Wie geht es Ihnen nach einem Jahr Corona-Pandemie?
Bernard Timphus: Ganz ehrlich? Ich bin müde, vor allem weil die Perspektiven derzeit wieder schwieriger werden. Einerseits verbinde ich – wie vermutlich viele Andere – mit den Impfungen große Hoffnungen, anderseits steigen die Infektionszahlen gerade wieder. Hinter mir und ich glaube, hinter uns allen liegt einfach ein Jahr mit großen Gefühlsschwankungen und es ist wohl immer noch nicht vorbei. Das war und ist anstrengend.
Würden Sie sagen, es war Ihr schwierigstes Berufsjahr mit den höchsten Belastungen?
(Überlegt lange) Wenn ich darüber nachdenke, muss ich tatsächlich Nein sagen. Das Jahr 2000, in dem ich das Café Stecker übernommen habe oder 2008, als große Investitionen und Renovierungen anstanden, habe ich als viel stressiger in Erinnerung. Allerdings war ich da auch noch jünger und vielleicht mache ich mich heute weniger verrückt. Die regelmäßigen Gespräche mit Ihnen und Ihren Kollegen für die Kolumne haben vermutlich auch geholfen. Das waren ja manchmal kleine Therapiesitzungen (lacht).
Wie motivieren Sie sich jeden Morgen, weiter am Ball zu blieben?
Das ist vielleicht die wichtigste Erkenntnis: Das muss ich gar nicht. Ich habe einen tollen Beruf und festgestellt, dass ich den immer noch gern mache. Wenn ich nicht die Backstube hätte, wo ich immer ganz praktisch etwas tun kann, wäre ich vermutlich weniger ausgeglichen. Das Verrückte ist ja, man gewöhnt sich an alles. Ich will natürlich zurück, zu einem normalen Kaffeehausbetrieb, aber zurzeit ist eben der reine Außerhausverkauf das neue Normal.
Konnten Sie ihr Geschäftsmodell denn so weit anpassen, dass das „neue Normal“ funktioniert?
Ein klares Nein. Wir verkaufen jetzt zwar mehr Kuchen und Gebäck aus der Auslage als vor Corona. Und vor Weihnachten oder jetzt vor Ostern funktioniert auch der Onlineshop, den wir ohne Pandemie nie aufgemacht hätten. Aber da dürfen wir uns nichts vormachen: Wir sind kein Onlinegeschäft und selbst wenn die Tortenvitrine jeden Tag ausverkauft wäre, würde uns der größte Teil des Umsatzes weiterhin fehlen. Dreiviertel der betrieblichen Kapazitäten liegen brach. Ohne die Existenzhilfen, die Kurzarbeit und wieder ins Geschäft gebuttertes Eigenkapital kommen wir aktuell nicht über die Runden. Von den zwölf Monaten, über die wir reden, war in sieben das Café geschlossen. Auf Dauer geht das so nicht. Dabei geht es uns sogar noch besser, als anderen Gastronomen, die komplett schließen mussten.
Existenzhilfen ist ein gutes Stichwort. Wie ist da ihre Bilanz nach einem Jahr?
Immer wenn ich mich damit eine Weile befassen muss, wird der Drang größer, jetzt schnell wieder in die Backstube zu wechseln. Selbst der Steuerberater dreht da langsam am Rad. Die November- und Dezemberhilfen sind inzwischen tatsächlich ausgezahlt, aber für das laufende Jahr rätseln wieder alle über die Modalitäten. Ich mache da niemanden vor Ort, von der Bremer Aufbaubank oder der Bremer Wirtschaftssenatorin irgendeinen Vorwurf. Es läuft immer darauf hinaus, dass unklare Vorgaben aus Berlin die Sache erschweren. Dort wird der Murks produziert.
Sie haben sich in der Kolumne stets eher optimistisch gezeigt. Gilt das weiterhin?
Wir erfahren viel Wertschätzung für unsere Arbeit. Menschen kommen ins Café und berichten, wie viel Genuss und Vorfreude sie mit unseren Produkten verbinden. „Wir haben ja sonst gerade nicht viel, zum drauf freuen“ sagen auch viele. Gerade eben war eine Dame da und hat 100 Pralinen-Eier erstanden, zehn Zehnerpackungen, einfach um Freude zu verschenken. Aus solchen Dingen speist sich der Optimismus: Wir sind noch da. Wir sind gefragt. Aber natürlich gibt es auch bittere Realitäten. Mein Stellvertreter aus dem Vorstand der Konditoreninnung hat seinen Betrieb abgegeben, früher als geplant. Für meine persönliche Lebensplanung gilt eher das Gegenteil: Vermutlich muss ich meine Lebensarbeitszeit verlängern, um jetzt eingegangene finanzielle Verpflichtungen noch zu bedienen.
Wie langfristig planen Sie derzeit überhaupt?
Das ist wahrscheinlich der Punkt, der sich am meisten geändert hat. Wir planen gar nicht mehr langfristig. Wir fahren auf Sicht, wie das so schön heißt. Die Sicherheiten, dass etwas auch in ein paar Jahren noch funktioniert, was jetzt funktioniert, ist komplett verschwunden. Es ist ein bisschen wie auf der Autobahn. Da rechnet niemand mit einer plötzlichen 90-Grad-Kurve und im Grunde ist Corona so eine scharfe Biegung. Selbst wenn man die Kurve noch kriegt, ist danach jedes Gefühl von Sicherheit verschwunden. Dann fällt es schwer, der eigenen optimistischen Intuition zu vertrauen. Ich habe jetzt zu Ostern entschieden, so viel Ostergebäck wie in den Vorjahren herzustellen. Der Zutatenlieferant war skeptisch: Wirklich so viel Marzipan wie immer? Wer weiß, was Ostern gilt?
Vor einem Jahr war das unser erstes Thema: Was wird jetzt aus der Saisonware?
Ja, und am Ende war sie komplett verkauft und wir haben nachproduziert. Trauen wir uns, optimistisch zu bleiben.
Das Gespräch führte Timo Thalmann.
Bernard Timphus hat vor 21 Jahren die Traditionskonditorei Stecker übernommen und ist Obermeister der Konditoreninnung Bremen/Oldenburg.
Kolumne endet
Genau 64 mal hat Konditormeister Bernard Timphus vom Café Stecker im zurückliegenden Jahr über seinen Alltag in der Corona-Pandemie berichtet. Vor einem Jahr, am 22. März 2020, erschien die erste Kolumne im KURIER AM SONNTAG. Zwei Tage zuvor war die Gastronomie geschlossen worden. Während des ersten Lockdowns täglich, danach zunächst wöchentlich und nach einer Sommerpause mit dem Beginn des zweitens Lockdowns im November in unregelmäßigen Abständen hat der Handwerksmeister im WESER-KURIER über seine geschäftlichen Sorgen, Gedanken und Aktivitäten berichtet. Er stand dabei auch stellvertretend für viele andere Selbstständige, deren Geschäft durch die Corona-Maßnahmen von einem auf den anderen Tag ganz oder in wesentlichen Teilen weggebrochen ist. Grund genug, nach einem Jahr eine Bilanz zu ziehen.