Dagobert Biermann, Vater des Sängers und Lyrikers Wolf Biermann, wurde am 13. November 1904 in Hamburg geboren, 1939 nach Verurteilung wegen versuchten Hochverrats vom Volksgerichtshof (VGH) in Hamburg zu sechs Jahren Zuchthaus verurteilt und zum Absitzen der Strafe ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen überstellt. Im Januar 1943 wurde Biermann von der Bremer Gestapo nach Auschwitz deportiert und dort ermordet. Wer war Dagobert Biermann und was kann anhand seines Leidensweges über den nationalsozialistischen Polizei- und Justizapparat im Reich wie in Hamburg und Bremen aufgezeigt werden?
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Dagobert Biermann stammte aus einem jüdischen Elternhaus. Sein Bruder Karl, die Schwester Rosa und er besuchten in Hamburg die Talmud-Tora-Realschule. Mit 14 Jahren begann er eine Lehre auf der Großwerft Blohm & Voss. Hier trat er in die Metallarbeitergewerkschaft ein, in der die Kommunisten stark vertreten waren. Die Lehrlinge wählten Biermann zu ihrem Sprecher. Er konnte gut reden und machte sich für die Sache der Arbeiter stark. 1922 erhielt er seinen Gesellenbrief und gleichzeitig die Entlassung. Biermann stand auf einer "schwarzen Liste" politisch linksorientierter, unliebsamer Arbeiter. Erst 1935 bekam er wieder eine Arbeit, jetzt bei der Deutschen Werft AG, ebenfalls eine Hamburger Großwerft.
Im Kommunistischen Jugendverband Deutschlands (KJVD), der Jugendorganisation der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), lernte er Emma Dietrich kennen, deren Vater ein in Hamburg bekannter kommunistischer Aktivist war. 1927 heirateten Dagobert Biermann und Emma Dietrich. Beide waren aktive KPD-Mitglieder. Der erste aktenkundige Eintrag bei der Polizei stammt aus dem Jahr 1930. Bereits im November 1931 wurden Dagobert Biermann und ein Genosse wegen des Verteilens illegaler kommunistischer Druckschriften zu einer Geldstrafe verurteilt.
Reichstagsbrandverordnung und zweite Haft
Im August 1933 wurde Biermann erneut wegen Verteilens kommunistischer Flugblätter aufgrund der sogenannten Reichstagsbrandverordnung des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Mit dieser Verordnung wurden zahlreiche Verfassungsrechte außer Kraft gesetzt. Sie war ein zentrales Instrument, um politische Gegner zu verfolgen, sie in Gefängnissen und KZs zu inhaftieren und den Nazis den Weg in die Diktatur zu ebnen.
Von 1933 bis 1935 saß Biermann in der Strafanstalt Lauerhof bei Lübeck. Dort lernte er den ebenfalls inhaftierten Hamburger Rechtsanwalt Herbert Michaelis kennen. Auch Michaelis war Kommunist und Jude. Beide trafen sich im Sommer 1936 in Hamburg wieder. Michaelis hatte inzwischen eine Widerstandsgruppe gegründet, der sich Dagobert Biermann anschloss. Die Gruppe machte sich zur Aufgabe, im Hafen Rüstungslieferungen für das faschistische Spanien auszuspähen und dies über die Schweiz nach Paris in die Zentrale der KP weiterzugeben. Durch zwei eingeschleuste Nazi-Spitzel flog die Widerstandsgruppe um Michaelis auf, Biermann wurde am 28. März 1937 verhaftet.

Ein Bild aus besseren Tagen: Dagobert Biermann als Schlosser bei der Deutschen Werft in Hamburg (3.v.l. mit Zigarette), Hamburg, 1936.
Am 2. März 1939 verkündete der Volksgerichtshof (VGH) Urteile wegen Vorbereitung zum Hoch- und Landesverrat gegen Dagobert Biermann und sieben andere Mitglieder der Widerstandsgruppe um Michaelis. Der VGH war ein 1934 eingerichtetes Sondergericht der Nationalsozialisten, dessen Zuständigkeit primär in der Verfolgung von Hoch- und Landesverratsanklagen lag, er entschied als erste und einzige Instanz. Kennzeichnend für den VGH waren die späteren Schauprozesse, die Roland Freisler führte. Von 1934 bis 1945 wurden vor dem VGH 16.700 Personen abgeurteilt, 5200 Personen zum Tode verurteilt.
Dagobert Biermann wurde vom VGH zu sechs Jahren Haft und sechs Jahren Ehrverlust verurteilt. Als strafverschärfend wertete das Gericht seine Vorstrafen, die Verteilung kommunistischer Propagandaschriften und den Versuch, im Hamburger Hafen die Verladung von Kriegsgerät für Franco-Spanien auszuspähen. Gegen Michaelis verhängte der VGH die Todesstrafe, die am 14. Juni 1939 in Berlin-Plötzensee vollstreckt wurde.
