Morteza Eshghparast ist es gewohnt, mitten ins Elend zu springen. Der Aktivist der Bremer Hilfsorganisation "Help Dunya" war schon im bürgerkriegsgeplagten Somalia, in den Hungergebieten Westafrikas, in Bangladesch, um dort humanitäre Projekte zu starten. Aktuell hält er sich im polnisch-ukrainischen Grenzgebiet auf. Als in der vergangenen Woche die ersten Bilder vom russischen Einmarsch in die Ukraine und die einsetzende Flucht Hunderttausender Menschen im TV zu sehen waren, stand für Eshghparast und "Help Dunya" fest: Wir sind wieder gefragt.
Vor zwei Tagen ist der Aumunder mit iranischen Wurzeln an der Grenze zur Ukraine eingetroffen, in einem Örtchen namens Medyka. "Ganz schlimme Zustände sind das da", berichtet Eshghparast dem WESER-KURIER. Die wenigen Hotels, die es in der Gegend gibt, sind voll mit Flüchtlingen. "Man sieht den Leuten an, wie traumatisiert sie sind. Teilweise waren sie vier bis fünf Tage unterwegs und haben in der Zeit kaum geschlafen."
Er selbst verbrachte die Nacht auf Donnerstag im Auto. Am anderen Morgen fuhr er von der polnischen Seite in die Ukraine. Über Kontaktpersonen im Land hatte er sich zuvor informiert, was die Flüchtlinge tatsächlich brauchen. "Kleidung eher nicht", sagt Eshghparast. Am Grenzübergang beobachtete er, dass dort eingetroffene Kleiderspenden liegen geblieben sind. "Die Leute brauchen sie nicht oder haben schlicht keine Möglichkeit, sie zusätzlich zu ihrem Gepäck noch mitzuschleppen." Deshalb habe er sich entschieden, stattdessen Lebensmittel zu den Menschen in der Ukraine zu bringen. Rund 15.000 Euro will "Help Dunya" für diesen Zweck ausgeben. Fürs Erste jedenfalls, je nach Bedarf könne es auch mehr werden.
Es gehört zu den Merkwürdigkeiten der aktuellen Situation, dass es im Westen der Ukraine für ausländische Helfer noch möglich ist, die Grenze zu Polen ungehindert in beide Richtungen zu überqueren. Der Krieg hat dieses Gebiet noch nicht erreicht. Eshghparast konnte sich also in Polen mit Lebensmitteln eindecken, um sie auf die andere Seite zu bringen. Am Donnerstagnachmittag war er in der Großstadt Lwiw, dem einstigen Lemberg, etwa 60 Kilometer von der Grenze entfernt. Von dort wollte er weiter ins Landesinnere vorstoßen, um Konserven und andere haltbare Lebensmittel zu Bedürftigen in die ländlichen Gebieten zu bringen. "In Lwiw scheint man sich inzwischen darauf vorzubereiten, dass der Krieg näher kommt", berichtet der Aumunder Helfer. In den Außenbezirken hätten die Sicherheitskräfte Checkpoints eingerichtet. Er wolle schauen, wie weit er kommt, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Unterdessen ist ein weiterer Bremer in Polen unterwegs, um von dort eine ukrainische Familie nach Bremen zu holen. Peter Beck, Bürgerschaftsabgeordneter für die Bürger in Wut, engagiert sich privat. Seine Ehefrau ist Russlanddeutsche, sie hat Kontakte in die Ukraine. Er selbst kennt das Land ebenfalls, 2010/11 war er in Osteuropa als Bundespolizist beruflich unterwegs. Aus dieser Zeit stammt auch eine Bekanntschaft zu Alexander Lisowskaja, einem Ukrainer, der mit seiner Frau Jelena und den beiden Kindern Viktoria und Valeria in dem Dorf Kirowograd südlich von Kiew wohnt. Genauer gesagt: wohnte. "Als der Krieg begann, rief Alexander mich an und fragte, ob ich helfen kann", berichtet Beck. Am Donnerstagnachmittag gelang es ihm, die Mutter mit ihren beiden Kindern am Warschauer Bahnhof in Empfang zu nehmen.
Alexander Lisowskaja hielt sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Polen auf. Für die Familie war es offenbar höchste Zeit, sich aus Kirowograd abzusetzen. Dort wird bereits gekämpft, russische Artilleriegranaten schlugen in der Gegend ein. "Jelena und die beiden Kinder sind drei Tage unterwegs gewesen, und es war zwischendurch nicht klar, ob es ihnen gelingen würde, sich nach Westen durchzuschlagen", sagt Peter Beck. Schließlich hätten sie aber einen Zug besteigen können, der sie über Lwiw nach Polen brachte.
Am Donnerstagabend endete für die Mutter und ihre beiden Kinder die Odyssee. "Wir sind jetzt hier in einem Hotel in Warschau. Den Dreien war sehr kalt. Sie brauchten erst einmal eine heiße Dusche, und gleich gehen wir Abendbrot essen", berichtet Beck. An diesem Freitag soll es gemeinsam nach Bremen gehen. Die Becks verfügen über Wohnraum, in dem Familie Lisowskaja fürs Erste unterkommen kann. Vor der Abreise nach Deutschland übergibt Peter Beck eine Sachspende an eine Warschauer Hilfsorganisation. In Bremen hatten er und seine Frau in der russischen und ukrainischen Gemeinschaft Geld gesammelt und davon unter anderem 400 Kinderhandschuhe beschafft, die nun an Bedürftige verteilt werden sollen.