„Die Würde des Menschen ist unantastbar – das ist ein Poesiespruch, wenn wir ihn nicht in die Tat umsetzen.“ Mit diesen Worten begann Heide Marie Voigt ihren Vortrag über die Würde, den sie anlässlich des Gedenktages für die Opfer des Nationalsozialismus am Freitag in der Stadtbibliothek Vegesack gehalten hat. Dort diskutierte sie, wie „der KZ-Überlebende den Opfer-Status überwindet“ und „seine Würde als gleichberechtigtes Gegenüber“ wiederfinden kann.
Nach einer kurzen Begrüßung durch Martin Renz, Leiter der Bibliothek, thematisierte Voigt im Vortrag das Entkommen aus dem „Konzentrationslager im Kopf“. Das machte die Vegesacker Künstlerin mithilfe einer Montage aus eigenen Erlebnissen, Erfahrungsberichten von Überlebenden und historischem Fachwissen. Sie bezog sich hierbei auch auf die KZ-Überlebende, Psychologin und Autorin Edith Eva Eger. Viele Überlebende würden nicht über ihre Traumata sprechen und sie stattdessen verschweigen. Genau das sollten sie aber laut Voigt tun, um diese zu verarbeiten und ihren eigenen Platz in der Gesellschaft in Würde wiederzufinden.
Die Künstlerin beschäftigte sich auch mit der Frage, wie Betroffenen richtig zuzuhören sei. Denn „in dem Moment, in dem ich etwas objektiviere, distanziere ich mich.“, so Voigt. Dies sei oft sinnvoll, könne aber auch dazu führen, dass die Würde des betrachteten Objekts verloren geht. Da das nicht wünschenswert ist, müssen Personen nach Voigts Worten immer als eigene Individuen betrachtet und behandelt werden.
Für die Organisation dieses Vortrages und vieler anderer Erinnerungsveranstaltungen ist der Verein „Erinnern für die Zukunft“ verantwortlich, der mit der Landeszentrale für politische Bildung dieses Programm seit Jahren koordiniert. Der Gedenktag selbst geschieht, so der Verein, „vor dem Hintergrund des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine“. Dieser gebe dem Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus mitunter eine neue Bedeutung. So werfe er unter anderem die Frage auf, wie ein „Nie wieder“ auch in der Zukunft verstanden werden soll.
Und nicht nur hierauf, sondern auch auf andere aktuelle Bezüge ging Voigt im Kontext der Würde ein. Gefahren von künstlicher Intelligenz und Automatisierung und ein gesellschaftlicher Rechtsruck waren zwei der Themen, die sie ansprach. Polemische und populistische Ansätze seien hier falsch, und eine Auseinandersetzung auch mit den eigenen Fehlern sei notwendig. Denn „wir können nicht die Welt ändern, wir können nur uns selbst ändern.“
Die Stadtbibliothek Vegesack stelle eine natürliche Wahl für den Vortragsort dar. Voigt hat schon oft mit der Bibliothek zusammengearbeitet, um andere Veranstaltungen zu organisieren. Dazu erfüllt die Institution laut Renz so ihren Auftrag, jeder Person Informationen und Aufklärung zu bieten. Schließlich nehme sie ihre Rolle im öffentlichen Leben wahr, Austausch und Diskussion besonders zu diesem Anlass zu fördern. So eine Diskussion entstand auch im Anschluss an den Vortrag. Voigt ging auf Fragen und Anmerkungen ein und führte mit einigen Besuchern noch längere Gespräche. Sowohl persönliche Erfahrungen als auch gesellschaftliche Beobachtungen wurden dabei angesprochen.
In den kommenden Wochen finden in Bremen noch weitere Veranstaltungen im Rahmen des Gedenktages statt. Zwei Tage nach Voigts Vortrag legten beispielsweise Politiker einen Kranz in Vegesack nieder, um an den Holocaust und seiner Opfer zu erinnern. Einer der Redner war Torsten Buhlmann. Der Beiratssprecher und CDU-Politiker ging nicht nur darauf ein, was mal war, sondern auch auf das, was heute ist – und zog Parallelen. Zum Beispiel zum Ukraine-Krieg, der Millionen von Menschen flüchten lässt wie zur Zeit des Zweiten Weltkriegs.
Nach Buhlmanns Ansicht darf auch deshalb nicht vergessen werden, was Nazi-Deutschland angerichtet hat: Damit sich die Gräueltaten von damals in Deutschland nicht wiederholen – und Menschen in Krisenregionen auf europäische Hilfe setzen können. Bei einer Schweigeminute wurde der Opfer des Naziregimes ebenso gedacht wie der Opfer des Ukraine-Krieges.