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Einer der Letzten seiner Art Unerreichbar: Der Funkturm in Walle

Der Funkturm auf dem Telekom-Grundstück in Walle ist einer der letzten seiner Art. 235 Meter ragt er in die Höhe und ist Zeuge einer veralteten Technik und vergangenen Ära.
22.05.2018, 21:22 Uhr
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Von Kristina Bellach

235 Meter ist er hoch, Zeuge einer vergangenen Ära: der Funkturm auf dem Telekom-Grundstück in Walle. „Das war ein Prestigeobjekt für Bremen, so einen schönen Marmorboden hat man sonst nicht“, weist Objektmanager Norbert Hermes auf das edle Foyer hin. Im Funkturm in staatlicher Hand seien in den Achtzigern die Spitzen der Bremer Politik zu Gast gewesen.

Die Deutsche Funkturm, Tochter der Telekom, besitzt und betreibt die Anlage; heute ist sie für die Öffentlichkeit geschlossen. Repräsentativ zeigt der Turm noch immer, wie er entstand. Fotos sind hier ausgestellt, von seinem frühesten Vorgänger, einem Holzgitterturm von 1933, dem Bau des Lulatsches. Hermes: „Das Fundament ist acht Meter dick, die Spundwände noch mal 26 Meter“. Hermes erklärt, warum man den Turm in fünf Abschnitten goss: „Das schützt bei Bränden, gegen Feuer und Rauchentwicklung. Früher haben sie 20 Kilowatt über 270 Meter Kabelwege geschickt, das konnte durchaus mal brennen.“ Und er zeigt Bilder, wie die Betriebskanzel nach oben kam: „Die wurde auf Erdebene gebaut und mit 24 Stahlseilen und hydraulischer Hebeanlage hochgehievt.“

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Als ein Hubschrauber 1986 die Antenne zur Montage hinauf flog, war das Werk vollendet. Hoch in den Zylinder gehen wir jedoch nicht. „Da oben ist digitales UKW und DVBT, das hat eine hochfrequente Strahlung.“ Unbefugten ist laut Regeln der Bundesnetzagentur ein Aufenthalt in weiterem Umkreis verboten.

Gemächlicher Fahrstuhl

Mit einem Meter pro Sekunde zuckelt der Fahrstuhl nach oben, zur Betriebskanzel in 108 Metern Höhe. Noch heute ist hier der Bereich für Richtfunk und analoges UKW. Fernsehprogramme von Radio Bremen sowie der UKW-Hörfunk werden hier abgestrahlt; ein Amateurfunkrelais gibt es auch. UKW bräuchte die Höhe, samt einer freien Zone ohne Häuser, Bäumen und Windkraftanlagen, die Erdkrümmung mit eingerechnet. „Man will so möglichst viel Fläche abdecken, mit möglichst wenig Standorten“, erklärt Hermes.

Wie eine Mutter versorgt der Funkturm kleinere Standorte in Hambergen, Verden, Bassum und Oldenburg, deren Antennen genau aufeinander ausgerichtet sind. In der großen Turmbauära der Sechzigerjahre benötigte man mehr Kapazität, um das gesamte Bundesgebiet zu versorgen. „Das ging sehr schnell über Richtfunk.“ Der alte Turm in der Neuenstraße hatte somit ausgedient.

Noch immer umarmen den Fahrstuhlschacht dicke, schwarze Hohlkabel für UKW und DVBT. Das mit fast 20 Zentimetern dickste Kabel läuft über 200 Meter. „Je länger der Weg, desto mehr Dämpfung. Da braucht es ein dickes Kabel, damit von Antenne zur Sendetechnik noch was ankommt“, erklärt Hermes. Die Glasfaserkabel erkenne man an ihrer Schlankheit. In den nicht mal fingerdicken Kabeln steckte zwölf Fasern. „Die können in Terabyte übertragen.“

Durch eine Tür geht es in ein Nebenzimmer. „Das war der Raum, wo man sich getroffen hat“, erinnert Hermes sich. Hier sei das Catering für Gäste aufgebaut worden. Ein altes Plakat preist den Tag der Architektur 2006 an, ansonsten ist der Raum öde. Eine Wand ist so nackt, dass man den Innenschaft des Turms berühren kann.

Ein- bis zweimal im Monat sei er hier oben, „wenn technisch was ist“, sonst arbeitet der Objektbetreuer im Büro. Dafür treffen im Betriebsgeschoss den Mann, der praktisch auf dem Turm lebt: Sven Eppler vom Wanderfalken-Schutzverein. Seit 13 Jahren ist er täglich hier, beobachtet und betreut die auf dem Turm seit langem angesiedelten Wanderfalken. Meistens hält er sich mit Wolldecke und Thermoskanne beim Nistkasten auf 98 Metern Höhe auf, wo eine Kamera das Leben der Vögel aufzeichnet. „Es ist der beste Standort in Bremen, alle Falken der Stadt streiten sich darum“, sagt Eppler. Nachdem beide Tiere in der Balz waren, hofft er auf ein gutes Gelege und darauf, den ersten Nachwuchs filmen zu können. „Wenn sie ausfliegen, herrscht hier richtig Spektakel.“

Grandioser Blick

Ist er nicht gerade den blitzschnellen Räubern auf der Spur, genießt Eppler auf der Galerie die Aussicht. Weit schweift der Blick, über die Kirchen der Innenstadt, zum Stadion, die Weser rauf und runter und hinauf in die grüne Weite des Teufelsmoors. „Ich habe 400.000 Fotos zu Hause, und jedes Mal gibt es wieder ein anderes Bild“, schwärmt Eppler.

