Es hagelt und eine steife Brise braust die Stadtgarten-Promenade entlang. Und so ist es nur ein kleines Grüppchen, das sich zwischen Strandlust und Fähranleger am Treffpunkt „Walflosse“ eingefunden hat, um in Vegesacks maritime Vergangenheit einzutauchen. Doch pünktlich zu Beginn der Führung hat sich die Sonne durch die Wolken gekämpft. „Dann mal los“, sagt Christine Renken vom Theater Interaktiwo in der Rolle des kundigen Gästeführers Hein Looper. „Schiffe made in Vegesack“ heißt der Fuß-Törn. In gut 60 Minuten erfahren die Teilnehmer eine Menge über den Schiffsbau in Bremen-Nord und die damaligen Akteure. Hein Looper berichtet von Johann Lange, Friedrich Lürßen, Hermann Friedrich Ulrichs, Georg Abeking, Henry Rasmussen und vielen anderen Persönlichkeiten, die Vegesack als Schiffsbaustandort einst mächtig und bedeutend gemacht haben. Dabei geht es weniger um Jahreszahlen, sondern um interessante oder auch kuriose Anekdoten, durch die Geschichte lebendig wird.
Doch zurück zur Wal-Fluke neben der Strandlust. „Wir stehen hier schon auf Werftgelände“, berichtet Hein Looper. Einst befand sich hier die Sagersche Werft. 1814 hatte Jürgen Sager die Werft seines Schwiegervaters Peter Jantzen übernommen. Der Name Sagerstraße erinnert an die Sagersche Werft. Die nächste Station ist das „Geburtstagskind“, wie Hein Looper den Vegesacker Museumshaven nennt, dessen 400-jähriges Bestehen demnächst gefeiert wird. „Wenn man die in Zentral-Bremen fragt, wo der erste künstlich angelegte Hafen Deutschlands ist – dann wissen das die wenigsten! Hier ist er also, aber warum eigentlich ausgerechnet hier?“ Weil Ende des 16. Jahrhunderts die Handelsschiffe mit größerem Tiefgang nicht mehr bis zur Bremer Innenstadt segeln konnten, da die Weser so stark versandet war. Deshalb wurde von 1619 bis 1622 der Vegesacker Hafen gebaut, denn hier war die Weser noch tief genug für die Seeschiffe.
Die kleine Fuß-Törn-Truppe wendet sich nun dem heutigen Vegesacker Geschichtenhaus, beziehungsweise dem damaligen Langeschen Speicher zu. Mit Johann Lange (1775-1844) bekam der Nordbremer Schiffbau „Dampf auf’m Kessel“; auf der Langeschen Werft entstand 1817 das erste von einem deutschen Schiffbauer gebaute Dampfschiff, „Die Weser“. Auch Anna Lange, geborene Raschen, darf nicht in Hein Loopers Ausführungen fehlen. Sie galt als kluge und für ihre Zeit ungewöhnlich selbstbewusste Frau. Nach dem Tod ihres Mannes führte die resolute Frau dessen Schiffsbaubetrieb erfolgreich weiter. Hermann-Henrich Meier, Gründer des Norddeutschen Lloyd, soll nach einer Begegnung mit ihr gesagt haben: „In Vegesack gibt es nur einen Mann und der ist eine Frau!“
Kein Grundstück am Wasser – für einen Schiffsbaubetrieb nicht die beste Bedingung. Das jedoch konnte Friedrich Lürßen (1851-1916) nicht bremsen. Als 24-Jähriger baute er sich mithilfe seines Schwiegervaters eine Bootswerft in Aumund. In den 1880er-Jahren geriet die Werft erstmals in den Fokus der Öffentlichkeit mit dem Bau des Daimler-Bootes „Rems“ – eines der weltweit ersten Motorboote. Wenige Jahre später zählte das Unternehmen bereits zu den führenden Motorbootwerften Deutschlands – und auch einen Platz am Weserufer konnte Lürßen ergattern. Während die Gruppe durch die Alte Hafenstraße geht, gibt es den kleinen Exkurs „Schiffsteile made in Vegesack“: Taue und Seile wurden bei Gleistein gekauft, und Friedrich Wilhelm Bauer hatte in der Weserstraße eine Steuerradfabrik, die nicht nur die Steuerräder für die Luxusdampfer „Bremen“ und „Europa“ baute, sondern auch die Segelschulschiffe „Deutschland“ und „Gorch Fock“ ausstattete. Die nächste Station – die Signalstation – bringt den nächsten Exkurs mit sich: „Schiffe made in Sichtweite von Vegesack.“ Die Teilnehmer hören die Geschichte von Abeking & Rasmussen. Eine 180-Grad-Drehung bringt dann das „Haus am Wasser“ ins Blickfeld. Der Vegesacker Ruderverein ließ das Haus in den 20er Jahren als Boots- und Vereinshaus im Bauhausstil errichten. Auch von dem Unterseeboot „Deutschland“ ist die Rede, das die Vegesacker 1916 mit seiner Vorbeifahrt in helle Aufregung versetzte, sowie von den Brüdern Jaburg, ihres Zeichens Schiffsmaler…
Die Führung „Schiffe made in Vegesack“ hatte 2018 Premiere, fand einige Male statt – „und dann hat Corona uns ausgebremst“, so Renken. „Aber jetzt geht’s allmählich wieder los und wir freuen uns sehr darauf. Wir werden jetzt wieder öfter hier sein“, verspricht Christine Renken. Tatsächlich sind auch neue Bremen-Nord-Touren in Planung. Die Weser und der Bremer Vulkan sollen im Mittelpunkt der neuen Führungen stehen. Die ersten Termine werden im Mai stattfinden – pünktlich zum Hafengeburtstag.