Die Brotkörbe waren gefüllt mit Brezeln, die Getränke standen bereit: Im Bremer Airbus-Werk freuten sich ein paar hundert Mitarbeiter auf den Start der Mondmission "Artemis", der auf einem Großbildschirm live aus Cape Canaveral in Florida übertragen werden sollte. Doch zur geplanten Startzeit um kurz nach halb drei europäischer Zeit wurde zur Gewissheit, was die zahlreichen Fachleute im Raum schon ahnten: An diesem Tag würde es nichts mehr werden mit dem ersten Testflug auf dem Weg zum Mond und zurück.
Die Spannung in der Bremer Werkshalle war deshalb so groß, weil bei Airbus Defence and Space eines der wichtigsten Bauteile für die Mondmission der Amerikaner gefertigt wird: das Europäische Servicemodul (ESM), das die Raumkapsel und ihre Besatzung durchs All manövrieren und mit Strom, Luft und Wasser versorgen soll. Beim Erstflug ist die Kapsel zwar unbemannt, aber auch für das ESM soll der Testflug die große Bewährungsprobe werden. Auf den Live-Bildern der Nasa thronte das Haustechnik-Modul aus Bremen mitsamt der Raumkapsel im Sonnenaufgang auf der Spitze der gigantischen SLS-Trägerrakete, die aber an diesem Tag nicht mehr abheben sollte.
Die Nasa gab als Grund ein Problem mit einem Ablassventil an einem der Triebwerke an; der Raketenmotor sei nicht auf die nötige Betriebstemperatur gekommen. 40 Minuten vor dem geplanten Start um 8.33 Uhr Ortszeit wurde der Countdown angehalten, damit die Techniker mehr Zeit für die Analyse der Daten bekommen. Eine dreiviertel Stunde später war klar: Das Problem würde sich nicht mehr innerhalb des für Montag zur Verfügung stehenden Startfensters von zwei Stunden beheben lassen.
Für Kai Bergemann, den stellvertretenden Projektleiter für das in Bremen gefertigte Versorgungsmodul, ist der Startabbruch jedoch "kein Rückschlag". Zwar hatte sich der 38-Jährige darauf gefreut, den Start mit seinem Team auf dem Großbildschirm zu verfolgen. "Aber die wenigsten Jungfernflüge klappen gleich beim ersten Mal", gibt er zu bedenken. "So etwas gehört dazu, es ist eine sehr komplizierte Technik."
Alte Triebwerke des Space Shuttle
Ex-Astronaut Thomas Reiter, der als Gast an der Veranstaltung in Bremen teilnahm, fühlte sich an seinen eigenen Weltraumflug mit einem Space Shuttle erinnert. "Damals waren es auch die Triebwerksventile, die ein bisschen Probleme machten", sagt er. Die von Boeing gebaute SLS-Rakete ist zwar eigens für das "Artemis"-Projekt entwickelt worden, verwendet jedoch die alten Triebwerke des Space Shuttle. Alle vier Haupttriebwerke vom Typ RS-25, die beim Erstflug zum Einsatz kommen sollen, waren bereits mehrfach im All. Als der US-Kongress die Entwicklung der Rakete und des Raumschiffs 2010 freigab, machte er dabei zur Auflage, einzelne Komponenten aus dem Space-Shuttle-Programm wiederzuverwenden, vor allem Triebwerke und Tanks. Die Weltraumfähren waren von 1981 bis 2011 im Einsatz und kehrten nach ihren Weltraumflügen stets im Segelflug zur Erde zurück.
Wann der zweite Startversuch für den "Artemis"-Testflug unternommen wird, ist noch unklar. Die nächsten Startfenster stehen am Freitag und kommende Woche am Montag zur Verfügung. Beim nächsten Testflug 2024 sollen bereits Astronauten an Bord sein - beim dritten Flug, der für 2025 geplant ist, sollen erstmals nach mehr als 50 Jahren wieder Menschen auf dem Mond landen. Ziel der "Artemis"-Mission ist der Aufbau einer dauerhaft bewohnten Mondbasis, später sollen von dort bemannte Flüge zum Mars starten.