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"Sustain"-Konferenz des WESER-KURIER Ein Land will nach oben

Senegal gilt als eines der Vorzeige-Länder in Westafrika: weitgehend demokratisch und rechtsstaatlich, verschont von radikal islamischen Strömungen und Terroranschlägen.
20.03.2018, 21:16 Uhr
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Von Birgit Holzer

Der historische Ort kommt unspektakulär daher: Eine spärlich eingerichtete Wohnung mit fleckigen Wänden in einem belebten Viertel von Dakar, der Hauptstadt Senegals. Durch die offenen Fenster dringt Ziegen-Geblöke von draußen herein. Es vermittelt den Eindruck ländlicher Gemächlichkeit mitten in der Stadt. So idyllisch ging es hier aber nicht immer zu.

Die Bedeutung dieser Räume für das Land offenbart sich schnell an einigen der Fotos, die an den Wänden hängen. Sie zeigen hochrangige Besucher wie den früheren französischen Außenminister Laurent Fabius oder Barack Obama auf Stippvisite, leger im weißen Hemd. „Obama? Er war gerade mal zehn Minuten hier – eine reine PR-Geste“, sagt Cheick Oumar Touré, der sich Thiat nennt und ebenfalls auf manchen Bildern zu sehen ist.

Der 38-jährige Aktivist lancierte in dieser Wohnung am 16. Januar 2011 gemeinsam mit Freunden, die Journalisten oder Rapper wie er sind, die friedliche Widerstandsbewegung „Y’en a marre“ (übersetzt etwa „Schnauze voll“ oder „Genug ist genug“).

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Damit begann eine kleine senegalesische Revolution – zwar nicht vergleichbar mit den umstürzenden Ereignissen des „Arabischen Frühlings“ zur selben Zeit in mehreren nordafrikanischen Ländern. Aber es entstand ein wichtiges Sprachrohr für die vielen Enttäuschten, die sich schon lange über Korruption und Nepotismus in der Politik, ständige Stromausfälle und mangelnde Jobperspektiven für die junge Generation empörten.

Monatelang wurden Demonstrationen organisiert, die die Regierung vergeblich einzudämmen versuchte. Indem sie die Jugend mobilisierte, spielte „Y’en a marre“ eine wichtige Rolle beim Machtwechsel im Zuge der Präsidentschaftswahlen im Februar 2012. Der damals 85-jährige Präsident Abdoulaye Wade unterlag seinem Kontrahenten Macky Sall. Er akzeptierte die Niederlage und trat ab. „Wir wurden Wade auf friedliche Weise los: Das ist keine Selbstverständlichkeit“, sagt Thiat.

Doch auch vom Nachfolger war er schnell enttäuscht; Macky Salls Angebot von Regierungsposten für Mitglieder von „Y’en a marre“ schlugen diese aus, weil sie es als Versuch sahen, sich kaufen zu lassen. „Wir müssen eine Brücke zwischen Bevölkerung und Politik bleiben.“ So Thiat.

Französische Unternehmen sind allgegenwärtig

Schnell redet sich der junge Mann, der in seiner Heimat Berühmtheit erlangt hat, in Rage: „Macky Sall denkt nicht: 'Senegal first', sondern: 'France first'. Er ist eine Marionette der einstigen Kolonialmacht, die uns wirtschaftlich immer noch dominiert und ihre politisch Verbündeten stützt.“ Tatsächlich sind französische Unternehmen allgegenwärtig in dem Land, das 1960 unabhängig wurde – vom Ölkonzern Total über die Supermarkt-Kette Auchan bis zu den Unternehmen Engie, Thales und Alstom, die einen neuen Regional-Expresszug bauen.

Frankreich ist der wichtigste Handelspartner des Senegal, die Eliten des Landes haben oft dort studiert, Französisch ist Amtssprache. Weiterhin ist der CFA-Franc als gemeinsame Währung von acht Ländern der Westafrikanischen Wirtschafts- und Währungsunion an den Euro – wie zuvor an den französischen Franc – gekoppelt.

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Zwar versicherte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im November bei einer Afrika-Rede in Burkina Faso, die Kolonialzeit sei längst passé – alte Strukturen bestehen aber fort. Zu den wichtigsten Sektoren gehört weiter der Erdnuss-Anbau, den die einstige Kolonialmacht massiv vorantrieb. Doch in den 70er-Jahren kam es zum Preisverfall, die Jahresproduktion sank von einer Million Tonnen auf heute 700.000 Tonnen.

