Nervige Diskussionen und stundenlange Sitzungen: In Walle hat ihr ortspolitisches Ehrenamt den Mitgliedern des Stadtteilbeirats in den vergangenen vier Jahren einiges an Energie abverlangt. Bekanntlich war die Stimmung dort merklich angespannt angesichts der heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Fraktionen von SPD, CDU, Grünen und Linken auf der einen Seite und AfD-Vertreter Gerald Höns auf der anderen. „Wer wird schon gerne vor das Verwaltungsgericht gezerrt“, merkte dazu kürzlich der scheidende Waller Beiratssprecher Wolfgang Golinski (SPD) an, der außerdem sagt: „Dass man sich über die Geschäftsordnung auseinandersetzen muss, ist ärgerlich. Diese Zeit fehlt uns dann für andere wichtige Themen. Ich wünsche so etwas auch den anderen Beiräten nicht.“ Wer also jetzt in Walle in den Startlöchern steht, um sich dort in den kommenden vier Jahren im Beirat zu engagieren, der verdient dafür ganz besonderen Respekt.
Tatsächlich deutet sich dabei innerhalb des Gremiums durchaus so etwas wie ein personeller Umbruch an, denn die Namen mehrerer langjähriger Beiratsmitglieder tauchen auf dem Stimmzettel nicht mehr auf. „Ich habe fast 20 Jahre lang engagiert im Beirat mitgearbeitet. Nun sind auch mal andere dran“, sagt etwa die Grünen-Fraktionssprecherin und langjährige stellvertretende Waller Beiratssprecherin Cecilie Eckler-von Gleich. Sie wird sich im Mai nicht mehr zur Wahl stellen und plädiert für einen Generationswechsel innerhalb ihrer Partei. Dabei müssten die Abendsitzungen aber auch zur persönlichen Lebensphase passen – wie es zum Beispiel bei Brunhilde Wilhelm der Fall ist, die bislang Sachkundige Bürgerin war und nun auf Platz eins der Waller Grünen-Liste kandidiert.
Auf Platz vier kandidiert Christof Schäffer, bisher Sachkundiger Bürger. Bisherige Mitglieder wie Karsten Seidel und engagierte Namen wie Petra Fritsche-Ejemole und Bärbel Schaudin-Fischer finden sich weiter hinten auf der Liste – es könnten in der Fraktion also einige neue Gesichter auftauchen. Denn auch Bildungsausschusssprecher Jupp Heseding tritt in diesem Jahr nicht wieder für den Beirat an. „Wir haben uns entschieden, dass nun andere dran sind. Wir haben eine ganze Menge gemacht und es gibt Projekte, an denen ich vielleicht weiterhin beteiligt bin. Aber dann in einer anderen Rolle“, sagt er.
Und auch der Posten des Beiratssprechers wird nach den Beiratswahlen am 26. Mai neu besetzt sein: Nach mehr als 30 Jahren Beiratsarbeit, davon sechs als Sprecher des Gremiums, zieht sich Wolfgang Golinski zurück. „Ich bin in einem Alter, wo man sagt: Es gibt auch noch ein Leben nach dem Beirat“, sagt er dazu und setzt direkt nach: „Beiratsarbeit ist spannend, ich kann das nur jedem empfehlen. An den Stellschrauben im Stadtteil mitzudrehen – das ist wichtig. Mal verliert man, mal gewinnt man. Aber die Arbeit als Interessenvertreter für Walle ist höchst wichtig.“
Auch Golinskis Fraktionskollege Hans-Dieter Köhn tritt nicht mehr zur Wahl an. Kommunalpolitische Erfahrung ist in den Reihen der 17 SPD-Kandidaten gleichwohl vorhanden. So vertreten Brigitte Grziwa-Pohlmann, Hauke van Almelo und Nicoletta Witt, deren Namen sich auf Platz zwei bis vier der Liste finden, schon jetzt die SPD im Beirat und die Kandidaten Thorsten Jahn, Adelarisa Kedenburg, Christian Boiselle, Angela Stoklosinski, Sonja Kapp und Udo Schmidt sind bereits als Sachkundige Bürger dabei. Auf Platz eins tritt außerdem Jürgen Pohlmann an, der sich nach 20 Jahren als Bürgerschaftsabgeordneter und baupolitischer Sprecher der SPD-Fraktion nun schwerpunktmäßig der Ortspolitik zuwendet.
