Die Geschichte, die Andy Biermann und Matthias Loebe verbindet, könnte auch Stoff für einen Film sein. Einem, dem die Drehbuchautoren nichts mehr für Gänsehautmomente hinzufügen müssten. Der Film könnte vor vielen Jahren in Bremen beginnen – oder mit dem Kennenlernen der beiden im November vergangenen Jahres. In Lexington, USA. Am Albert B. Chandler Hospital der University of Kentucky.
"Ich war Patient in dem Krankenhaus", erzählt Biermann. Ärzte haben bei ihm vor vielen Jahren eine Herzschwäche festgestellt, die ihm jetzt immer mehr zu schaffen macht. "Ich war zunehmend müde und erschöpft, das hat mich sehr eingeschränkt und natürlich auch beunruhigt." Motorradfahren, Ausflüge mit dem Mercedes-Oldtimer, Spaziergänge und andere Aktivitäten mit seiner Frau – all das sei kaum noch möglich gewesen. "Die Ärzte haben schließlich entschieden, dass nur eine Transplantation helfen kann", sagt der 67-Jährige. Um ihn stabil zu halten, und bis ein Spenderherz gefunden ist, implantieren sie eine temporäre Herzpumpe. Die Wartezeit auf die Transplantation muss er im Krankenhaus verbringen.
Arzt und Patient plaudern über Bremer Wurzeln
"Eines Morgens kommen drei Chirurgen in mein Zimmer zur Visite. Einer von ihnen spricht mit einem komischen, aber auch irgendwie bekannten Akzent", sagt Biermann. "Als ich ihn frage, woher er stammt, sagt er: aus Deutschland. So wie ich. Woher genau? Er antwortet: aus Bremen. Ich erzähle ihm, dass auch ich Bremer Wurzeln habe und lange dort gelebt habe, bis ich vor etwas mehr als 25 Jahren nach Lexington gezogen bin. Ab diesem Moment beginnt für mich eine besondere und sehr emotionale Verbindung."
Der Arzt ist Matthias Loebe. "Das war schon lustig. Beide aus Deutschland - und beide aus Bremen. Das hat sehr viele alte Erinnerungen geweckt, über die wir uns – natürlich – auf Deutsch und mit bremischem Akzent unterhalten haben." Loebe ist seit 25 Jahren ein renommierter Herzchirurg in den USA. Nach Stationen in Houston/Texas und Miami in Florida leitet der 66-jährige Professor heute die Abteilung für Herz- und Lungentransplantationen an der University of Kentucky. In Houston arbeitet Loebe mit US-amerikanischen Pionieren der Herzchirurgie, seit mehr als drei Jahrzehnten wirkt er an der Entwicklung und klinischen Testung von Herzpumpen mit. In Deutschland war er 14 Jahre am Berliner Herzzentrum tätig.
Seit der Visite sehen sich Loebe und Biermann jeden Morgen. "Wir haben uns über Bremen unterhalten, das hat wahnsinnig viel Spaß gemacht. Und wir haben festgestellt, dass wir beide zu einigen Orten besondere Erinnerungen und eine Verbindung haben", sagt der Arzt. Zum Beispiel an das Schnoor-Viertel. Loebe hat das Alte Gymnasium besucht, damals noch mit Sitz an der Dechanatstraße. Biermann hat als selbstständiger Werbefotograf im eigenen Studio in Bremen gearbeitet. "Meine Frau hatte ein Schmuckgeschäft im Schnoor", sagt Biermann. Gewohnt hat er unter anderem in Ottersberg. Loebe, aufgewachsen in Borgfeld, kennt Fischerhude und Ottersberg von früheren Fahrradtouren. "Und wir haben viel über Essen gesprochen, das wir beide vermissen: Kohl und Pinkel natürlich, Spargel, Bratkartoffeln, die vielen guten Kuchen", sagt Biermann. Sie sprechen übers Spazierengehen in Fußgängerzonen, die es so in amerikanischen Städten nicht gebe, über Kunst, Bier und Lokale etwa an der Wümme.
Biermann hat die erste Zeit seines Lebens auf US-Militärstützpunkten in Süddeutschland gelebt, wo sein Vater gearbeitet hat. Als die Eltern in die USA gehen, folgt er ihnen zunächst. Bis es ihn um das Jahr 1980 nach Bremen zieht, die Heimat seiner Mutter. Der Sohn nimmt ihren Namen an, die Mutter ist eine geborene Biermann. Die Familie hat tiefe Wurzeln und bedeutende Vorfahren in der Hansestadt: Friedrich Ludwig Biermann, den Zigarren-Fabrikanten. Dessen Sohn Leopold, einer der großen Kunstmäzene der Hansestadt, stirbt 1922 im Alter von 47 Jahren an Herzschwäche. Die Villa des Bruders Friedrich Karl Biermann, Senator und Tabak-Kaufmann, ist heute Teil des Kippenberg-Gymnasiums.
Gemeinsame Erinnerungen geben Schub
Die gemeinsamen Erinnerungen an Bremen geben Biermann einen zusätzlichen Schub. "Die Wartezeit auf eine Herztransplantation ist lang, das ist besonders belastend für Patienten und ihre Familien", sagt Loebe. "Die Gespräche über unsere Heimatstadt haben ihm geholfen, diese schwierige Zeit zu bewältigen und haben ihn auch abgelenkt von seiner Situation." Das medizinische Team ermutigt Biermann, auch körperlich aktiv zu bleiben. Runde um Runde legt er täglich mit der externen Konsole des Herzunterstützungssystems auf den Krankenhausfluren zurück. "Ich war absolut positiv und kämpferisch", sagt der 67-Jährige. Sechs Wochen muss Biermann warten. Am Abend des 9. Januar bekommt er die Nachricht: Es gibt ein Spenderherz. Am nächsten Tag wird es transplantiert. Der Herzchirurg, der es einsetzt, ist Loebe.
Fast genau sechs Monate ist das her. Biermann und Loebe sehen sich regelmäßig in der Ambulanz des Krankenhauses in Lexington. Bei den Kontrollterminen sprechen sie über das Herz – und über Bremen. Ist es Schicksal oder Zufall? Dass zwei Menschen, die sich nie zuvor getroffen haben, die Wurzeln in derselben Stadt haben, Jahrzehnte später in den USA aufeinandertreffen und der eine dem anderen mit einem Herzen zu neuem Leben verhilft.
"Einen Moment und ein Bild werde ich nie vergessen", sagt Biermann. "Als ich Doktor Loebe im Krankenhaus gefragt habe, ob er mich operieren wird, sehe ich ihn, wie er vor mir steht. In seinem weißen Kittel, eine Hand in der Tasche, wie er lächelt, und mit bremischem Akzent sagt: zu 99 Prozent. Das war sehr emotional." Stoff für einen Film.