Wer aufmerksam durch Vegesack geht, begegnet ihnen an mehreren Stellen – Walen. Der große Bronze-Walkiefer am Utkiek, die Wal-Skulptur in der Gerhard-Rohlfs-Straße und die bronzene Walfluke am Fähranleger erinnern an Vegesacks Vergangenheit als Walfänger-Ort. Das Vegesacker Geschichtenhaus befasst sich mit dem Thema und das Schloss Schönebeck zeigt in seinem Walfangzimmer zahlreiche Exponate wie Harpunen, Tranlampen, Wal-Skelette und historische Bilder.
Der Heimatverein Lesum hatte Klaus Gawelczyk, den ersten Vorsitzenden des Heimat- und Museumsvereins für Vegesack und Umgebung, eingeladen. Sein Vortrag unter dem Titel „Der Walfang und seine wirtschaftliche Bedeutung für die Region im Norden Bremens“ fand regen Zuspruch: Im Vortragsraum blieb kaum ein Platz frei. Und immer wieder wurden aus den Reihen der Zuhörerinnen und Zuhörer interessierte Fragen gestellt.
Der Beginn des Walfangs
Im 17. Jahrhundert entwickelte sich der Vegesacker Hafen zu einem Stützpunkt des Walfangs. 1653 wurde hier die „Bremische Grönland Compagnie“ gegründet. 220 Jahre lang blieb Vegesack der Heimathafen der Waljäger. Der Wal wurde vor allem wegen seiner öligen Speckschicht verfolgt. Das erlegte Tier wurde am Fangschiff vertäut und verarbeitet. Aus dem Speck wurde Tran gebrannt – ein damals sehr begehrtes und gut bezahltes Brennmaterial, etwa für die Straßenlaternen der europäischen Großstädte. Er diente auch als Grundstoff für Seifensieder und als Schmierstoff für Maschinen. Und die Barten aus dem Filterapparat des Walmauls wurden als biegsames und stabiles Material geschätzt; sie dienten zur Herstellung von Korsettstangen, Regenschirmen und Peitschenstielen.
„Der Walfang hatte lange Zeit nicht nur für Vegesack, sondern für ganz Bremen eine große wirtschaftliche Bedeutung“, so Klaus Gawelczyk. Um 1700 war nach seinen Worten mehr als die Hälfte der bremischen Handelstonnage für den Walfang eingesetzt – und das in einer Handelsstadt! Das zeige, wie groß der Stellenwert des Walfangs damals war. Ein guter Teil des Reichtums Bremens und der Region in der damaligen Zeit sei dem Walfang zu verdanken. Ein lukratives Gewerbe – wer in den Walfang investierte, konnte bei erfolgreicher Rückkehr des Walfängers durchaus mit einer Versechsfachung seines Einsatzes rechnen. Die Besatzung erhielt eine Erfolgsbeteiligung, gestaffelt nach der Hierarchie an Bord. Auch andere Gewerke profitierten. Im Umfeld des Hafens entwickelten sich Werften, Zulieferer für Schiffbau sowie Ausrüstung, Proviant und Tauwerk, Segelmacher, Tonnenmacher, Schmieden, die Werkzeuge (Harpunen) herstellten – und nicht zuletzt die Kneipen als „Kommunikationszentren“, wie Klaus Gawelczyk mit einem Augenzwinkern auflistete: „Dort wurden die Erfolge begossen und neue Verträge unterschrieben.“
Gefährliches Unternehmen
Der aus Tiersicht grausame Walfang war auch ein gefährliches Unternehmen für Schiff und Mannschaft. Immer wieder kam es vor, dass eine Schaluppe vom harpunierten Wal mitsamt Harpunier und Ruderern in die Tiefe gezogen wurde. Viele Walfänger sanken komplett in den eisigen Gewässern, zahlreiche Seeleute verloren ihr Leben. Und die Zeit des Walfangs neigte sich dem Ende zu. Das Nordmeer war „überfischt“. Wenn im Norden nichts mehr zu holen war, dann vielleicht im Süden. Klaus Gawelczyk berichtete von den Fahrten des ersten deutschen Südsee-Walfängers „Virginia“. Kapitän war der Vegesacker Jürgen Diedrich Krudop. „Sein Haus, das er um 1842 am Wilmannsberg baute, steht heute noch.“ Die Südseefahrten konnten zwei bis vier Jahre dauern. Insgesamt habe es 60 deutsche Südsee-Walfangfahrten gegeben, davon 44 mit bremischen Schiffen. Zum Vergleich: Es gab etwa 1600 Ausfahrten bremischer Walfänger ins Nordmeer.
1872 endete der Walfang von Vegesack aus. Die Walbestände waren stark geschrumpft, Petroleum und Gas hatten Tran als Brennstoff verdrängt. Die Walfängerstadt Vegesack musste sich neu erfinden. Die Werften gingen vom Holz- zum Eisen- und Stahlschiffbau über. Und statt auf Wale machte man Jagd auf Wassertiere kleineren Kalibers: 1895 wurde die Bremen-Vegesacker Fischerei-Gesellschaft gegründet; sie war zeitweise die größte Heringsfischerei-Gesellschaft Europas.
Wer mehr über die abenteuerlichen Fahrten der Walfänger in die Südsee und über ihre Besatzungen erfahren möchte, muss sich bis zum Sommer gedulden: Im Juni wird das Heimatmuseum Schloss Schönebeck eine Ausstellung zeigen, die sich dem „Bremer Walfang in der Südsee 1836-1862 widmet.