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Unternehmen mit neuen Modellen Warum die 40-Stunden-Woche zur Debatte steht

Fast überall fehlt im Moment Personal. Vor diesem Hintergrund wird eine Erhöhung der Wochenarbeitszeit diskutiert. Derweil setzen erste Unternehmen auf die Viertagewoche – auch Betriebe in Bremen.
04.07.2022, 05:00 Uhr
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Warum die 40-Stunden-Woche zur Debatte steht
Von Lisa Schröder

Ob Cafés oder Restaurants – in der Gastronomie fehlt Personal. Anfang Juni berichtete deutlich mehr als die Hälfte der Betriebe von einem „akuten Mitarbeitermangel“. Das zeigte eine Umfrage des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. In einigen Restaurants und Cafés sind die Öffnungszeiten reduziert worden. Einige Inhaber machen aus der Not eine Tugend. Dazu gehört das Bremer Restaurant Canova in der Kunsthalle. Im April hat Geschäftsführer Marius Ries die Viertagewoche eingeführt.

An vier Tagen wird neun Stunden gearbeitet. „Es ist einfach so, dass ich es für das Richtige halte“, sagt der Restaurantinhaber mit Blick auf die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Für einige Bewerber sei dieses Modell ein Anreiz. Doch die Viertagewoche allein reiche nicht, auch die Aufgabe an sich und das Team eines Lokals müssten stimmen.

Bisher ist die Viertagewoche als Regelarbeitszeit ein Ausnahmemodell. Das Interesse wächst – weltweit. In Großbritannien läuft seit Juni ein Pilotprojekt. Forscher der Universitäten Oxford, Cambridge und des Boston College begleiten das Experiment. Insgesamt mehr als 3300 Arbeitnehmer von rund 70 Unternehmen und Organisationen erproben die Verkürzung der Arbeitswoche. Die von den Organisatoren "versprochene Zauberformel", schreibt die "Frankfurter Allgemeine Zeitung", laute „100-80-100“ – also 100 Prozent Produktivität bei 80 Prozent Arbeitszeit bei 100 Prozent Lohn.

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Das Projekt wird unter anderem von der Denkfabrik Autonomy begleitet. Mitgründer Kyle Lewis sagte der „Wirtschaftswoche“ zu früheren Tests: „Die Ergebnisse waren alle sehr ermutigend in Bezug auf Produktivität, Mitarbeiterwohlbefinden sowie bei Personalgewinnung und Mitarbeiterbindung.“ Es gebe Studien aus aller Welt, die zeigten, wie effektiv kürzere Arbeitswochen sein könnten. Pilotprojekte soll es in Irland, den USA und Kanada, Australien und Neuseeland geben.

In Belgien ist der Anspruch auf eine Viertagewoche Anfang des Jahres geschaffen worden. Die Stundenzahl verkürzt sich nicht, aber die Flexibilität ist größer. Die Arbeitszeit können die Beschäftigten auf vier Tage legen und sich damit einen freien Tag in der Woche verschaffen. Eine Umfrage von Forsa vor ein paar Monaten zeigte: Fast 60 Prozent der Erwerbstätigen würden sich für eine Viertagewoche entscheiden.

In Deutschland werden auch andere Modelle diskutiert. Vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels brachte der Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie eine 42-Stunden-Woche ins Spiel. „Ich habe persönlich große Sympathie für eine optionale Erhöhung der Wochenarbeitszeit – natürlich bei vollem Lohnausgleich“, sagte Siegfried Russwurm vom BDI. Zuvor hatte auch Michael Hüther, der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, für diese Regelarbeitszeit plädiert.

Im Moment zeigt sich die Personalnot nicht nur in der Gastronomie, sondern in vielen Branchen und Lebensbereichen – ob bei Handwerkern oder an Flughäfen bei der Abfertigung. Die Pandemie hat zu Verschiebungen geführt, immer wieder fallen Beschäftigte auch wegen Corona-Erkrankungen aus. „Alle sind am Suchen“, sagt Detlef Pauls, Bremer Landeschef des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands. Viele Lokale setzten deshalb auf Ruhetage: „Das hat es früher nicht so extrem gegeben.“ An der Küste sei das Angebot teils noch stärker heruntergefahren worden.

Marius Ries vom Canova hält den Mangel in der Branche auch für „hausgemacht“, weil in der Vergangenheit nicht gut ausgebildet worden sei. „Die Gastronomen sind selber schuld.“ Detlef Pauls sieht das etwas anders: Der Nachwuchs sei oft nicht ausbildungsreif.

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Eine Hamburger Hotelkette hat ihre Probephase abgeschlossen: In allen neun Häusern von „25 Hours Hotels“ in Deutschland, Österreich und der Schweiz gibt es aufgrund der positiven Ergebnisse heute eine Viertagewoche. „Wir konnten knapp 80 Prozent unseres Teams für eine Teilnahme begeistern und sehen ausgeglichenere und produktivere Kollegen“, sagt die fürs Personal verantwortliche Kathrin Gollubits. Die Anzahl der Bewerbungen habe sich anfangs verzweihundertfacht – trotz des Fachkräftemangels in der Branche.

Zum Experiment habe es „extrem viele Nachfragen“ gegeben, sagt Unternehmenssprecherin Anne Berger. „Wir haben schon den Eindruck, dass viele Unternehmen einen ähnlichen Weg einschlagen.“ Über den Sommer können die Mitarbeiter das neue Modell ausprobieren und sich dann für eine Vier- oder Fünftagewoche entscheiden.

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