Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Besuchsverbote in Kliniken "Viele erleben Tage und Stunden, die kaum auszuhalten sind"

In vielen Bereichen sind Lockerungen der Corona-Schutzvorkehrungen angekündigt – nicht aber für Krankenhäuser und Pflegeheime. Eine schwierige Situation für Patienten, Angehörige und Seelsorgerinnen.
20.02.2022, 09:02 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Justus Randt

Kontaktbeschränkungen für Geimpfte gehören der Vergangenheit an. Was bleibt, sind die Besuchsverbote in fast allen Krankenhäusern. Und nach jetzigem Stand wird sich an den Corona-Regeln für Kliniken und Pflegeheime auch mit der dritten Stufe am 20. März noch nichts ändern. Das hat die Ministerpräsidentenkonferenz beschlossen. Fast zeitgleich hat Julia Kalscheuers Großmutter das St.-Joseph-Stift verlassen. In Kürze kann sie ihren 96. Geburtstag im Kreis der Familie feiern, mit ihrer Tochter, ihrer Enkelin und den Urenkeln. Die Wochen der Einsamkeit sind vorbei.  

„Anfangs, auf der normalen Station, durfte meine Mutter noch mit einer Ausnahmegenehmigung stundenweise zu Besuch kommen. Auf der Rehastation ging das nicht mehr“, sagt Julia Kalscheuer. Als Ende Januar das Fußballstadion geöffnet wurde, verstand sie Welt nicht mehr und stellte in einem Leserbrief die Sinnfrage, „ob ein geboosterter und getesteter Mensch eher auf eine Ausnahme hoffen darf als 10.000 Fans im Weserstadion“.

Ausnahmen vom Besuchsverbot sind bei besonderes berechtigtem Interesse zulässig. Und das liegt laut Bremer Corona-Verordnung „insbesondere bei Minderjährigen, Gebärenden, im Notfall, in palliativen Situationen, bei der Versorgung von stationären Langzeitpatientinnen und -patienten, Schwerstkranken und Sterbenden oder bei der Betreuung durch Sorgeberechtigte vor“. Ausnahmen müssten „individuell mit dem zuständigen Stationspersonal besprochen werden“, teilt das St.-Joseph-Stift mit.

Diakonie-Krankenhaus verhängt kein Besuchsverbot

Ähnliches gilt für die vier Häuser der Gesundheit Nord (Geno), das Rotes-Kreuz-Krankenhaus, die Paracelsus- und die Rolandklinik sowie das Klinikum Bremerhaven Reinkenheide. In der Seestadt können werdende Mütter von einer nahe stehenden Person begleitet werden und nach der Geburt täglich stundenweise Besuch bekommen.

Anders wird im Diakonie-Krankenhaus verfahren. Der Krisenstab, teilt Sprecher Ingo Hartel mit, habe kein Besuchsverbot verhängt. „Alle wissen aus dem ersten Lockdown, wie schwer es für die Bewohnerinnen und Bewohner in Seniorenheimen und die Patientinnen und Patienten in den Krankenhäusern war, keinen Besuch empfangen zu dürfen.“ Deshalb habe das Haus Regeln aufgestellt, die einen täglichen Besuch von höchstens einer Stunde ermöglichen „und gleichzeitig die bestmögliche Sicherheit unserer Patienten und Mitarbeitenden gewährleisten“.

Besucher müssen sich über ein Formular anmelden, außer dem vollständigen Impfschutz einen tagesaktuellen negativen Test nachweisen, ihren Ausweis zeigen, einen Besucherausweis mit sich führen, FFP2-Maske tragen sowie die Hygieneregeln befolgen. Auch draußen auf dem Klinikgelände.

Viele Kranke in Kliniken sind einsam

Nach wie vor sind viele Kranke in Kliniken einsam. Das geht Evelyn Globig-Meyer „als ehemaliger Krankenschwester unter die Haut“. Die Bremerin kritisiert, „dass manche das liberal regeln, andere rigide, da ist keine Struktur drin, wie Besuche gehandhabt werden. Man ist auf den guten Willen angewiesen, darauf angewiesen, dass der Arzt oder die Schwester die Arbeit auf sich nimmt.“ Ihr Anliegen ist es, „die Situation zu humanisieren“, wie sie sagt. „Der Patient sollte sich nicht dem System Krankenhaus beugen müssen, sondern Vorgabe für das System sein.“ Im Zusammenhang mit Corona-Regelungen heißt das für sie: „Ich erwarte auch Lockerungsmaßnahmen in den Krankenhäusern.“

Evelyn Globig-Meyer ist seit zehn Jahren Rentnerin, hat aber Kontakt zu vielen ehemaligen Kolleginnen.  „Die sind am Limit und können nicht mehr so pflegen, wie sie wollen“, weiß sie. Angehörige und Ehrenamtliche könnten die Profis entlasten. Ein Krankenhaus sei ohnehin kein abgeschotteter Ort. „Früh,- Spät-, Putz- und Essensdienst, Physio, Stationsarzt, Chefarzt, die Nachtwache – alle, die in die Patientenzimmer kommen, haben ja auch ein Privatleben, die leben nicht in einer sterilen Blase.“

Die Frustration ist groß.
Monika Wirthle, Krankenhausseelsorgerin am St.-Joseph-Stift

Monika Wirthle, Krankenhausseelsorgerin am St.-Joseph-Stift, ist „oft in der Bredouille“, das aus ihrer Sicht sinnvolle Sicherheitskonzept darlegen zu müssen, während allgemein die Zeichen auf Lockerungen stehen. „Wer gezwungenermaßen außerhalb des Systems Krankenhaus ist, dem ist das immer schwerer zu vermitteln. Die Frustration ist groß“, sagt sie. „Und für die, die drin sind, ist es hammerhart, für Patienten und die, die da arbeiten. Viele erleben Tage und Stunden, die kaum auszuhalten sind.“

Sie lebt mit dem „Dilemma: „Ich bin auf der Seite von Patienten und Angehörigen. Aber es geht mir auch um die schwer Erkrankten, die Schutz brauchen, und um die Beschäftigten.“ Eine andere Krankenhausseelsorgerin kommt dagegen ins Grübeln, wenn sie erlebt, welche Erwartungshaltung einige Angehörige haben: „Es gibt genug Situationen, in denen ich denke: Das müssen Menschen auch mal aushalten können.“

Und Julia Kalscheuers Großmutter? Glücklich wieder daheim, zeichnen sich weitere Probleme ab, die auch andere betreffen dürften: „Die Physio kommt nicht zu ihr nach Hause“, sagt die Enkelin. „Und ihr Hausarzt hat keine Zeit für Hausbesuche. Er hat ihr empfohlen, sich einen neuen Arzt zu suchen.“

Lesen Sie auch

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)