Mittwoch für das Projekt im Einsatz. Harald Kossack verstaut alles möglichst platzsparend im Sprinter. Nach etwa zwei Stunden ist der Wagen randvoll gepackt. Das heißt für heute Feierabend – jedenfalls in diesem Haus. "Bis es leer ist, müssen wir wohl noch einige Male wiederkommen", sagt Vollmer und schließt die Tür ab.

Die Helfer sind schweißgebadet, aber gut gelaunt, als sie sich auf den Weg zurück zum Lager machen. Einige fahren an diesem Tag noch zu den beiden Ukrainerinnen, die sich am Vormittag ein Bett und Schränke ausgesucht haben. "Sie brauchen die Sachen dringend. Momentan schlafen sie mit ihren Kindern auf dem Fußboden", erläutert Vollmer. Andere Helfer kommen erst am nächsten Tag wieder. Dann ist das Ziel Uthlede. Auch dort spendet jemand Möbel und Haushaltsgegenstände.

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Bedarf gestiegen – Bus und Helfer gesucht

Über die Besucherzahl bei der Ökumenischen Starthilfe Grohn führt Sybille Vollmer genau Buch. Aus den Listen, die sie regelmäßig zusammenstellt, geht hervor: Von Anfang Januar bis Ende Mai dieses Jahres haben Menschen aus 32 Ländern Spenden bekommen. Die größte Gruppe mit 390 Personen stammt aus Syrien. Gleich dahinter kommen mit 225 Personen Menschen aus der Ukraine. Im Vergleich zum Januar hat sich die Zahl der Besucher im Mai verdoppelt: von 177 auf 355.

Damit die Helfer nicht mit mehreren Autos zu ihren Einsatzorten fahren müssen, wenn sie Spenden abholen oder ausliefern, sucht die Ökumenische Starthilfe Grohn nach einer Möglichkeit, sich regelmäßig einen VW-Bus auszuleihen. Der Bus soll nicht für den Transport von Möbeln, sondern für die Ehrenamtlichen genutzt werden. Die Kosten für die Nutzung erstattet die Initiative. Wer der Starthilfe Grohn mit einem Fahrzeug aushelfen möchte, kann sich unter der Telefonnummer 01 70 / 3 26 13 16 oder per E-Mail an sybille@cmv-it.de bei Sybille Vollmer melden.

Das Spendenlager in der Lerchenstraße 14 hat zu folgenden Zeiten geöffnet: Mittwochs von 14.30 bis 16 Uhr und sonnabends von 10 bis 12 Uhr werden Spenden angenommen. Ausgegeben werden die Sachen montags von 10 bis 13 Uhr. Weil die Nachfrage derzeit so groß ist, werden zusätzlich Termine vergeben. Weitere ehrenamtliche Helfer sind willkommen, denn es müssen weitere Zeiten abgedeckt werden, in denen die Spenden sortiert und eingeräumt werden. Weitere Informationen geben Sybille Vollmer (01 70 / 3 26 13 16) und Bärbel Seipel (04 21 / 62 70 05).

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