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Weservertiefung Die große Sorge um Flüsse, Flora und Fauna

Damit die dicken Pötte unabhängig von der Tide den Containerterminal Bremerhaven anlaufen können, soll die Außenweser wieder vertieft werden. Bremens Deichhauptmann Schirmer nennt die Entwicklung dramatisch.
09.05.2022, 11:11 Uhr
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Die große Sorge um Flüsse, Flora und Fauna
Von Jürgen Hinrichs

Vor gut zwei Jahren hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das den Weg für ausgewählte Infrastrukturprojekte verkürzt, zum Beispiel dadurch, dass mögliche Klageverfahren nicht mehr durch alle Instanzen laufen, sondern gleich von den höchsten Gerichten erledigt werden. In den Katalog aufgenommen wurde unter anderem die geplante Weservertiefung. Für den Containerterminal Bremerhaven soll durch das Baggern erreicht werden, dass Schiffe mit einem Tiefgang von bis zu 13,50 Metern unabhängig von der Tide abgefertigt werden können. Im Laufe des kommenden Jahres dürften die Planunterlagen nach Einschätzung der Behörden fertig sein. Dann müsste der Bundestag beschließen.

Gegen die Entscheidung kann geklagt werden. Einmal hatte der BUND damit bereits Erfolg; 2016 erklärte das Bundesverwaltungsgericht den Planfeststellungsbeschluss zur Vertiefung der Weser für rechtswidrig.

Die Hafenwirtschaft drängt massiv darauf, den Fluss so zu optimieren, dass in Bremerhaven ähnliche Verhältnisse geschaffen werden wie in den Konkurrenzhäfen Antwerpen und Rotterdam. Seitdem es unter der Ägide von Bremen und Niedersachsen den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven gibt, neuerdings auch noch mit Beteiligung der Hamburger Reederei Hapag-Lloyd, könnte allerdings ein entscheidendes Argument für die Vertiefung der Außenweser weggefallen sein.

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Im Zuge der Flussvertiefungen ist der Tidenhub der Weser extrem angestiegen – von ehemals einem halben Meter auf heute 4,20 Meter. Die Folgen: deutlich stärkere Strömung in der Fahrrinne, kürzere Laufzeiten der Sturmfluten von der Nordsee bis nach Bremen und die Verschlickung von Nebenarmen, Stränden und Bootshäfen. Die salzige Brackwasserzone hat sich immer weiter  flussaufwärts verschoben. "Leidtragende dieser Verschlechterungen sind Deichschutz, Landwirtschaft, Fischerei, Freizeitnutzung und vor allem die natürlichen Lebensräume mit ihren charakteristischen Tieren und Pflanzen", beklagt der BUND.

Die Wümme im wilden Wechsel

Der Pegel ist weit unten, aber es geht noch tiefer, wie die nächste Stunde zeigen wird. Das Wasser sinkt und sinkt, als ob jemand den Stöpsel gezogen hätte. Man kann dabei zusehen, wie in der Bucht am anderen Ufer langsam der Schlick zum Vorschein kommt. Ein Spiel der Gezeiten, und was dabei gilt, sind die Regeln der Natur. Der Rhythmus bleibt gleich, für immer und ewig, seine Folgen aber nicht, sie sind außer Rand und Band. Die Wümme ist schon längst kein träger Fluss mehr, sondern im wilden Wechsel zwischen Ebbe und Flut. "Dramatisch", sagt der Deichhauptmann und schlägt Alarm: "Die Entwicklung droht, unkalkulierbar zu werden."

Die Entwicklung droht, unkalkulierbar zu werden.

Michael Schirmer steht am Deich in Niederblockland und sagt, dass er langsam genug hat: "Ich nehme kein Blatt mehr vor den Mund." Klare Kante gegen die Hafenwirtschaft und willfährige Politiker, denen die Natur nur insofern wichtig sei, als dass sie ein Hindernis sein könnte. Die Außenweser soll ein weiteres Mal vertieft werden, um auch die dicksten der dicken Pötten zum Containerterminal in Bremerhaven zu lotsen. Das ist der Plan. Und dagegen geht Schirmer an.