Auch aus den Reihen der CDU steht ein „Altgedienter“ in der kommenden Amtsperiode nicht mehr zur Verfügung: Jürgen Diekmeyer, seit 2011 im Beirat, zieht sich aus der Ortspolitik zurück. „Ich denke es ist Zeit, dass ein paar Neue drankommen“, sagt auch er. Immerhin: Mit Kerstin Eckardt – die sich aktuell schon als Sachkundige Bürgerin engagiert – dem aktuellen Fraktionssprecher Franz Roskosch, Peter Warnecke und Rolf Surhoff tauchen auf den ersten fünf Listenplätzen fast durchweg alte Bekannte auf. Nur Anja Meyer-Heder – Ehefrau des CDU-Bürgermeisterkandidaten Carsten Meyer-Heder – ist neu dabei.
Für Die Linke geht auf Platz eins Jörg Tapking ins Rennen, der als Fraktionssprecher mit den Themen im Stadtteil bereits vertraut ist. Vor der Viertplatzierten Cornelia Barth, die sich seit 2011 im Beirat engagiert, drängen auf Platz zwei und drei mit Caren Emmenecker und Roland Heinsch zwei Neue in das Gremium. Für die FDP kandidieren Marco Juschkeit, Jens Oldenburg und Klaus Peter Hübner, die regelmäßige Besucher bereits aus Beirats- und Fachausschusssitzungen kennen.
Eine Überraschung: Robert Teske, Vorsitzender der Jungen Alternative (JA) Bremen, der bereits zweimal vergeblich versucht hatte, als Sachkundiger Bürger in den Fachausschuss Überseestadt aufgenommen zu werden und von dem es gerüchteweise hieß, er solle Gerald Höns ersetzen beziehungsweise unterstützen, kandidiert bei der Beiratswahl nicht. Neben Höns stellt sich stattdessen Martin Stock zur Wahl. Für die BiW strebt außerdem Niklas Rabe ein Beiratsmandat an.
Wo die Wähler ihre jeweils fünf Kreuze machen und an wen die 17 Sitze im Waller Stadtteilparlament anschließend gehen, wird also durchaus spannend. Und dann?
Wenig grün in der Überseestadt
„Für mich ist ganz entscheidend, dass man die Überseestadt weiter im Fokus behält“, sagt Noch-Beiratssprecher Wolfgang Golinski, wenn er über die künftigen Themen nachdenkt: „Von Woche zu Woche ziehen dort neue Bewohner ein. Insbesondere wenn die Überseeinsel kommt, muss man daran denken, dass man genügend Kitas und Schulen hat und die soziale Infrastruktur stimmt. Bei der Marcuskaje und der Hafenpassage gibt es Defizite. Es fehlen eigentlich Freiflächen für Kinder und Jugendliche, der Überseepark ist weit weg und der Hilde-Adolf-Park gerade nicht benutzbar. Da muss was passieren.“ Außerdem müsse endlich das Einzelhandelskonzept für die Überseestadt umgesetzt werden, so Golinski: „Es gibt laufend Beschwerden, daran muss sich der zukünftige Beirat abarbeiten.“ Dass es im dem Quartier noch immer keinen Nahversorger gibt, trotz 11 000 Beschäftigten und bald 4000 Anwohnern – in Golinskis Augen ein Unding: „Es bietet sich an, auf dem Großmarktgelände etwas zu machen. Aber es läuft zäh und man greift nicht zu – dabei gibt es Investoren wie die Firma Grosse, die Angebote machen.“
Auch an der aktuell „gravierend schlechten“ Verkehrssituation müsse sich das Gremium abarbeiten, wobei „Walle Central“ – das von SPD und Grünen entwickelte Verkehrskonzept für Walles Zentrum – ein besonders wichtiges Projekt sei. „Verkehrspolitik ist ein ganz zentraler Punkt“, sagt auch Cecilie Eckler-von Gleich, die dabei sowohl „Alt-Walle“ als auch die Überseestadt und insbesondere den öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) im Blick hat. „Gerade weil wir dort eine enorme zusätzliche Belastung haben, muss sich in Sachen Walle Central etwas tun“, unterstreicht sie: „In Findorff oder im Ostertor kommt man mit dem Auto längst nicht mehr durch die Wohnquartiere. Aber in Walle schon.“
In der Überseestadt müsse man ein gutes Miteinander von Gewerbebetrieben inklusive LKW-Verkehren und Anwohnern finden: „Da ist nicht nur baulich, sondern auch mental viel Arbeit zu leisten.“ Das Grün in der Überseestadt – auch sie findet es mangelhaft. Außerdem müsste ihrer Ansicht nach Geld in die Entwicklung der Waller Feldmark als grüne Lunge fließen, wo es nun gleiches Recht für alle – Kleingärtner, Kaisenhausbewohner oder Bauwagengruppen – zu schaffen gelte. Ein pralles Paket also, bei dem der künftige Beirat laut Golinski darauf achten sollte, dass er weiterhin mit einer Stimme spricht. „Nur dann erreicht man was.“
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