Die Böden leiden an der jahrzehntelangen Monokultur, wurden durch Pestizide zerstört. Heute bemühen sich die Kleinbauern um nachhaltige Landwirtschaft und mehr Vielfalt auf den Äckern, um irgendwann die eigene Bevölkerung zu ernähren. Ob Getreide oder Reis, teils sogar Obst und Gemüse – Senegal hängt stark von Nahrungsmittelimporten ab.

Plan sieht große bauliche Investitionen vor

Doch es gilt als eines der Vorzeige-Länder in Westafrika: weitgehend demokratisch und rechtsstaatlich, verschont von radikal islamischen Strömungen und Terroranschlägen trotz der Grenze zum instabilen Mali. Stolz verweist die Regierung auf Wachstumsraten von 6,8 Prozent seit 2014. Der aktuelle „Plan aufstrebender Senegal“ sieht bis 2035 große bauliche Investitionen vor; in der gerade entstehenden neuen Stadt Diamniadio vor Dakar wird eine industrielle Plattform angesiedelt.

„Wir arbeiten an der Gründung weiterer Wirtschaftspole, an berufsorientierter Hochschulausbildung, am Ausbau von Solaranlagen“, sagt Mayacine Camara vom Ministerium für Wirtschaftsplanung. Ihm zufolge geht es – trotz einer offiziellen Jugendarbeitslosigkeit von 48 Prozent – steil bergauf mit dem Senegal, sodass sich der Traum vom besseren Leben im Ausland irgendwann erübrigen soll. „Die beste Kommunikationsstrategie ist zu zeigen, dass es auch bei uns Hoffnung und Arbeitsmöglichkeiten gibt. Es entstehen Infrastrukturen wie in Europa, beispielsweise der neue Flughafen.“

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Rapper Thiat glaubt nicht an diese optimistischen Visionen. Von der Regierung, so sagt er, erwarte er zuallererst, dass sie für eine bessere Gesundheitsversorgung auch der Armen sorge, dass sie Krankenhäuser, Schulen und Unis mit technologischer Ausrichtung schaffe, anstatt mithilfe chinesischer und französischer Konzerne neue Straßen oder einen schillernden Hightech-Flughafen zu bauen.

Und von der Gesellschaft, sich noch viel mehr zu engagieren: „Es reicht nicht, nur auf Gottes Hilfe zu warten. Man muss sich selbst in den Hintern treten.“ Er hasse die Bilder von Menschen, die auf Booten über das Mittelmeer nach Europa fahren, in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft. „Ich sage: Bleibt hier. Wir haben Erde, Luft, Platz. So viel Potenzial.“

An einem anderen Ort wird das Agieren der EU als Teil des Problems gesehen: In Joal, dem größten Fischerhafen des Landes, findet Abdou Karim Sall harsche Worte gegen illegale Fangflotten auch aus Europa. Mit kräftiger Stimme redet der Präsident eines Kleinfischer-Verbandes gegen den Lärm am Strand an. Boote mit Fischern legen an, um die sich Frauen sammeln, die ihnen die Ware ab- und am Markt weiterverkaufen. Oft tragen sie ihre Babys um den Rücken geschnürt, während sie arbeiten. Lebhaft wird gefeilscht.

Abkommen über erlaubte Fangquoten

„Das Land ist nur stabil, wenn genug Fisch da ist: drei Millionen von 14 Millionen Einwohnern im Senegal hängen davon ab“, sagt Sall. „Doch Europa plündert unsere Ressourcen und fischt vor unseren Küsten – und wenn unsere Jungen dann kommen, will man sie nicht. Ist das fair?“ Ebenso wie Greenpeace vermutet er, dass Boote aus dem Ausland hier ihre Netze auswerfen. Der Fisch wird immer rarer.

Seitens der EU werden solche Vorwürfe zurückgewiesen; es gibt Abkommen mit der senegalesischen Regierung über erlaubte Fangquoten. Sall hingegen schimpft, es gebe nicht genügend Kontrollen. Seine Wut darüber ging 2014 so weit, dass er mit ein paar Kameraden zwei Kapitäne – „einer war spanisch, einer asiatisch“ – gekidnappt und bei sich zu Hause eingesperrt hat.

Frei ließ er sie erst gegen Gespräche mit der Regierung. „Sie stellte sich etwas deutlicher hinter uns. Das Problem war zumindest zur Hälfte geregelt“, sagt Sall, sichtlich zufrieden über seinen Coup. Zwar musste er ein paar Tage ins Gefängnis – aber das war ihm seine Botschaft wert: „Y’en a marre“ – genug ist genug.

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