Ab April 1939 in Bremen eingekerkert
Die Gestapo vernahm auch Dagobert Biermanns Frau Emma. Da ihr keine strafbaren Handlungen nachgewiesen werden konnten, wurde das Verfahren gegen sie im Dezember 1938 eingestellt. Nach der Verurteilung ihres Mannes beantragte Emma, wohl nicht zuletzt wegen ihres am 15. November 1936 geborenen Sohnes Karl Wolf, dass ihr Mann ins Zuchthaus Hamburg-Fuhlsbüttel verlegt werden möge, um dort seine Haftstrafe zu verbüßen. Der Antrag wurde abgelehnt.
Am 1. April 1939 traf Dagobert Biermann im Zuchthaus Oslebshausen ein. Direktor war der SA-Führer Werner Wegener, der aus Hamburg stammte. Das Zuchthaus in Oslebshausen gehörte mit durchschnittlich mehr als 400 Strafgefangenen zu den großen Haftanstalten im Reich. Es war für Gefangene mit hohen Freiheitsstrafen vorgesehen. Seit 1938 wurden in der Strafanstalt auch Juden inhaftiert, möglicherweise aufgrund der NS-Rassegesetze und der Reichspogromnacht vom 9./10 November 1938. 1939 waren in Oslebshausen 54 Juden eingekerkert, Dagobert Biermann war einer von ihnen.
Im Gefangenenbuch der Strafanstalt war bei Dagobert Biermann als Strafende der 2. April 1943 vermerkt. Bei Religion stand "ohne". In seinem Prozess hatte Biermann allerdings ausdrücklich laut und vernehmlich darauf hingewiesen, dass er Jude sei. In Oslebshausen wurde er nach weiteren Erkundigungen der Gestapo in die "Judenabteilung" des Zuchthauses verlegt. Zuvor war er zum Torfstechen ins Teufelsmoor abkommandiert worden, wo er elf bis zwölf Stunden täglich Schwerstarbeit leisten musste. Mehrmals brach er, wie sein Sohn in seiner Autobiografie schreibt, wegen Entkräftung zusammen.
Praxis der Gestapo war es, einen Fall nach Verkündung des Urteils nicht zu den Akten, sondern auf "Wiedervorlage" zu legen, um einen zur Entlassung anstehenden Gefangenen gegebenenfalls in Schutz- oder Lagerhaft zu nehmen oder ins KZ zu verschleppen. Seit 1935 war dafür nicht ausschließlich die Gestapo in Berlin zuständig; diese Maßnahmen konnten auch von den regionalen Gestapo-Stellen, also auch von der Bremer Gestapo, durchgeführt werden. Nach Berlin war nur noch der Vollzug zu melden.
Im Januar 1943 erhielt Emma Biermann einen Brief, in dem ihr Mann schrieb, dass ihm eine "nicht Gutes verheißende Reise bevorstünde". Durch diese Nachricht beunruhigt, versuchte Emma einen früheren Besuchstermin als vorgesehen zu erhalten. Der damalige Zuchthausdirektor Paul Stoffel lehnte den Antrag mit Verweis auf ihren nächsten Termin am 7. Februar 1943 ab. Als sie an diesem Tag erschien, wurde ihr mitgeteilt, dass ihr Mann nicht mehr im Zuchthaus sei und über seinen Verbleib keine Auskunft erteilt werden könne. Ein älterer Bediensteter ließ Emma Biermann wissen, dass am 14. Januar 1943 ein Transport nach Auschwitz abgegangen sei. An diesem Tag wurden aus Oslebshausen 27 Juden, die auf einer Liste im Gefangenenbuch vermerkt sind, auf Anordnung der Bremer Gestapo nach Auschwitz verschleppt. Dagobert Biermann stand an zweiter Stelle auf dieser Liste.
Die Gestapo Bremen teilte Emma Biermann schließlich mit, dass ihr Mann am 22. Februar 1943 um 7 Uhr an Herzklappenversagen gestorben sei. Sie erhielt eine am 16. April 1943 ausgestellte Sterbeurkunde vom Standesamt Auschwitz. Bis zuletzt versuchte Dagobert Biermann, Frau und Sohn in seinen Briefen aufzumuntern, ihnen den Glauben an einen guten Ausgang und eine bessere Zukunft zu vermitteln. "Viel Schweres bringt uns diese Zeit und doch ist es notwendig. Wenn sie nur das Gute in ihrem Gefolge hat und es kann und wird nicht anders sein."
Emma Biermann war eine mutige Frau, die sich ebenfalls am Widerstand gegen die Nazis beteiligte, wie ihr Sohn Wolf Biermann in seiner Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ beschreibt. Sie starb 2004 mit 90 Jahren in Hamburg.