Früher seien die Säulen um die Galerie mit Parabolspiegeln regelrecht zugepflastert gewesen, sagt Hermes. Heute hängen dort nur noch vereinzelt die gebogenen, silbern glänzenden Scheiben. „Der Richtfunk ist eine alte Technik, die aber sehr sicher ist“, sagt der 50-Jährige. Hauptkunde sei T-Mobile, deren Basistation für Mobilfunk sich hier befindet. Oft sei Glasfaser sehr teuer. Tiefbau kostet bekanntlich viel Geld, Regularien wie der Bau durch Naturschutz- oder Wohngebiete kommen dazu. „Da kann man Gebiete sehr gut per Richtfunk anbinden. Man braucht nur Spiegel auf beiden Seiten, das strahlt über fast alles rüber und kann 625 Megabyte pro Sekunde senden.“

Innen ist die Kanzel so groß ist wie ein halbes Fußballfeld, vor 30 Jahren war sie voll von Technik. „In den Anfangsjahren mussten Menschen rund um die Uhr hier sein“, zeigt Hermes auf den verlassenen Mannschaftsraum, der heute als Werkstatt für Techniker dient. In den Stahlschienen am Boden waren damals Gestellreihen der Sende-Empfangs-Einheiten verankert. Gegenwart und Vergangenheit stehen sich auch in der Klimatisierung gegenüber. „Früher hätte man den Raum kühlen müssen“, berichte Hermes, so viel Wärme strahlten die Geräte ab. „Heute heizt man hier.“ Die Nachtspeicheröfen, an kalten Wintertagen genutzt, stehen nahe der grauen Lüftungskästen, die niemand mehr braucht.

Technik wird immer kleiner

Weitere Relikte stellt der Objektmanager vor: die alte Übertragungstechnik, klotzige Kästen aus den Neunzigern, solche von vor zehn Jahren, und die ganz kleinen Gehäuse von heute. „Das ist die neue, die liefert 600 Megabyte pro Sekunde. Das ist der Unterschied: Die Leistung wird immer größer, die Technik kleiner.“ Vieles sei ausgelagert, aber: trotz steigender Standards, immer neuer Handygenerationen – die Basistechnologie der Kunden, die hier wie in einem Bürogebäude untergebracht ist, bleibt.

Über und über schlängeln sich an einigen Gestellen bunte Kabel an kleinen Pins die Einheiten entlang. Auf einen Strang kämen rund 1000 Verbindungen. „Es gibt einen Schaltplan, und die Techniker wissen, welcher Pin zu welchem Haushalt gehört.“ Um bei Dämmerlicht durch das Kabelgewirr zu finden, steht eine fahrbare Lampe bereit.

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Ein Telefon mit runder Wählscheibe und eine Verteilerwand lassen an die Dame vom Amt erinnern, die physische Verbindungen zur Kommunikation herstellte. Was da wie funktionierte? „Ich bin mit dieser Technik nicht groß geworden, das war vor meiner Zeit“, antwortet Hermes, der seit 1996 hier tätig ist. Vieles sei einfach nicht mehr zurückgebaut worden.

Der Waller Funkturm ist einer der letzten seiner Art. „Für Mobilfunk baut ja keiner mehr solche großen Türme, dafür reichen 40-Meter-Träger.“ Auf dem Weg zurück zum Fahrstuhl geht es an der ehemaligen Teeküche vorbei. „Wochenlang ist hier keiner, da steht das Wasser zu lange.“ Daher gibt es auch die Küche nicht mehr: Legionellengefahr.

Während es auf der Kanzel kalt und windig war, bläst auf der höchsten der vier Plattformen auf 138 Metern ein eisiger Sturm. Sich bildendes Eis falle auf die jeweils unterliegende Plattform, wo es dank Heizspiralen schmelze. Entwässerung und Ablaufrohre sind im Maschinengeschoss nahe der Schale der Betriebskanzel sichtbar. Die Paneele hier auf Plattform 4 gehörten zur Generation C-Netz, berichtet Hermes – dem letzten analogen Mobilfunk. Die Halterungen am Turm, die alten Kabelwege, „die waren alle einmal belegt“. Nun liegen sie verwaist. Es ist zu arktisch, niemand will hier draußen bleiben. Hermes kurbelt die Stahltür von innen per Hebel zu.

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