Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Soziale Stadtentwicklung Wo Nachbarschaft wachsen kann

Wie werden aus Menschen, die sich bislang nicht kennen, Nachbarn? Indem sie miteinander reden, sich austauschen und besser kennenlernen. Zum Beispiel im "Jetzt hier" in der Überseestadt.
13.04.2022, 14:40 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Wo Nachbarschaft wachsen kann
Von Anne Gerling

Maria und Norbert Kaufhold sind vor acht Jahren in die Überseestadt gezogen – quasi mitten hinein in eine gigantische Großbaustelle. Bereut haben die beiden diese Entscheidung nicht, auch wenn aus dem Freundeskreis immer wieder Fragen kamen, wie sie den Lärm, den Dreck oder den Wind dort denn bloß aushielten. Anfangs habe sie sich ein bisschen wie eine Pionierin gefühlt, und das Leben in der Überseestadt sei spannend, schön und interessant, sagt Maria Kaufhold. Bis auf eines vielleicht: „In den großen Häusern sieht man sich eigentlich nur im Fahrstuhl oder in der Tiefgarage. Es ist etwas anonym, deshalb muss man etwas tun. Wir vermissen bisher Plätze, wo man sich treffen kann.“

Seit Anfang dieses Jahres gibt es nun neben dem Skatepark, der Überseekirche oder dem Strandpark Waller Sand einen neuen Ort, an dem sich Menschen treffen, austauschen, vernetzen und ihr Quartier mitgestalten können: Das Büro für Quartiersentwicklung „Jetzt hier“ im Erdgeschoss des Gewoba-Gebäudeensembles „Überseegärten“ am Kommodore-Johnsen-Boulevard  19, das am Freitag offiziell eröffnet wurde. Dort ist seit Januar Quartiersentwicklerin Svenja Weber anzutreffen, die Jung und Alt, Familien und Singles, Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zusammenbringen möchte. Der Name „Jetzt hier“ sei sehr bewusst gewählt worden, sagt die Soziologin mit einem Master-Abschluss im Bereich Stadt- und Regionalentwicklung: „Dieser Ort ist eine Momentaufnahme. Ein Punkt, der überall anders sein kann und jederzeit veränderbar ist. Dies ist mein Arbeitsplatz, es kann aber auch ein Café sein. Wir können hier gemeinsam ausprobieren, was gebraucht wird und was funktioniert. Das ,Jetzt hier' ist ein Trittbrett auf dem Weg zu einer funktionierenden Nachbarschaft. Und ich möchte alle einladen, vorbeizukommen.“

„Das soll hier ein Vernetzungsort werden“, unterstreicht auch Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne), deren Haus das Projekt über das Programm „Lebendige Quartiere“ fördert. Und sie sagt: „Die Überseestadt ist fünfmal so groß wie die Innenstadt. Der Senat bietet den Bürgerinnen und Bürgern hier einen Ort, wo man sich beteiligen kann. Wir wollen schauen, dass es hier lebendig ist und lebenswert wird." Dafür werden unter anderem regelmäßig Stadtteildaten gesammelt, so Stahmann: "Wir gucken, ob sich der Bedarf ändern. Am Anfang hatten wir hier zum Beispiel sechs Kinder, das hat sich geändert.“ Dass Svenja Weber unter anderem die Überseestadt zum Blühen bringen will, gefällt der Senatorin: „Ich wünsche mir auch, dass die Überseewiese nie bebaut wird, weil hier Spiel- und Grünflächen fehlen. Jeder, der hier im Sommer spazieren geht, merkt, wie sich das Pflaster hier aufheizt.“

"In der Nachbarschaft wohnen viele interessierte und engagierte Menschen“, hat Weber schon festgestellt: „Jedes Plakat, das ich ins Fenster hänge, wird bemerkt und abfotografiert. Die Leute kommen auch rein und fragen mich was.“ Bei zwei Nachbarschaftstreffen wurden Wünsche und Ideen für gemeinsame Aktivitäten wie zum Beispiel Pflanzaktionen oder eine Fahrrad-Demo gegen Autoposer gesammelt. Mitte März zogen fast 20 Engagierte los, um Müll aufzusammeln. Am Sonntag, 3.  April, ist Straßenflohmarkt in der Schwabensteinstraße und am 12.  April wieder ein offenes Treffen.

Trägerverein für Webers Stelle ist der Verein Kultur vor Ort, der vor 25 Jahren im benachbarten Gröpelingen aus der Taufe gehoben wurde und über den dort seitdem starke Strukturen entstanden sind. Vom Gröpelinger Fähranleger aus habe man in den vergangenen Jahren gut beobachten können, wie die Überseestadt näher und näher ans Wendebecken heranwuchs, sagt Lutz Liffers vom Vorstand des Vereins. Mittlerweile sei dort eine „internationale heterogene Stadtteilgesellschaft“ entstanden: „Seniorinnen und Senioren, junge Familien, Geflüchtete, viele junge Menschen mit Migrationsgeschichte, Jugendliche aus ganz Bremen im Skatepark und viele Tausende Beschäftigte, die hier täglich einpendeln. Das macht eine moderne Stadt aus.“ Nun gehe es darum, „dass diese kunterbunten und hoch diversen Menschen etwas Gemeinsames finden“, sagt Liffers: „Nachbarschaft braucht etwas, wo sie sich beweisen kann und Orte, wo die Menschen ihre unterschiedlichen Interessen sichtbar machen und einbringen können. Dann werden aus Nachbarschaften 'Machbarschaften'.“

Zur Sache

„Lebendige Quartiere“

Im September 2020 beschloss der Bremer Senat das Landesprogramm „Lebendige Quartiere“, für das zwei Millionen Euro zur Verfügung gestellt wurden. Das Programm ist dazu gedacht, das soziale Miteinander in Wohnquartieren zu fördern, Möglichkeiten zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen, die Chancengleichheit zu erhöhen und damit die Lebensbedingungen insgesamt zu verbessern. Über die Förderschiene „Quartiere im Werden“ unter dem Dach des Landesprogramms soll gezielt das soziale Miteinander in größeren Neubaugebieten wie zum Beispiel der Waller Überseestadt als eines der zentralen Stadtentwicklungsprojekte in Bremen unterstützt werden.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)