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Raumschiff "Orion" Ein Stück Bremen auf dem Weg zum Mond

Die Amerikaner wollen zurück auf den Mond - und Bremen ist dabei. Im Airbus-Werk wird das Versorgungsmodul des Raumschiffs "Orion" gebaut. Am kommenden Montag wird es spannend.
23.08.2022, 18:55 Uhr
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Ein Stück Bremen auf dem Weg zum Mond
Von Christoph Barth

Der Starttermin steht: Montag, 29. August, 8.33 Uhr Ortszeit. In Europa ist es dann halb drei mittags. Amerikas neue Mondrakete wird also, wenn alles klappt, zur besten Sendezeit abheben. Auch in Bremen werden zu dieser Stunde eine Menge Ingenieure und Techniker gebannt vor ihren Bildschirmen sitzen und den Start am Kennedy Space Center in Florida verfolgen. Denn mit der US-Mondrakete macht sich auch ein Stück Bremen auf den Weg ins All.

"Wir fliegen wieder zum Mond." Marc Steckling lächelt fast ein bisschen beseelt, wenn er das sagt. Eigentlich ist er Ingenieur, im Hauptberuf Chef der Weltraumforschung von Airbus Defence and Space und Standortleiter in Bremen. Aber wenn es um den Mond und den Mars und die Eroberung des Weltraums geht, wird der 54-Jährige zum Visionär und mitreißenden Erzähler. Ein halbes Jahrhundert nach den Apollo-Missionen also wollen Menschen auf den fahlen Erdtrabanten zurückkehren – "und dieses Mal, um dort zu bleiben, um den Mond zu besiedeln, seine Ressourcen zu nutzen", umreißt Steckling den großen Plan. "Es ist das erste Mal, dass Menschen sich außerhalb der Erde einen Lebensraum erschließen. Und wir als Europäer, als Bremer, sind dabei."

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"Artemis" hat die US-Raumfahrtbehörde Nasa ihre neue Mondmission getauft, nach der griechischen Göttin der Jagd, des Waldes und des Mondes. Ein Wald wird wohl auch in Zukunft nicht wachsen auf der staubtrockenen, von Kratern zerfurchten Oberfläche des irdischen Begleiters. Höchstens ein paar Tomatensträucher und Salatköpfe aus dem Gewächshaus, damit sich die Bewohner der künftigen Mondbasis gesund ernähren können. Aber die anderen Zuständigkeitsbereiche der alten Griechen-Göttin – die Jagd und der Mond – treffen die Auftragslage schon besser. Denn die Neugier, der Drang, das Unbekannte zu erforschen, "das ist die größte Kraft, die wir als Menschen haben, die uns einst aus unseren Höhlen hinausgetrieben hat", schwärmt Steckling.

Ein Kraftpaket aus 20.000 Teilen

Große Worte. Die nüchterne Realität misst gut 4,50 Meter in der Höhe und fünf Meter im Durchmesser, wiegt etwas mehr als 15 Tonnen und besteht aus rund 20.000 Einzelteilen: Stahlrahmen, Kabel, Leitungen, Druckregler, Ventile, Düsen, Einspritzpumpen. Europas Beitrag zur Rückeroberung des Mondes ist ein mit Technik vollgestopfter Zylinder. Der Name klingt genauso nüchtern: European Service Module (ESM). Es ist das Versorgungs- und Steuerungsmodul des Raumschiffs, das "Orion" heißt und vier Astronauten ins All und wieder zurück befördern soll. Es enthält den Sauerstoff zum Atmen, Wasser zum Trinken, erzeugt den Strom für die Instrumente, reguliert die Temperatur. Und es steuert das Raumschiff: 33 große und kleine Triebwerke sorgen für Antrieb, Lagestabilität und Kurskorrekturen im All, sobald die große Startrakete ihren Dienst beendet hat. Man kann also sagen: Das Überleben der Astronauten hängt von einem Bauteil aus Bremen ab.

