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Vor 80 Jahren Als ein apokalyptischer Feuersturm im Bremer Westen tobte

Vor 80 Jahren, in der Nacht vom 18. auf den 19. August 1944, erlebte Bremen seinen schwersten Bombenangriff. Auch Propagandaminister Joseph Goebbels nahm Notiz von dem Geschehen.
17.08.2024, 05:00 Uhr
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Als ein apokalyptischer Feuersturm im Bremer Westen tobte
Von Frank Hethey

Wenige Stunden nach dem Bombeninferno im Bremer Westen inspizierte ein Luftschutzoffizier das "Schadensgebiet" in Walle, wie es im schönsten Bürokratendeutsch in seinem Bericht heißt. In der Morgendämmerung bewegte er sich behutsam in der Straßenmitte. Wegen der anhaltenden Hitzestrahlung habe man nur dort und auch nur unter Schwierigkeiten gehen können. Dabei waren die meisten Häuser schon längst völlig ausgebrannt, die nächtliche Feuersbrunst weitgehend erloschen. Und doch dürfte die Luft geflimmert haben, dürfte das Atmen schwergefallen sein. "Die Trümmer glühten zum Teil noch." Ein Hauch von Pompeji lag über den eingeäscherten Stadtvierteln. "Die Straßen waren mit einer dichten Schicht feinen, grauen Staubes bedeckt, unter der die Kantsteine fast verschwanden."

Der Bericht lässt die Ausmaße des verheerenden Bombenangriffs erahnen, der vom 18. auf den 19. August 1944 vor allem das Stephaniviertel, das Hafenquartier, Walle, Utbremen und Teile von Findorff in Schutt und Asche legte. Die zahllosen Einzelbrände hatten erst einen Flächenbrand und dann einen "Feuersturm" entfacht, gegen den die Feuerwehr machtlos war. Das apokalyptische Geschehen vor 80 Jahren konnte auch das NS-Parteiorgan nicht bemänteln. "Unser schönes Bremen erlebte in der Nacht zum Sonnabend seinen bisher schwersten Luftangriff", meldete die Bremer Zeitung, deren Redaktionsräume am Geeren ebenfalls betroffen waren. Der "brutale Terrorangriff" der "anglo-amerikanischen Luftgangster" habe 414 Menschen das Leben gekostet. Unter ihnen als prominentestes Opfer der allseits geschätzte Kustos der Kunsthalle, Wilken von Alten, der von niederstürzenden Mauertrümmern erschlagen wurde. "Diese Verluste werden sich noch erhöhen", prophezeite die Bremer Zeitung. Eine zutreffende Vorhersage: Am Ende wurden 1054 Tote gezählt.

Der 18. August war in Bremen ein ungewöhnlich schwüler, drückender Tag. Auch im fernen Berlin stöhnte Propagandaminister Joseph Goebbels über das heiße Spätsommerwetter, "diese infernalische Hitze, die einem einfach das Gehirn ausdörrt". Die Vorgänge in Bremen blieben ihm nicht verborgen. "In der letzten Nacht sind die Engländer wieder über Bremen gewesen", vermerkte er in seinem Tagebuch. "Auch hier haben sie große Schäden hervorgerufen." Nur zwei Feindflugzeuge seien abgeschossen worden. Das lag zu seinem Bedauern an einem neuen Störmanöver der Engländer – vor allem durch reflektierende Stanniolstreifen wurde das deutsche Radarsystem mehr oder weniger lahmgelegt. Erst im Raum Emden-Meppen sei der Angriff infolge "sehr starker Gerätstörungen" erkannt worden, deshalb hätten die Nachtjäger nicht mehr rechtzeitig eingesetzt werden können. Mindestens einer war aber doch aufgestiegen – und wurde versehentlich von der eigenen Flugabwehr vom Himmel geholt. Das berichtet der frühere Staatsrat Klaus Franzen, damals Flakhelfer, in seinen Erinnerungen.

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Nach einer halben Stunde drehte die aus 274 Maschinen bestehende Bomberflotte gegen 0.30 Uhr ab. Binnen zehn bis zwölf Minuten brachen nach Angabe des Luftschutzoffiziers die Telefonverbindungen in den Bremer Westen zusammen. Als er sich selbst an den Ort des Geschehens begeben wollte, kam er nicht sonderlich weit – der Feuersturm war schon ausgebrochen, der Aufenthalt im Freien lebensgefährlich. "Der Feuersturm simuliert kurzfristig einen anderen Planeten, dessen Lufthülle keine Organismen zulässt", schreibt der Historiker Jörg Friedrich in "Der Brand", seinem Buch über Deutschland im Bombenkrieg.

Die eintreffenden Feuerlöschzüge habe er anhalten und umdirigieren müssen, so der Luftschutzoffizier, "da eine Weiterfahrt den sicheren Tod bedeutet hätte". Dagegen tat die Bremer Zeitung so, als habe man sich durchaus zu helfen gewusst: "Die Feuerlöschzüge und die Löschmannschaften der Einsatztrupps konnten ihre Löschgeräte so anschließen, daß sie dem Feuerorkan an zahlreichen Stellen mit Aussicht auf Erfolg entgegentreten konnten."

