Durch die neusten Beschlüsse des Rats der europäischen Raumfahrtagentur Esa zur Ariane 6 bekommen Zulieferer etwas Luft. So sieht es Hans Steininger, Chef der OHB-Tochter MT Aerospace. „Mit den beantragten zusätzlichen Geldern kann ein Teil der Mehrkosten durch die Verzögerung des Erststarts kompensiert werden“, sagt er.
MT Aerospace ist der größte deutsche Zulieferer für die Ariane 6. Laut Steininger leidet das Unternehmen extrem darunter, dass sich der Erstflug von Europas neuer Rakete verzögert. Am Donnerstag hatte die Esa verkündet, dass das Startdatum wegen technischer Probleme und der Corona-Pandemie noch einmal verschoben wird – im zweiten Quartal 2022 soll es dann so weit sein. Ursprünglich sollte die Ariane 6 zum ersten Mal Ende dieses Jahres abheben.
Gleichzeitig hatte die Esa bekanntgegeben, ihre Mitgliedstaaten um zusätzliche 230 Millionen Euro für Entwicklung und Bau der Ariane 6 bitten zu wollen. Damit steigen die Gesamtkosten auf rund 3,8 Milliarden Euro. Das nun angeforderte Geld sei eine erste Hilfe, sagt Steininger. Alle Probleme seien damit aber noch nicht vom Tisch. „Die Auswirkungen durch die wahrscheinlich geringeren Startkadenzen müssen in den nächsten Monaten zwischen Esa und Industrie geklärt werden. Das Risiko ist, dass sich die Zahl der jährlichen Starts unter Plan entwickelt und somit europäische Standorte gefährdet sind. Das hätte einen substanziellen Personalabbau zur Folge.“ Allein in Augsburg seien 150 Jobs gefährdet; auch am Standort Bremen arbeiten Beschäftigte von MT Aerospace an der Ariane 6.
Noch ist aber nicht klar, ob die Staaten das zusätzliche Geld für die Rakete bewilligen. Auf die Frage, was die Esa unternehme, sollten die Mitgliedstaaten kein zusätzliches Geld in den Bau der Rakete stecken wollen, sagte Esa-Generaldirektor Jan Wörner am Donnerstagabend, dass man aktuell keine anderen Möglichkeiten habe. Vor diesem Szenario warnt Steininger: „Wenn die ESA-Mitgliedsstaaten nicht die nötigen weiteren Mittel zur Verfügung stellen, dann hätte das eine existenzielle Bedrohung für die europäische Launcherindustrie, die deutsche Raumfahrtindustrie und somit den Standort Augsburg mit seinen Hightech-Arbeitsplätzen zur Folge.“
Sorge um Folgen der Pandemie
Ariane Group, die als Hauptauftragnehmer den Bau der Ariane 6 verantwortet, will den angeforderten Millionenbetrag nicht kommentieren. Der Vorstandsvorsitzende Pierre Godart machte im Gespräch mit dem WESER-KURIER allerdings deutlich, dass auch sein Unternehmen unter den Verzögerungen leide. „Die Lage ist grundsätzlich ernst.“ Man wolle sich in den kommenden Wochen mit der Esa zusammensetzen, um über die Verteilung des Geldes zu sprechen – sofern es denn bewilligt werden sollte. Das Problem sei, so Godart, dass Ariane Group so wie auch andere Unternehmen, Kosten wegen der Ariane 6 habe. Je weiter nach hinten das Startdatum aber im Kalender rücke, desto später würde sie auch Umsatz machen.
Godart sorgt sich, dass die zweite Welle der Pandemie noch schlimmere Folgen haben könnte als die erste. „Wir haben alle Maßnahmen ergriffen, um die Periode zu überbrücken. Aber das hat Grenzen“, sagt er. So hat Ariane Group teilweise Kurzarbeit eingeführt und Mitarbeiter angehalten, Überstunden abzubauen. Aber, sagt Godart, „einen zweiten Lockdown können wir uns nicht leisten.“ Das gelte für die gesamte Raumfahrtindustrie. Neben MT Aerospace liefern laut Godart auch viele kleine und mittelständische Unternehmen zur Ariane 6 zu. „Diesen Firmen haben wir geholfen, sich über Wasser zu halten“, sagt Godart. Das sei aber keine Lösung auf Dauer.
Neben der erneuten Verschiebung und dem weiteren Finanzbedarf hat die Esa vor wenigen Tagen auch den Zeitplan bis zum ersten Start der Ariane 6 vorgelegt. So sei kürzlich erst die erste Oberstufe der Ariane 6 komplett in Bremen montiert worden. Aktuell wird sie getestet, bevor sie Ende des Jahres zum Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt nach Lampoldshausen gebracht wird. Auf einem extra gebauten Teststand wird die Oberstufe dann erstmals gezündet. Geschehen soll das im zweiten Quartal 2021.
Im dritten Quartal kommenden Jahres soll dann der Startplatz in Französisch-Guayana an die Esa übergeben werden. Momentan ist die französische Raumfahrtagentur Cnes für den Bau verantwortlich. Auch er wird mehreren Tests unterzogen werden.
Verläuft das alles zufriedenstellend und ohne weitere Verzögerungen, soll die Ariane 6 2022 zum ersten Mal abheben. Allerdings fehlt ihr noch die passende Fracht dazu. Eigentlich hatte das Unternehmen Oneweb den ersten Ariane-6-Start gebucht, geriet dann aber in finanzielle Schwierigkeiten und musste Insolvenz anmelden. Mittlerweile wurde das Unternehmen zwar gerettet, seine Satelliten für eine große Konstellation im All will Oneweb aber mit russischen Sojus-Raketen starten lassen. Stattdessen gibt es schon einen Kunden für den zweiten Flug: Die Europäische Kommission will einen bei OHB in Bremen gebauten Galileo-Satelliten mit einer Ariane 6 ins All schicken.