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Denn im Airbus-Werk am Flughafen wird das ESM zusammengebaut. Zehn Mitgliedsländer der Europäischen Raumfahrtagentur Esa entwickeln, bauen und liefern die Einzelteile, aber die Endmontage erfolgt in Bremen. Hier wird aus den Tausenden von Bauteilen ein weltraumtaugliches Kleinkraftwerk. "Das ist für uns natürlich eine enorme Ehre und Verantwortung", sagt Standortleiter Steckling. Zum ersten Mal vertrauen die Amerikaner den Bau eines zentralen Bestandteils ihrer bemannten Raumflüge einem Partner an. Die Freude darüber zieht sich bis in die höchsten Kreise der Esa: "Das ist wirklich eine ganz neue Ebene der Kooperation", versicherte Agenturchef Josef Aschbacher am Dienstag stolz in einer Online-Pressekonferenz mit Journalisten aus ganz Europa. "Ohne unser ESM kann die Nasa keine Astronauten zum Mond und wieder zurück bringen."

Der Preis ist allerdings nicht ganz ohne: 650 Millionen Euro kosteten die Entwicklung und der Bau des ersten ESM, das in der kommenden Woche zum Testflug starten soll. Sechs Module hat die Nasa bislang fest bestellt. Gesamtpreis: knapp zwei Milliarden Euro. Im Gegenzug hat die Esa drei Mitfluggelegenheiten im Raumschiff "Orion" ergattert: "Unser Ziel ist es, dass bis Ende des Jahrzehnts ein Europäer seinen Fußabdruck auf dem Mond hinterlässt", frohlockt Aschbacher.

Wenn der Mond ein Museum wäre

Ist es das wert – ein Fußabdruck im Mondstaub, wo andere schon waren und wieder gegangen sind, für zwei Milliarden Euro? David Parker, Esa-Direktor für die bemannte und unbemannte Raumfahrt, hat die Frage schon häufiger gehört und formuliert seine Antwort in feinstem, leicht näselndem Oxford-Englisch zum Mitschreiben: "Wenn der Mond ein Museum wäre mit viereinhalb Milliarden Jahre alten Ausstellungsstücken, dann hätten wir bislang gerade einmal den Andenkenladen betreten", sagt der Brite. Während sich die Erdoberfläche im Geschiebe der tektonischen Platten ständig erneuere und Spuren verwische, trage der Mond noch immer Beweisstücke aus der frühesten Erdgeschichte mit sich herum, ja sogar aus der des Sonnensystems. Erst kürzlich habe man zum Beispiel Spuren von Wasser auf dem Mond entdeckt. "Wo kommt es her?", fragt Parker. "Und was heißt das für die Entstehungsgeschichte der Erde?"

Für Airbus-Standortleiter Steckling lassen sich auf dem Mond auch praktische Dinge erproben: "Der Mond ist ein unwirtlicher Ort", sagt er. "Was wir dort an Techniken entwickeln, etwa im Energiemanagement, können wir auch auf der Erde gebrauchen." Außerdem gebe es Helium im Mondgestein, ein möglicher Energieträger der Zukunft für die Erde? Was Kritiker einer "Mondökonomie" als Hirngespinst abtun, ist für deren Propagandisten immer noch Teil ihrer Vision.

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Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Mars. Da wollen alle hin, in einem Wettlauf wie vor 60 Jahren auf dem Weg zum Mond. Die Amerikaner glauben, dass eine Mondbasis den interplanetaren Fernflug erleichtern würde. Man hätte zwar noch nicht viel von der Wegstrecke geschafft, aber zumindest schon mal die lästige Anziehungskraft der Erde hinter sich gelassen. "Ich bin davon überzeugt, dass der Mond unser Sprungbrett zum Mars wird", stellt Steckling das nächste große Ziel in Aussicht.

Bis es so weit ist, muss allerdings erst einmal eine verlässliche Fährverbindung zum 384.000 Kilometer entfernten Erdnachbarn hergestellt werden. Die erste Überfahrt startet am Montag, 29. August, um 8.33 Uhr US-Ostküstenzeit – wenn die Technik funktioniert und nicht gerade ein Gewitter über Cape Canaveral hinwegzieht. Um maximal zwei Stunden könnte der Start verschoben werden; weitere Zeitfenster öffnen sich am 2. und 5. September. Beim Erstflug sind keine Astronauten an Bord – unbemannt soll das Raumschiff "Orion" den Mond umrunden und nach 42 Tagen wieder auf der Erde landen. Bei der Mission "Artemis II" soll 2024 dann eine Crew an Bord sein. Die erste Landung auf dem Mond ist für 2025 vorgesehen.

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