Herr Frerich-Sagurna, sollte es im Winter zu wenig Gas geben, sehen Sie entsprechend Ihres Amtes die Nahrungsmittelbranche vor allen anderen?
Rainer Frerich-Sagurna: Ich würde mir wünschen, dass es mit der Systemrelevanz mindestens so gehandhabt wird wie während der Pandemie. Und die Systemrelevanz bei Nahrung und Genuss ist ja nun nicht von der Hand zu weisen. Essen und Trinken sind nun mal Grundbedürfnisse. Besser wäre es aber, wenn momentan alle Branchen Gas einsparen, wo und wie sie nur können, damit es im Winter erst gar nicht zu einer solchen Situation kommt, damit dann niemand wirklich leiden muss.
Was hören Sie von Unternehmen aus Ihrer Branche, wie die sich darauf vorbereiten?
Ich weiß von einem Unternehmen hier in Norddeutschland, das wirklich sehr viel Gas verbraucht, das an einem Konzept arbeitet, wie sie mit ihren Reststoffen ihre Energie selbst produzieren können – das Ganze ist auf der Basis der Kraft-Wärme-Kopplung geplant, sodass überschüssige Wärme sogar in der Fernwärmeversorgung der Stadt genutzt werden kann. Aufgrund der momentanen Preissprünge bei Energie, insbesondere beim Gas, rechnen sich auch plötzlich Konzepte, bei denen das so vorher noch nicht der Fall war.
Das bedeutet?
Jedes Unternehmen macht das, was es kann – neben dem Einsparen, was überall zum Tagesgeschäft gehört oder gehören sollte, wird jetzt noch einmal genauer hingeschaut. Und der Blick ist dabei auch auf weitere Innovationen gerichtet, um damit dem Morgen begegnen zu können.
Inwiefern sehen sich denn innerhalb Ihrer Branche einige Unternehmen systemrelevanter als andere?
Das kann ich nicht beurteilen, ob das passieren wird. Jeder hat natürlich die Verantwortung für sein Unternehmen und seine Mitarbeiter. Am Ende geht es ja um die Erkenntnis, dass wir alle zusammen etwas für die Reduzierung des Verbrauches von fossilen Brennstoffen tun müssen. Die aktuelle Lage erfordert es insbesondere beim Gas und natürlich sollte das Klima auch davon profitieren. Aber es ist ja nun auch höchste Zeit dafür. Dass also Dinge anders angefasst werden, als es gestern noch der Fall war. In der Branche haben die Firmen auch ständig versucht, ihre Reste aus der Produktion selbst zu verwerten oder zu vermarkten und an andere zu verkaufen. Auch so kann eingesetzte Energie produktiv genutzt werden.
Der Endverbraucher sieht ja nur das fertige Produkt im Regal.
Grundsätzlich versucht jedes Unternehmen, diese „Beiprodukte“ zu vermarkten. Kleine Brauereien – auch innerhalb unseres Netzwerks – verkaufen ihren Treber zum Beispiel an Insektenproduzenten, anstatt ihn wegzuwerfen. Damit werden zum Beispiel Grillen oder schwarze Soldatenfliegen ernährt. Mit der Verwertung der Insekten stehen dann alternative Proteine zur Verarbeitung zur Verfügung, die einen wesentlich besseren CO2-Fußabdruck haben als das, was wir aus der klassischen Produktion kennen. Diese Schiene entwickelt sich gut. So gibt es inzwischen schon eine „Leberwurst“ auf Basis von alternativen Proteinen. Nicht vergessen sollten wir aber auch die Gewinnung von Proteinen aus pflanzlichen Quellen, insbesondere aus Leguminosen wie der Ackerbohne oder Lupinen.
Komme ich zu ihrem Netzwerk und ihrem Verband: Sie wachsen und haben jetzt auch eine Geschäftsstelle in Bremerhaven.
Inzwischen haben wir fast 120 Mitglieder. Immer mehr erkennen die Vorteile unseres Netzwerks, und wir werden dadurch immer mehr zum Ansprechpartner für die Politik und die Öffentlichkeit. Zu unserem elfjährigen Bestehen im vergangenen Jahr haben wir auch in Bremerhaven – in der Nähe vom Schaufenster Fischereihafen – eine Geschäftsstelle in Betrieb genommen. Auf diese Weise wollen wir die beiden Städte Bremen und Bremerhaven näher zusammenbringen und besser nach außen hin vertreten. Denn jeder in Deutschland sollte wissen, welche Relevanz die Städte im Bereich Nahrungs- und Genussmittel haben. Und jeder, der in diesem Bereich ein Unternehmen gründen möchte, möge gern zu uns kommen. Das Land Bremen hat für die Nahrungs- und Genussmittelbranche eine einzigartige Infrastruktur.
Die ersten Food-Hubs, in denen Start-ups in einer Art Testküche Probechargen herstellen können, gibt es in Bremen ja bereits.
