- Wie beurteilt die Handelskammer die Lage?
- Profitiert das Logistikunternehmen BLG?
- Reagiert Mercedes?
- Wie steht es um das Handwerk?
- Was macht ein Elektriker aus der Neustadt?
"Verkauf nur in handelsüblichen Mengen." Schilder wie diese und leere Regale sind in Supermärkten keine Seltenheit mehr. Wenn sich die Gelegenheit bietet, kaufen viele Kunden bei Speiseöl oder Mehl trotzdem gerne ein paar Portionen extra. Man kann ja nie wissen. Das Phänomen der Hamsterkäufe spielt sich aber offenbar nicht nur bei Privatpersonen ab. Auch Unternehmen setzen zunehmend darauf, Lagerbestände aufzubauen.
Wie das Handelsblatt berichtet, verschärfen sich dadurch im verarbeitenden Gewerbe die Engpässe von Werkstoffen. Die Produzenten der industriellen Vorprodukte freuen sich hingegen in der Metall- und Chemiebranche über volle Auftragsbücher. Auch in der Bremer Wirtschaft beobachten Handels- und Handwerkskammer, dass es für einige Unternehmen inzwischen wieder attraktiv ist, Lagerbestände aufzubauen. Bisher war dies als "stillgelegtes Kapital" schon fast verschrien. In der "Just-in-Time-Produktion" sollten die Rohstoffe möglichst unmittelbar vor der Verarbeitung auf dem Betriebshof ankommen. Doch in der Pandemie sind Lieferketten immer wieder ins Stocken geraten, der Angriff auf die Ukraine und der Wirtschaftskrieg mit Russland führen zu neuen Problemen.
Wie beurteilt die Handelskammer die Lage?
"Lagerbestände zu erhöhen ist eine Option, die Unternehmen anstreben, um den aktuellen Lieferengpässen zu begegnen", sagt Torsten Grünewald von der "Kontaktstelle Lieferketten" der Handelskammer. Voraussetzung sei die Verfügbarkeit der benötigten Ware. "Zudem trifft die Unternehmen die hierzu notwendige Vorfinanzierung unter Umständen empfindlich", so der Wirtschaftsexperte. Auch der notwendige Lagerraum sei knapp und derzeit nur zu überhöhten Konditionen nutzbar, bei vielen Produkten gebe es erhebliche Preisschwankungen. Laut Grünewald müssen Unternehmen deshalb genau kalkulieren, ob die Erhöhung der Lagerbestände wirtschaftlich sinnvoll und überhaupt umsetzbar ist.
Profitiert das Logistikunternehmen BLG?
Wer lagern will, der braucht auch Lagerflächen. Und wer nicht gleich eine eigene Halle errichten will, wendet sich an Dienstleister wie das Bremer Logistikunternehmen BLG. "Viele unserer Kunden aus Industrie und Handel schauen sich ihre Lieferketten kritisch an, passen sie an und bauen aktiv Bestände auf. Diese Entwicklung steht allerdings noch am Anfang", schildert BLG-Sprecherin Julia Wagner. Derzeit überlagerten sich verschiedene Auswirkungen der Pandemie und des Ukraine-Kriegs. Wagner weiter: "Diese Effekte haben auf unterschiedlichen Ebenen sowohl negative als auch positive Einflüsse auf unser Kontraktlogistikgeschäft."
Reagiert Mercedes?
Auch der größte private Arbeitgeber ist in Bremen von internationalen Lieferketten abhängig: das Werk von Mercedes. "Bereits vor den aktuellen Lieferengpässen haben wir für eine Vielzahl von Bauteilen mit unseren direkten Lieferanten klare Sicherheitsbestände vereinbart und konnten dadurch die Versorgung unserer Werke stützen", erklärt Unternehmenssprecherin Martha Winter. Halbleiter, die Bestandteile von Steuergeräten sind, habe Mercedes nur in Ausnahmefällen direkt eingekauft. Auf Just-in-Time setzt Mercedes laut Winter unverändert bei großen und variantenreichen Bauteilen wie Sitzen oder Stoßfängern. "Diese werden zumeist in unmittelbarer Nähe zu unserem Werk gebaut und in richtiger Sequenz geliefert", betont die Sprecherin.
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Wie steht es um das Handwerk?
Bei Tischlern, Malern oder Elektrikern spielt die Überlegung, sich verstärkt zu bevorraten, laut Handwerkskammer seit etwa eineinhalb Jahren eine Rolle. "Es findet ein Umdenken statt. Just-in-Time steht auf dem Prüfstand", meint Präses Thomas Kurzke. Die Zeiten, in denen mit einem Tag Vorlauf ohne Probleme im Großhandel bestellt werden konnte, seien vorbei. "Die Lieferengpässe waren im Baugewerbe zunächst auf einige Produkte beschränkt, inzwischen zieht sich das quer durch alle Bereiche", schildert Kurzke, der mit seinem Malerbetrieb 20 Mitarbeiter beschäftigt.
Für Bestellungen ginge es nur noch mit einem Vorlauf von vier bis acht Wochen. Der Präses weiter: "Beim Anruf des Großhändlers lautet die erste Frage: Können Sie liefern? Erst danach geht es um den Preis." Lagerbestände aufgebaut hätten bisher nur wenige Handwerksbetriebe. "Vielen fehlt dafür schlicht das Kapital", betont Kurzke.
Was macht ein Elektriker aus der Neustadt?
Thomas Gnutzmann, Geschäftsführer von Tangemann Elektrotechnik aus der Neustadt, ist vor etwa einem Jahr dazu übergegangen, sein Lager aufzustocken. Der Wert des Bestands hat sich von gut 10.000 Euro auf aktuell etwa 25.000 Euro gesteigert. "Wir können nicht mehr kaufen, wenn wir etwas brauchen. Wir müssen kaufen, wenn etwas da ist", erklärt der Elektrotechniker.
Zu schaffen macht ihm zum Beispiel der Preis für Kupferkabel, der sich binnen eines Jahres verdoppelt hat. "Der Großhandel hat den Bedarf der Branche im Blick. Ich kann dort nicht einfach 500 Schutzschalter kaufen, sondern bekomme maximal 20, damit für alle etwas übrigbleibt", sagt Gnutzmann. Es tue weh, mit der Bevorratung Kapital einzulagern. Inzwischen sei es bei neuen Aufträgen aber eine zentrale Frage, ob er die Zusagen auch einhalten könne. Deshalb will Gnutzmann auf Nummer sicher gehen.