Seit Jahren zeichnet Volker Keller einen Menschen aus, der sich durch besonderes Engagement und Nächstenliebe hervorgetan hat – nur diesmal nicht. Diesmal hat der Vegesacker Pastor einen Nordbremer ausgesucht, bei dem es, wenn man so will, um Fernstenliebe geht: Herbert Brüdt, ehemals Lehrer, seit Jahrzehnten Weltenbummler und jetzt auch Gründer einer Stiftung, die sich für indigene Völker einsetzt. In Afrika, im Himalaja, in Südamerika.
Brüdt sagt es gleich: Er mag es nicht, dass Aufhebens um ihn gemacht wird. Im Fokus stehen wird er trotzdem. Zu Silvester nämlich, wenn Keller ihn beim Gottesdienst in der Stadtkirche als Mitmensch des Jahres 2022 vorstellen will. Der Pastor fragt, der Geehrte antwortet – so war es vor zwei Jahren, als Gerd-Rolf Rosenberger den Titel für seine Arbeit mit Menschen in schwierigen Lebenslagen bekam. Und so war es vor einem Jahr, als Marion Hanke und Petra Ansorge für ihren Einsatz als Pflegekräfte auf der Covid-Station des Nordbremer Krankenhauses ausgezeichnet wurden.
Keller und Brüdt kennen sich. Beide sind Vegesacker, beide reisen gern. Der Pastor hat im April über den anderen Weltenbummler geschrieben. Für ein Reisemagazin war das. Sieben Seiten, siebzehn Fotos: Brüdt vor einer Landkarte, Brüdt mit Beduinentuch, Brüdt vor einem Jeep. Alle anderen Bilder zeigen Menschen, denen er unterwegs begegnet ist: Männer, die Wasser aus einem Brunnen schöpfen, eine Frau, die sich mit ihrem Kind über einen Mahlstein am Boden beugt, Afrikanerinnen in Trachten, eine Tibetanerin am Straßenrand, Sherpas auf einem Pfad, Sherpas im Schnee.
Brüdt, 73, im Schwarzwald aufgewachsen, im Bremer Norden zum Gymnasiallehrer geworden, war immer unterwegs. Mal für Wochen, später, als Pensionär, für Monate. Er fuhr nicht nur dorthin, wohin viele fahren – Frankreich, Spanien, Griechenland, Türkei, Sri Lanka, Marokko. Sondern reiste auch in Regionen, die weitaus seltener als Flugziel genannt werden. Zum Beispiel nach Burma. Zum Beispiel in die Indianerreservate Nord- und Südamerikas. Zum Beispiel in den Sudan, in den Jemen, in die Kalahari von Namibia, nach Kathmandu und ins Himalaja-Gebirge von Tibet.
Überall hat er Leute getroffen, die ihm halfen weiterzukommen. Und deshalb will er jetzt denen helfen, die ihm auf seinen Reisen begegnet sind: dem Stamm der Son im südwestlichen Afrika, den Mapuche in Argentinien, den Bewohnern von Zanskar – einer tibetischen Bergregion, in der Brüdt den Ausbau einer Schule unterstützte. Vor Kurzem hat sie ein neues Dach bekommen, weil das alte Löcher hatte, und Mikroskope, weil es keine für den Unterricht gab. Der Vegesacker war nicht vor Ort, als Bau- und Schulmaterial kamen. Er weiß aber, dass beides da ist, weil seine Stiftung dafür gesorgt hat.
Vamos heißt sie – los geht's. Der Name klingt ein bisschen nach dem Start zu einer neuen Reise und der Aufforderung, anderen zu helfen. Brüdt hat ein Großteil seines Geldes zum Stiftungskapital gemacht. Auch Keller entscheidet, welche Projekte finanziert werden. Er gehört zum Stiftungsrat. Der Pastor sagt, dass Brüdt einen kleinen Beitrag zur Wiedergutmachung des europäischen Kolonialismus leisten will. Ihm zufolge soll dort geholfen werden, wo Menschen in der sogenannten Dritten Welt an ihrer ursprünglichen Lebensform festhalten und sich nicht einer westlichen Kultur unterwerfen.
In dem Reisemagazin hat Keller noch mehr über Brüdt und seine Stiftung geschrieben. Etwa, dass Geld zu verschenken, genau überlegt sein will. Und wenn es um viel Geld geht, noch genauer. Das wird der Pastor nach eigenem Bekunden auch dann tun, wenn der Stiftungsgründer nicht mehr lebt. So haben es die beiden vor Längerem vereinbart.