Der 78-Jährige ist im vorigen Jahr noch einmal in sein Amt im Bremischen Deichverband am rechten Weserufer gewählt worden. Er hat im Februar für sein Engagement das Bundesverdienstkreuz bekommen. Viel Ehr', gewiss. Viel Feind' darf es nun aber ruhig auch sein, wenn es nach ihm geht. Schirmer kämpft: "Die täglichen Gezeiten in Lesum und Wümme sind mittlerweile so unnatürlich und aggressiv, dass wir eine weitere Weservertiefung strikt ablehnen."

Zwischen Ebbe und Flut liegen in den beiden Nebenarmen zweieinhalb Meter. Das ist ein Meter mehr als vor 20 Jahren. Der Tidenhub ist im wahren Sinne mitreißend: "Die Schilfkanten brechen weg", sagt Schirmer. Eine Erosion, durch die das europäische Naturschutzgebiet "Untere Wümme" zunehmend seine Substanz verliere. Außerdem müssten dort, wo der Fluss in den Kurven die Deiche berührt, immer längere Uferbefestigungen mit großen Mengen an Schüttsteinen hergestellt werden.

"Da ist viel zu viel Energie im System", erklärt der Deichhauptmann. Die Wümme mal hoch und dann wieder radikal runter. Alle sechs Stunden wechseln sich Ebbe und Flut ab, in einer Weise, die den Fluss stresst und nicht nur ihn, sagt Schirmer: "Die Pflanzen und Tiere leiden genauso." Mit dem Röhricht verschwinde der Laich- und Brutplatz für Fische und Vögel. Der Schilfgürtel sei existenziell für die Vielfalt von Flora und Fauna an der Wümme.

Manchmal geht das über Nacht, dann ist so ein Baum einfach weg.

Ein Stück weiter den Fluss hinunter stehen Bäume am Ufer, die offenkundig in Not sind. Erlen und Weiden zeigen ihr Innerstes, mächtige Wurzeln, die blank in der Sonne liegen und nicht mehr lange Halt geben. "Manchmal geht das über Nacht, dann ist so ein Baum einfach weg", weiß Schirmer. Ein Idyll sei in Gefahr, "das ist ein Schatz, den wir hier haben." Während  er das sagt, kreist ein Kormoran über dem Fluss und hält Ausschau nach Beute. Die Sonne scheint, das Schilf leuchtet – eine Landschaft wie aus dem Bilderbuch.

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Hilfe für den Sanierungsfall

Bremens Umweltsenatorin Maike Schaefer (Grüne) hatte früh gewarnt: Der untere Teil der Wümme drohe „wegen der wegbrechenden Ufer zu einem hydrologischen und biologischen Sanierungsfall zu werden“. Schaefer steht mit dieser Einschätzung in einer Linie mit den Experten von zwölf Naturschutz- und Wasserverbänden und dem Bremischen Deichverband am rechten Weserufer. Gefahr in Verzug, so der Tenor. Eile geboten!

Also wurde für den Fluss ein Rettungsplan entwickelt, um zum Beispiel wieder Flachwasserbereiche zu schaffen, die nicht trockenfallen und den jungen Fischen deshalb ein ideales Refugium bieten. Die Wümme sozusagen zurück zur Natur. Das war vor zwei Jahren – eine erste Skizze entstand, was getan werden solle, mit welchem Aufwand und für welchen Zeitraum. Sie diente als Grundlage, um sich für Fördermittel aus dem Bundesprogramm Blaues Band Deutschland (BBD) zu bewerben. Das zuständige Bundesamt für Naturschutz in Bonn schätzte die Chancen damals als gut ein. Doch das war es dann erst einmal. Einen Bescheid hat es bisher nicht gegeben.

