Es gehört zu den ironischen Begleiterscheinungen, dass ein Thema wie "Digitalisierung der Verwaltung" erst mal den Papierausstoß erhöht. Auf mehrere 100 Seiten summieren sich die dazu von Senat und Verwaltung des Landes Bremen seit 2014 verfassten Schriften. Sie heißen "Informationstechnologie Strategie der Freien Hansestadt Bremen" oder auch "Verwaltung 4.0 – eine E-Government- und Digitalisierungsstrategie".
Allein der im November vorigen Jahres vom Senat vorgelegte Entwurf des "Gesetzes zur Förderung der elektronischen Verwaltung in Bremen" umfasst mit Begründungen und Erläuterungen rund 60 Seiten. Von "konsequenter Verwaltungsmodernisierung" spricht Staatsrat Hans-Henning Lühr aus dem für das Thema zuständigen Finanzressort. "Wir sind da als kleinstes Bundesland mit unseren Projekten sehr weit vorne dabei", sagt der Jurist.
Rund 30 Millionen Euro will Bremen in diesem und im kommenden Jahr für die Digitalisierung ausgeben. Knapp 60 Projekte listet die Senatsverwaltung dazu auf. Das reicht von A wie "Antragslose Geburtsurkunde" bis Z wie "Zentrales Terminmanagement". Für das schon begonnene Vorhaben "Elektronische Rechnung" wurde Lühr kürzlich von den Lesern einer Fachzeitschrift sogar zum "E-Government-CIO des Jahres 2017" gekürt.
Jörg Kastendiek beeindruckt das wenig. "Die E-Rechnung ist ein alter Hut", sagt der CDU-Landeschef. Da werde lediglich eine Richtlinie der Europäischen Union umgesetzt. Und überhaupt: "Alles Stückwerk." Bremen laufe der Entwicklung andernorts hinterher. "Alle vorgelegten Strategien beschäftigen sich entweder mit internen Abläufen oder beschreiben Selbstverständlichkeiten, beispielsweise die Beschaffungsverfahren für Hard- und Software."
Kastendiek kritisiert, dass zu wenig auf den Nutzen für den Bürger geschaut wird. Öffentliche Unternehmen wie zum Beispiel die Bremer Bäder GmbH blieben bei allen Vorhaben außerdem komplett außen vor. "Die Online-Buchung von Schwimmkursen ist woanders längst eine Selbstverständlichkeit", nennt er als ein Beispiel.
Forderungen zu einer digitalen Agenda
Größter Kritikpunkt des Oppositionschefs ist aber die konkrete Mittelverwendung, denn im Haushalt sind unter der Überschrift "Digitale Verwaltung" für die besagten 58 Projekte rund 80 zusätzliche Stellen aufgelistet. Für ihre Finanzierung wird der Löwenanteil der vorgesehenen Mittel verwendet. "In jeder anderen Verwaltung geht es bei der Digitalisierung um Effizienzgewinne, weil man Ressourcen für andere Aufgaben gewinnen will und muss."
Die CDU hat ihre Forderungen zu einer digitalen Agenda darum in einem eigenen Antrag ins Parlament gebracht. Er soll zusammen mit dem aktuellen Gesetzentwurf beraten werden. Lencke Steiner findet den CDU-Antrag gut. „Wir müssen Druck auf den Senat aufbauen, damit E-Government endlich ins Laufen kommt“, sagt die Fraktionsvorsitzende der FDP. Sie unterstreicht aber auch, dass sie die Vorhaben der Landesregierung prinzipiell unterstützt.
"Es dauert nur alles zu lange. Die jetzt genannten Projekte sind im Grunde Ideen aus den Neunzigerjahren." Weil für die Realisierung aber an vielen Stellen auch Bundesgesetze geändert werden müssen, wünscht sie sich eine insgesamt zentralere Steuerung. "Wenn es sein muss, sollten eben Zuständigkeiten geändert werden." Die Kritik der Opposition kann Martin Hagen naturgemäß nicht teilen.
Der Grüne ist Leiter der Stabsstelle Zentrales IT-Management und E-Government bei der Finanzsenatorin und damit Chefkoordinator der Projekte quer über sämtliche Senatsressorts. "Digitalisierung bedeutet nicht, die vorhandenen bürokratischen Prozesse online abzubilden, sondern sich zu überlegen, wie Prozesse durch digitale Werkzeuge verbessert werden", sagt er.
Informationstechnik der Abrechnungssysteme verbinden
Gerade die E-Rechnung zeige dies und sei alles andere als ein alter Hut. "Im Gegenteil, es gibt überhaupt keine einzige öffentliche Verwaltung in Deutschland, die das Thema bereits so weit vorangebracht hat wie wir." In Niedersachsen liege bislang zum Beispiel gerade mal ein theoretisches Konzept zur flächendeckenden Einführung vor. "Wir realisieren das dagegen noch in diesem Jahr gemeinsam mit Handels- und Handwerkskammer", sagt Hagen.
Denn E-Rechnung heiße nicht, statt Papier per Post jetzt eine Datei per E-Mail zu verschicken. Es gehe tatsächlich darum, über die Grenzen von Behörden und Unternehmen hinweg, die jeweilige Informationstechnik der Abrechnungssysteme zu verbinden. "In Bremen schicken zum Beispiel die SWB und die Gewoba der Verwaltung die meisten Rechnungen", sagt Hagen. Fast immer handelt es sich dabei um Leistungen zum Lebensunterhalt: Miete, Strom, Gas und Wasser, die das Sozialamt für seine Klienten direkt bezahlt.
Digitalisierung scheitert meist an fehlendem Personal
Kommunizieren die IT-Systeme auf beiden Seiten dafür direkt per Schnittstelle miteinander, ohne Umweg über einen menschlichen Sachbearbeiter, könnten Tausende von Buchungsvorgängen im Jahr automatisch abgewickelt werden. Die Verwaltung kümmert sich damit zwar einerseits um einen internen Prozess, würde aber andererseits viel Arbeitszeit für andere Aufgaben gewinnen. "Alle erforderlichen Standards und Sicherheitsregeln dafür existieren, man muss es einfach nur tun", sagt Hagen.
Aber dafür brauche es Menschen, die sich abseits des Tagesgeschäfts darum kümmern. Deswegen die neuen Stellen. "Und so ist es immer, in jedem einzelnen Verfahren", meint der Verwaltungsbeamte. Digitalisierung scheitere fast nie an der Technik, sondern meist an fehlenden personellen Ressourcen. Oder an der Tatsache, dass eine Fachbehörde wichtige zentrale Bausteine, wie etwa eine Online-Bezahlfunktion, nicht aus ihrem Etat finanzieren will. "Wir bezahlen jetzt solche Komponenten und das Personal", sagt Lühr. So sollen alle Projekte bis Sommer ins Laufen kommen.