Unter dem Namen des Food-Hubs Hanse-Kitchen sind zwei Entwicklungs- und Produktionsküchen gestartet, und zwar in der ÖVB-Arena im ehemaligen „Beckstage“ sowie in der Alten Schnapsfabrik in der Bremer Neustadt. Die beiden Standorte haben eine erfreuliche Nachfrage. Dazu kommen dann auch die Beratung und Unterstützung für Start-ups von der Starthaus-Initiative des Landes Bremen. Parallel wird auch an einem zweiten Food-Hub in Bremerhaven gearbeitet.
Eine erfreuliche Nachfrage?
Es hat sich wohl nach der Eröffnung der Hanse-Kitchen herumgesprochen, dass es da im Land Bremen Leute gibt, die wissen, wovon sie sprechen, und dass die Start-ups hier mit offenen Armen empfangen werden. Und vielleicht hat sich auch herumgesprochen, dass das Haifischbecken hier nicht so ist, wie das vielleicht in anderen großen Städten der Fall ist.
Mit Ihnen scheint Bremen einen neuen Botschafter zu haben.
Wenn jemand wirklich gründen möchte, kann ich nur sagen, dass es nichts Besseres gibt als Bremen und Bremerhaven. Man muss es nur erzählen. Und dann haben wir da auch noch die Hochschule Bremerhaven, unter anderem mit ihrem Bereich Lebensmittelwirtschaft und Lebensmitteltechnik und dem Technologietransferzentrum. Die Hochschule zählt in der Branche zu den Top-Ausbildungsinstitutionen und ist auch schon lange in unserem Netzwerk aktiv.
Das ist wohl vielen in Bremen auch nicht so bewusst.
Jetzt steht dort auch der Master-Studiengang Zur Verfügung. Da ist die Hoffnung, dass dadurch mehr Studierende nach Bremerhaven kommen die auch durch den engen Draht der Hochschule zur Lebensmittelindustrie den Kontakt zu suchen. Ich hoffe, dass sich das noch mehr herumsprechen wird, weil Bremerhaven lebenswert ist und verglichen mit anderen Standorten auch noch die Miete und die Lebenshaltungskosten bezahl bar sind.
Ebenso ist die Jacobs University im Lebensmittelbereich unterwegs.
Die Jacobs University macht da auch sehr viel, einer der Professoren ist außerdem bei uns im inzwischen neunköpfigen Vorstand. Die Analytik bei Kaffee und Kakao ist neben vielen anderen wichtigen Vorhaben besonders hervorzuheben. In Bremerhaven gibt es außerdem noch den Studiengang GIF, der sich damit beschäftigt, wie man ein Unternehmen gründet. Dort können sich Studierende mit einer Geschäftsidee bewerben, mit der sie an der Hochschule dann studieren können. An der Uni Bremen gibt es analog den Lehrstuhl für Entrepreneurship, LEMEX, der sich schon lange unter anderem mit Unternehmensgründungen beschäftigt.
Angesichts von fast 120 Mitgliedern bei Ihnen: Inwiefern hat Bremen den Weggang von Coca-Cola, Kellogg’s und Könecke verkraftet sowie das Ende der Hachez-Produktion?
Wir reden im Land Bremen nach bestimmten Kriterien von 10.000 direkten Arbeitsplätzen in dieser zweitgrößten verarbeitenden Branche des Landes Bremen, aber immer mal wieder mit ein paar Schwankungen. Leider liest und hört man immer nur Nachrichten über große Namen, aber es gab n Bremen auch schon immer einen starken Mittelstand, dessen Namen und Marken vielleicht weniger bekannt sind, und der verzeichnet durchaus Wachstum. Und dann kommen die Neuen hinzu, also Start-ups, die innerhalb von sieben oder acht Jahren 100 Mitarbeiter haben sowie Millionenumsätze. Ein interessanter Aspekt kommt noch hinzu. Immer mehr Verbraucher interessieren sich für die Herkunft und die Verarbeitung ihrer Nahrungsmittel. Sie setzen auf Regionalität, und fördern damit auch neue Produkt- und Geschäftsideen, die Neugründungen ermöglichen.
Und auch an alten Standorten entsteht etwas Neues.
Wenn man sieht, was auf dem früheren Kellogg-Gelände passiert, werden da mehr Arbeitsplätze entstehen, als Kellogg zum Schluss hatte. Bei Coca-Cola wurde das Netz der Abfüllstandorte überdacht, und die Folge wäre praktisch nur noch ein Lager in der Innenstadt gewesen. Man muss sich dann auch ehrlich fragen: Hätte dann ein Hochregallager heutzutage wirklich mitten im Stadtzentrum verbleiben sollen? Der Weggang von Könecke war traurig. Aber Hygiene und Produktion im Lebensmittelbereich ist so teuer, dass es auch leicht nachvollziehbar ist, das solche Firmen versuchen, ihre Standorte zu konzentrieren und optimal auszulasten.