Die verbreitete Verzweiflung und Kriegsmüdigkeit konterte die Bremer Zeitung mit einem Lobgesang auf die Einsatzbereitschaft der Hitlerjugend (HJ). Mit "unerhörtem Schneid" hätten die Jungen in den "Feuerkampf um Straßen und Häuserreihen" eingegriffen, teils seien sie auf eigene Faust losgezogen. "Es war bezeichnend, daß die betroffenen Volksgenossen sofort wieder Mut faßten, wenn Hitler-Jungen zur Stelle waren." Ob die Eltern davon begeistert waren, kann man der Berichterstattung nicht entnehmen. Vom heroischen "Feuerkampf" weiß Horst Pusitzky nichts zu berichten. Der damals Elfjährige gehörte dem Jungvolk an, der HJ-Unterorganisation für zehn- bis 14-Jährige. Seiner Erinnerung nach wurden er und zahlreiche andere Jungen nach einem HJ-Appell im Domshof-Bunker eingepfercht. "Da haben wir dann dicht an dicht gestanden", sagt der 91-Jährige.

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Nur drei Tage nach der Bombennacht erging ein Aufruf an die Bremer Eltern, ihren Nachwuchs sofort in die Kinderlandverschickung (KLV) zu entsenden, also in bombensichere Gebiete. Bremen sei Frontgebiet, Kinder gehörten nicht in die Kampfzone. "Wahre Elternliebe verlangt heute gebieterisch, alle Kinder aus Bremen zu entsenden." Anders als man annehmen könnte, war die KLV für zumeist zehn- bis 14-Jährige keine Zwangseinrichtung, es wurde aber starker Druck ausgeübt. Auch auf die Mutter von Pusitzky. Am 11. September 1944 gab sie nach und setzte sich mit ihrem Sohn in einen Zug, das Ziel war ein KLV-Lager im sächsischen Pirna. Nach Hause kehrte sie nie wieder zurück, sie kam bei einem Tieffliegerangriff auf den haltenden Zug nahe Hannover ums Leben. Pusitzky verbrachte die restliche Kriegszeit nicht im KLV-Lager, sondern auf eigenen Wunsch zumeist in Bremen.

Zu diesem Zeitpunkt lebte Werner Kammann aus Gröpelingen schon ein Jahr bei seinen Großeltern in Barnstorf. Gröpelingen blieb am 18./19. August weitgehend verschont. Doch ausgerechnet sein Elternhaus wurde von einer verirrten Brandbombe getroffen. "Wir wurden als einzige im ganzen Viertel ausgebombt", sagt der 91-Jährige. Von den damaligen Ereignissen hörte er später viel aus zweiter Hand. Unter anderem vom Schicksal der Menschen im Hochbunker Zwinglistraße in Walle. "Die Mauern waren so heiß, dass man sie mit Wasser abkühlen musste."

Von diesem Bunker ist auch im Bericht des Luftschutzoffiziers die Rede. Vergeblich versuchte er, eine Wassergasse zum Bunker zu legen, um den Insassen einen Fluchtweg zu öffnen. Nicht anders erging es ihm, als er gegen 1.40 Uhr den ebenfalls vom Feuer eingeschlossenen Bunker Grenzstraße erreichen wollte. "Wir kamen bis zum Straßenkreuz Grenzstraße-Steffensweg, mußten dort aber wegen der äußerst starken Hitzestrahlung und wegen des vom Feuersturm sprühenden Funkenregens umkehren." Von glühenden Phosphorflocken wie in einem heftigen Schneesturm berichteten Überlebende, die sich aus ihren brennenden Häusern in Sicherheit zu bringen suchten. Aus dem Straßenpflaster seien bis zu 20 Zentimeter hohe Flammen emporgeschossen, flüssiger Teer habe im Rinnstein gewabert.

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Geradezu schizophren erscheint die Berichterstattung der Bremer Zeitung am 21. August 1944. Während im Lokalteil der "brutale Terrorangriff" auf Bremen gegeißelt wurde, prahlte der Titelaufmacher mit der Wirkung der V 1-Raketenangriffe auf London. Eine fliegende Bombe sei mitten in einem lebhaft besuchten Geschäftsviertel niedergegangen. "Dabei wurden viele Fußgänger auf der Straße, Käufer in den Geschäften und Omnisbusfahrgäste verletzt, verschüttet oder getötet, während Omnibusse in der Luft herumflogen." Wie anders dagegen die Anteilnahme bei den eigenen Verlusten. In einer ganzseitigen Anzeige gedachte Gauleiter Paul Wegener fünf Wochen nach der fatalen Sommernacht der "Volksgenossen", die im August und September 1944 bei "Terrorangriffen" ihr Leben gelassen hätten. Darunter Elsbeth Pusitzky, die Mutter des damals elfjährigen Horst.

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