Gefahr in Verzug, so der Tenor. Eile geboten!

Mit der Bewerbung beauftragt ist die Bremer Stiftung Nordwest Natur. Sie hat nach der ersten Runde in dem Verfahren für die „Auenlandschaft Untere Wümme“ mittlerweile einen formellen Antrag vorbereitet. Gleichzeitig bemüht sich die Stiftung bei den Ländern Bremen und Niedersachsen um Zuschüsse, denn ohne sie wird es nicht geben. Das Bundesamt für Naturschutz macht solche Eigenmittel zur Voraussetzung, wenn aus seinem Säckel Geld fließen soll.

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Das Projekt mit einer geplanten Laufzeit von etwa sieben Jahren umfasst nach Darstellung der Bremer Umweltbehörde entlang der Wümme rund 77 Hektar in zehn Teilbereichen. Etwa 61 Hektar liegen auf bremischem Gebiet, der Rest auf niedersächsischem. Als Kosten sind bei einer Laufzeit von sieben Jahren rund 7,5 Millionen Euro veranschlagt. Sie werden zu 75 Prozent vom Bund getragen, den Rest übernehmen die Stiftung, Bremen und Niedersachsen. Der Antragsentwurf von Januar ist in den Monaten darauf mit Stellungnahmen der beiden Bundesländer ergänzt worden, die laut Behörde jetzt eingearbeitet würden, um anschließend die kompletten Unterlagen beim Bundesamt einzureichen.

Niedersachsen und Bremen haben sich dafür Gedanken zur Wasserwirtschaft, zum Naturschutz und Hochwasserschutz an der Unteren Wümme gemacht. „Des Weiteren sind noch fördertechnische und fachliche Fragestellungen offen, die derzeit in Zusammenarbeit mit der Stiftung in Bearbeitung sind“, teilt das Bremer Umweltressort mit.

 

Die Aller bekommt einen Arm zurück

Was für die Untere Wümme noch nicht gelungen ist, hat für die Untere Aller bereits geklappt: Auf einer Fläche von 2350 Hektar entlang von rund 30 Kilometern Flussstrecke startet im Landkreis Verden in diesem Jahr ein umfangreiches Renaturierungsprogramm. Im Januar gab es dafür vom Bundesamt für den Naturschutz den ersten Förderbescheid in Höhe von 5,1 Millionen Euro. Das Gesamtbudget umfasst bis zum Jahr 2031 knapp 17 Millionen Euro und speist sich vornehmlich aus dem Auen-Förderprogramm im Projekt "Blaues Band Deutschland", das vom Bundesamt für Naturschutz (BfN) gesteuert wird. 

Ziel von "AllerVielfalt Verden" ist unter anderen, verbaute Ufer zu öffnen, Flutrinnen und einen Altarm wieder an die Aller anzuschließen, Deiche zurückzuverlegen, Auengehölze zu pflanzen und eine extensive Grünlandnutzung zu fördern. Getragen wird das Vorhaben vom Nabu in Kooperation mit dem Landkreis Verden und der Wasserstraßen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes.

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"Auen sind einer der artenreichsten, aber auch gefährdetsten Lebensräume Deutschlands", hatte BfN-Präsidentin Sabine Riewenherm bei der Übergabe des Förderbescheids gesagt. Gewässer- und Auenrenaturierungen könnten zudem einen natürlichen Hochwasserschutz bieten und die Wasserqualität der Flüsse verbessern.

Für die Untere Aller soll es wieder eine Verbindung zur Alten Aller geben. Die Naturschutzbehörde hat bereits genehmigt, dafür ein verlandetes Flussbett wieder ausgegraben. Fast das gesamte Allertal ist FFH-Gebiet, steht also unter europäischem Schutz; jeder Eingriff benötigt eine amtliche Zustimmung. Außerdem ist schon ein Acker ausgeguckt, der zu Grünland mit Tümpeln umgewandelt werden soll.

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