Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Stundenausfälle Unterrichtsausfälle durch kranke Lehrer nehmen zu

Die aktuelle Krankheitswelle macht auch vor Lehrern nicht Halt. Der Personalrat hält die krankheitsbedingten Unterrichtsausfälle für selbstgemachtes Leid der Bremer Bildungspolitik.
14.12.2022, 19:42 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Unterrichtsausfälle durch kranke Lehrer nehmen zu
Von Frank Hethey

Für Freudenjauchzer sorgt derzeit bei vielen Kindern der Blick auf die Stundenplansoftware. Fallen Stunden aus, sind die bunten Blöcke durchgestrichen. In diesen Wochen ist das häufig so – die grassierende Krankheitswelle setzt Lehrerinnen und Lehrer reihenweise außer Gefecht. An einigen Schulen sind nach Angabe des Personalrats mehr als die Hälfte der Lehrkräfte nicht mehr arbeitsfähig. Auf 20 bis 30 Prozent schätzt der Personalrats-Vorsitzende Jörn Lütjens die Zahl der insgesamt erkrankten Lehrkräfte.

Der hohe Krankenstand war eines der Themen, die am Mittwoch bei der Personalversammlung für alle Bremer Schulbeschäftigten in der ÖVB-Arena zur Sprache kamen. "Es gibt Schulen, die den Betrieb praktisch eingestellt haben", sagt Lütjens. Aus seiner Sicht ist der massive Stundenausfall aber kein unabwendbares Schicksal. "Das ist nur Ausdruck eines zu knapp ausgestatteten Systems. In solchen Situationen gerät es aus den Fugen." Lütjen fordert deshalb in Anspielung auf das US-Hilfsprogramm in den frühen Nachkriegsjahren "eine Art Marshallplan für Bildung". 

In die gleiche Kerbe schlägt die Bildungsgewerkschaft GEW. "Die Belastungsgrenzen sind längst erreicht und vielerorts überschritten", sagt Landessprecherin Barbara Schüll. Die hohen Krankenstände wie auch die "vielen Überlastungsanzeigen" und die "vielen Teilzeitanträge" sieht sie als direkte Begleiterscheinung der momentanen Situation. "Das Bildungs-Kartenhaus bricht zusammen." Fehlende Investitionen in den letzten Jahrzehnten hätten zu den "katastrophalen Zuständen" in den Bildungseinrichtungen geführt.

Die Vielzahl erkrankter Lehrer ist ein Spiegelbild der allgemeinen Lage. Seit mehreren Wochen registriert das Robert Koch-Institut (RKI) einen kontinuierlichen Anstieg akuter Atemwegserkrankungen. "Die Werte liegen aktuell sogar über dem Niveau der Vorjahre zum Höhepunkt schwerer Grippewellen", heißt es im aktuellen Wochenbericht. Weil Infektionen mit dem RS-Virus und andere Erkältungskrankheiten nicht meldepflichtig sind, stützt sich das RKI auf hochgerechnete Meldungen aus sogenannten Sentinelpraxen. Bei Influenzaviren beobachtet das RKI eine weiter steigende Tendenz, Ansteckungen mit dem RS-Virus seien dagegen rückläufig. Derzeit liegt die geschätzte Rate akuter Atemwegserkrankungen bundesweit bei 11,4 Prozent, in der Vorwoche waren es 10,2 Prozent.

Lesen Sie auch

Von Behördenseite gibt es auf Nachfrage keine aktuelle Auskunft zu Unterrichtsausfällen und erkrankten Lehrkräften. Auf der Website des Bildungsressorts ist momentan nur der Stand von September abrufbar. Damals lag die Quote der krankheitsbedingten Lehrerfehltage an den allgemeinbildenden Schulen bei 7,6 Prozent. Inzwischen dürfte die Quote spürbar angestiegen sein. Unter den erkrankten Lehrern machen die Influenzakranken aber vermutlich nur einen Bruchteil aus. Laut Gesundheitsressort wurden seit Beginn der Grippesaison Anfang Oktober in Bremen insgesamt 184 Influenza-Fälle gemeldet. In der Woche bis zum 4. Dezember registrierte das Gesundheitsamt 27 Neuerkrankungen.

Wie man es auch betrachtet, unbestritten ist: Es gibt viel zu wenig Lehrerinnen und Lehrer. Laut Lütjens sind momentan lediglich 90 Prozent des Lehrerbedarfs abgedeckt. Wobei noch nicht einmal eine hundertprozentige Ausstattung ausreichend sei. "Irgendeiner ist immer krank, es kommen Schwangerschaften und Fortbildungen hinzu." Daher sei eigentlich eine Personalausstattung von 106 bis 108 Prozent erforderlich, um einen reibungslosen Schulbetrieb zu gewährleisten. "Aber davon sind wir leider weit entfernt."

Lesen Sie auch

Den Zahlen der Bildungsbehörde zur personellen Ausstattung der Schulen misstraut Lütjens. Zumindest für einige Schulen könnten sie nicht stimmen. Nach seinen Angaben reicht die Spanne der Lehrerausstattung an Bremer Schulen von 60 bis 104 Prozent. "Nur ganz wenige Schulen haben 100 Prozent oder ein bisschen mehr." Die Folgen des chronischen Personalmangels seien zu große Klassen, soziale Probleme in den Klassen und permanente Arbeitsüberlastung des Personals. 

Der Bildungssenatorin will Lütjens allenfalls ein "paar Ansätze" zur Behebung der Lage an den Schulen zubilligen, darunter die Förderung des Quereinstiegs und den Vorstoß zur leichteren Anerkennung ausländischer Abschlüsse. In seinen Augen handelt es sich aber nur um "Notmaßnahmen" und "ein bisschen Flickschusterei". Der Dreh- und Angelpunkt sei mehr Personal, auch nicht-unterrichtendes Personal. Zugleich mahnt Lütjens mehr Fantasie bei der Arbeitsorganisation an, Lehrkräfte müssten von aufwendigen Verwaltungsaufgaben befreit werden. Als Beispiel nennt er die iPad-Dokumentation. "Das könnten auch Studierende machen." 

Von "dringend notwendigen Reformen" spricht auch die GEW. Zur Planung und Umsetzung bietet Schüll die Expertise der Gewerkschaft an, sie fordert gemeinsame Überlegungen zur Lösung der Misere. Ihr Appell: "Nehmen Sie unsere Sachkenntnis an." 

Zur Sache

Personalversammlung der Schulbeschäftigten

Zu einer zweistündigen Personalversammlung der Schulbeschäftigten kamen am Mittwoch nach Schätzung des Personalrats mehr als 2000 Menschen in die "gut besetzte" ÖVB-Arena. Unter ihnen auch Bildungssenatorin Sascha Aulepp (SPD), die eine Rede hielt und sich in einem Interview kritischen Fragen stellte. Die Bildungsgewerkschaft GEW nutzte die Personalversammlung zu einer Protestaktion. 

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)