"Du sollst nicht bei einem Manne liegen wie bei einer Frau; es ist ein Gräuel." Es sind Bibelstellen wie diese (3. Buch Mose, 18.22), mit denen Olaf Latzel seine Ablehnung der Homosexualität begründet. Er habe nichts gegen homosexuelle Menschen, betont der Pastor der St.-Martini-Gemeinde. Doch die Homosexualität selbst sei eine Sünde, da gebe es in der Bibel kein Vertun. Und weil er dies manchmal, wie er selbst einräumt, "in einer sehr harten Sprache" zum Ausdruck bringt, etwa von "teuflischer Homo-Lobby" und von "Gender-Dreck" spricht und von "diesen Verbrechern vom Christopher-Street-Day", steht der Pastor nun zum zweiten Mal vor Gericht – angeklagt wegen Volksverhetzung.
Das Medieninteresse ist ungebrochen, mehr als 20 Journalisten drängen sich im Saal 218 des Landgerichts, wo die Berufungsverhandlung stattfindet. Deutlich geringer fällt das Publikumsinteresse aus. Bildeten sich beim ersten Prozess im November 2020 noch lange Schlangen vor dem Gerichtssaal, so verliert sich diesmal ein knappes Dutzend Frauen und Männer in den Besucherreihen. Und noch etwas ist anders: Hielten sich damals bei den Zuschauern Gegner und Befürworter des Pastors zahlenmäßig in etwa die Waage, so kommen die meisten Besucher, wenn nicht sogar alle, diesmal aus dem Lager des angeklagten Pastors.
Von seinen Kritikern fehlt im Gerichtssaal jede Spur, und ein wenig scheint sich dies auch im Prozess selbst fortzusetzen. Die Staatsanwaltschaft sagt wenig an diesem Morgen. Ein klares Nein zur Frage, ob das Verfahren gegen Zahlung einer Geldauflage eingestellt werden könnte, ansonsten überlässt die Vertreterin der Anklage das Feld der Verteidigung. Was diese zu einer ausgiebigen Bibelstunde im Gerichtssaal nutzt. Von der weit über einstündigen Verlesung der Begründung für die Berufung, gespickt mit Stellen aus der Bibel, die die Position Latzels zur Homosexualität untermauern sollen, bis hin zur persönlichen Befragung des Mandanten über Gott, den Teufel und 2000 Jahre Kirchengeschichte.
Verteidigung will Freispruch
In erster Instanz wurde Olaf Latzel zu drei Monaten Haft verurteilt, umgewandelt zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen à 90 Euro. Die Berufung, das stellt die Verteidigung am Montag klar, zielt auf einen Freispruch. Latzels Handeln erfülle nicht den Tatbestand einer Volksverhetzung, denn die setze ein absichtliches, zielgerichtetes und noch dazu böswilliges Handeln voraus, betont der Anwalt des Pastors. Weder habe Latzel zum Hass aufgestachelt, noch die Menschenwürde anderer angegriffen. Und auch von der Störung des öffentlichen Friedens könne keine Rede sein.
Zudem stammten die umstrittenen Äußerungen zur Homosexualität aus einem internen Eheseminar der St.-Martini-Gemeinde und hätten nie über den Youtube-Kanal Latzels veröffentlicht werden sollen. Der Mitschnitt sei nur versehentlich online gestellt worden. Zwar mit Billigung Latzels aber ohne aktives Zutun seinerseits. Wenn überhaupt, könne man ihm Fahrlässigkeit vorwerfen. "Aber fahrlässige Volksverhetzung gibt es nicht."
Tatsächlich hatte Latzel den Teilnehmern des Eheseminars sogar ausdrücklich zugesagt, dass der Mitschnitt nicht online gestellt würde, was vor Gericht zwei von ihnen als Zeugen bestätigten. Daran habe er aber nicht mehr gedacht, als ihn ein Mitarbeiter ein halbes Jahr später gefragt habe, ob er das Eheseminar wie alle seine Predigten nicht auch online stellen solle, sagt Latzel im Rahmen einer persönlichen Erklärung vor Gericht. Als er diesen Fehler bemerkte, habe er den Mitschnitt sofort aus dem Netz genommen und sich öffentlich dafür entschuldigt, dass seine Äußerungen missverstanden und Menschen verletzt haben könnten. "Ich möchte niemanden ausgrenzen, das ist mir ganz, ganz wichtig." Diese Entschuldigung sei im Übrigen ebenfalls online gestellt und von 73.000 Zuhörern abgerufen worden.
Ja, er halte Homosexualität für eine Sünde, sagt Latzel vor Gericht. Ein Punkt, an den er gebunden sei, denn so stehe es in der Bibel, dem unfehlbaren Wort Gottes. Doch gegen homosexuelle Menschen habe er nichts. Im Gegenteil: In seiner ehemaligen Gemeinde im Siegerland habe er einst 30 Kirchenaustritte in Kauf genommen, weil er darauf beharrt habe, dass ein homosexueller Mann im Kirchenchor mitsingen dürfe. Und auch in der St.-Martini-Gemeinde gehörten Homosexuelle "ganz selbstverständlich zu unserer Kirche".
Sein Ärger über "die Verbrecher", die beim Christopher-Street-Day herumliefen, rühre alleine von den aggressiven Attacken, Sachbeschädigungen und Drohungen her, mit denen er persönlich und seine Gemeinde seit Jahren aus der LGBTQ-Szene überzogen würden. Die Teilnehmer am Eheseminar hätten dies als "Insider" richtig einordnen können. Zustimmung bei den Zeugen. "War klar, wie das gemeint war", sagt einer von ihnen. Und bestätigt Olaf Latzel noch in einem weiteren Punkt: "Wir haben Homosexuelle in der Gemeinde. Die werden behandelt wie alle anderen auch."
Die Verhandlung wird am 13. Mai fortgesetzt. Gehört werden sollen dann zwei theologische Sachverständige.