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Karstadt Bremen Beinahe eine Liebesklärung

Die Zukunft der Karstadt-Filiale in Bremen ist ungewiss. Ein Bremen ohne Karstadt ist möglich, aber traurig. Das Haus hat sich für Bremen verdient gemacht, meint Silke Hellwig.
18.03.2023, 05:00 Uhr
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Beinahe eine Liebesklärung
Von Silke Hellwig

Ein Bremen ohne Karstadt ist möglich, aber traurig. Man mag es sich kaum ausmalen: zugehängte Schaufenster, erst von innen zugeklebt, dann nach und nach von außen mit Plakaten aller Art, Müll vor den Eingängen, der niemand mehr kümmert. Dahin der Glanz alter Tage und Karstadt in Bremen hatte Glanz für zwei: Das Wirtschaftswunder war in der Obernstraße auf 18.500 Quadratmetern zu Hause. Karstadt hat sich für Bremen als Einkaufsstadt verdient gemacht.

Die guten Jahrzehnte setzten Maßstäbe. Um die 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter standen für die Kundschaft bereit (oder waren in der Verwaltung tätig). 1965 schilderte diese Zeitung: „Das mit einem Kostenaufwand von 25 Millionen Mark umgebaute Kaufhaus ist heute das größte Warenhaus Norddeutschlands. Mit seinen 16 breiten Rolltreppen, der elektronisch gesteuerten Be- und Entlüftungsanlage und den großzügig eingerichteten Spezialabteilungen ist es einer der modernsten Bauten dieser Branche.“

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Dieses Selbstbewusstsein ist längst auf der Strecke geblieben. Die wohlwollende Kundschaft konnte zusehen, wie es nach und nach verblasste. Abteilungen wurden geschlossen, Artikel aus dem Sortiment genommen, die Zahl der Kassen wurde reduziert und mit ihr das Personal. Selbst den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schien nach und nach die Luft auszugehen. Manchmal wirkt es, als stände das Haus stets an der Schwelle, sich selbst aufzugeben. Tatsächlich verlangt es große Selbstsicherheit, im Jahr 2023 mit geradem Kreuz der Konkurrenz standzuhalten, die online mit schier unendlicher Auswahl und Super-Mega-Schnäppchen lockt.

Bis heute gibt es gute Tage: Vor Weihnachten ist Karstadt stets gut frequentiert. Es funkelt im Inneren vom Keller bis zum vierten Stock, als ob das Warenhaus noch einmal alles geben wollte, um von sich zu überzeugen, als hätte der Slogan „Ein Haus für alle, ein Haus für alles“ nichts von seiner Gültigkeit verloren.

Jahrzehntelang waren Warenhäuser ein Ausdruck von Wirtschaftskraft und großstädtischer Eleganz. In der Bremer Karstadt-Filiale wurden Modenschauen veranstaltet und Lesungen. Fast alle Bedürfnisse wurden gestillt, die mit Geld (und guter Beratung) zu stillen sind. Ob Kurzwaren oder Kleinmöbel, Schallplatten oder Abendkleider, Kochtöpfe, Schuhe oder Bücher – alles fand sich unter einem Dach. Obendrein eine Zooabteilung im vierten Stock, laut Selbstbeschreibung mit Tieren vom Wasserfloh bis zum Affen. „Ein Einkaufsbummel ohne Stippvisite beim Karstadt-Zoo? In Begleitung von Kindern war das vor Jahrzehnten ein echtes Wagnis, ja, geradezu ein Anschlag auf den häuslichen Frieden“, berichtet WK-Redakteur Frank Hethey.

Es war kein Problem, mit der gesamten Familie bei Karstadt einen guten halben Tag zu verbringen: ein Anzug für den Konfirmanden, ein Geschenk für die Nichte, eine Bohrmaschine für den Vater, eine Jacke für die Mutter und Spielzeug für den Nachwuchs, sofern brav. Überhaupt: die Spielzeugabteilung, ein Paradies für Mädchen und Jungen, das auf mehreren Hundert Quadratmetern jeden Wunsch zu erfüllen versprach. Modelleisenbahnen waren aufgebaut, die Puppen- und Plüschtierabteilung war gewaltig. Bei Karstadt konnten die ersten Video-Spiele ausprobiert werden. Vormittags blieben die Bildschirme schwarz, um Schülerinnen und Schüler nicht zum Schwänzen zu verführen.

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Die Lebensmittelabteilung im Kellergeschoss mit 90 Mitarbeitern (90!) machte mit Feinkost von sich reden. „Über 60 Essig- und Ölsorten oder 700 verschiedene Weine“, berichtete diese Zeitung anlässlich eines Umbaus. Am Fuß der Rolltreppe konnte man speisen, nicht gerade wie im Berliner Kadewe, aber immerhin. „Mein irisches Entrecôte mit einer Portion Champignons stand nach nicht einmal zehn Minuten vor mir. Das Fleisch wie bestellt medium gegart, aromatisch im Geschmack und zart. Fleischesser, was willst du mehr?“, berichtete WK-Gastro-Kritiker Heinz Holtgrefe.

Nach und nach wurde aus dem Haus für alle und alles ein Haus für manche und manches. Die Fernseher und Lampen verschwanden, die Buchabteilung schrumpfte zu einer kümmerlichen Ecke, die Spielwarenabteilung schnurrte mehr und mehr zusammen. Das Shop-im-Shop-Konzept wurde umgesetzt, wirtschaftlich womöglich unerlässlich, aber ein Sargnagel für Karstadt. Die trostlose Einheitlichkeit des Sortiments in der Fußgängerzone setzt sich bis ins Warenhaus fort. Die Kunden schwanden, damit auch das Personal oder auch umgekehrt. Inzwischen könnte man an einigen Abenden in den Gängen wohl problemlos Fahrradfahren. Der Versuch, sich digital zu behaupten, kam zu spät. Der Online-Auftritt ist halbherzig, Click & Collect (online bestellen und in der Filiale abholen) hat sich nicht durchgesetzt.

Doch immer noch sollte ein Rundgang bei Karstadt selbstverständlich zu einem Einkaufsbummel in Bremen gehören. Aus Gewohnheit, aus Prinzip, aus Solidarität, aus Wertschätzung: Wo sonst in der innersten Innenstadt findet man noch Kurzwaren? Doch an einem Reißverschluss und zehn Knöpfen lässt sich wenig verdienen. Zumal das Warenhaus namens Internet die Kundschaft maßlos werden lässt. Sie will aus 20 Sorten blauer Knöpfe in zehn verschiedenen Größen und 30 verschiedenen Formen wählen, nicht aus zweien. Das kann kein Warenhaus leisten.

Die Vergangenheit lässt sich nicht konservieren. Womöglich ist es zu spät für eine Rettung durch eine Abstimmung mit den Füßen. An der Konzernspitze wird kühl gerechnet, um zu retten, was zu retten ist. Aber einen Versuch ist es wert, Karstadt hat ihn unbedingt verdient. 

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