Inflationsausgleich, Sockelbetrag, mehr Lohnprozente: Der am Wochenende erzielte Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst ist ein komplexes Vertragswerk. Am Ende sollen für die meisten Beschäftigten mindestens elf Prozent mehr Lohn und Gehalt dabei herausspringen, verspricht die Gewerkschaft Verdi – plus 3000 Euro steuerfrei als Einmalzahlung in Raten.
Sönke Caspers gehört als Pflegeleiter im Klinikum Bremen-Mitte der Geno nicht zu den unteren Einkommensgruppen im Krankenhaus, freut sich aber trotzdem über die Gehaltserhöhung. „In mir schlagen wegen meiner leitenden Position zwei Herzen: das des Arbeitnehmers und das des Arbeitgebers", erklärt der 45-Jährige. "Ich freue mich über mehr Geld, weiß aber auch, dass das Geld für die Lohnsteigerung im öffentlichen Dienst irgendwo herkommen muss. Mit der Tarifeinigung sind beide Herzen zufrieden.“ Auch in seinen Gesprächen mit den Pflegekräften und Stationsleitungen sei die Reaktion auf die Tarifeinigung positiv. „Mein ganz persönlicher Eindruck ist, dass der Pflegedienst in den vergangenen zwei Verhandlungsrunden eine ganz gute Aufwertung erfahren hat", sagt Caspers.
Auch Paul Feja muss als Gruppenleiter Prüf- und Methodenentwicklung am Fraunhofer Institut für Windenergiesysteme (Iwes) in Bremerhaven nach eigenem Bekunden "nicht jeden Monat auf den allerletzten Euro schauen". "Aber auch für mich ist eine angemessene Gehaltssteigerung natürlich wichtig“, sagt der 35-Jährige. „Das Resultat ist fair, vor allem durch die überproportionale Stärkung geringerer Einkommen." Für ihn bedeute der Abschluss eine Lohnsteigerung von etwa neun Prozent über zwei Jahre, was die Inflation nicht komplett ausgleichen werde. Dabei seien die Beschäftigten im öffentlichen Dienst noch in einer glücklichen Position: "Mit wie vielen privaten Arbeitgebern kann ich quasi anlasslos, nur aufgrund von Inflation, über zehn Prozent mehr Gehalt verhandeln?“
Der Tarifvertrag gilt für die 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen (TV-ÖD). Aber auch bei der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) beschäftigt man sich bereits mit dem Vertragswerk. Denn auch dort werden Mitarbeiter nach den Regularien des TV-ÖD vergütet – hauptsächlich in den Kindertageseinrichtungen. "Es gibt keinen Übernahmeautomatismus, bisher wurde die Übernahme aber immer beschlossen", sagt Sabine Hatscher, Sprecherin der BEK. Man gehe allein für das Jahr 2023 von Mehrkosten von mindestens 2,1 Millionen Euro aus. "Der Tarifabschluss stellt für die BEK eine massive finanzielle Herausforderung dar, die in Zeiten sehr knapper Haushaltsmittel nur unter äußerster Anstrengung umgesetzt werden kann", sagt Hatscher.
Die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst beobachtet auch Franz Hartmann, Verdi-Fachsekretär für den Bereich Verkehr. Gewerkschaft und BSAG-Betriebsrat verhandeln seit Wochen mit dem Bremer Verkehrsunternehmen über einen neuen Tarifvertrag. Die Beschäftigten fordern pauschal 600 Euro mehr Bruttolohn. Die BSAG habe die Verhandlungen im öffentlichen Dienst abwarten wollen. In der nächsten Runde, die am Mittwoch stattfinde, rechne er mit einem Angebot, sagt Hartmann. Die Abschlüsse im öffentlichen Dienst gäben Auftrieb, seien aber nicht der einzige Maßstab.