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"Sustain"-Konferenz des WESER-KURIER "Mobilfunk in Nairobi besser als in Berlin"

Auf der "Sustain"-Konferenz des WESER-KURIER am Dienstag in der Bremischen Bürgerschaft verdeutlichte Igor Cesar am Beispiel seines Heimatlandes Ruanda, was in Afrika alles möglich sein kann.
20.03.2018, 22:29 Uhr
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Von Jan-Felix Jasch

Wer in Ruanda ein Unternehmen gründen will, kann das innerhalb von fünf Stunden online anmelden, und dann kann er loslegen. Das ist eines der Beispiele, das Igor Cesar erwähnt. Er ist der Botschafter von Ruanda und sagt: "Das sollte zeigen, was für ganz Afrika möglich ist." Auf der "Sustain"-Konferenz des WESER-KURIER am Dienstag in der Bremischen Bürgerschaft verdeutlicht er damit, was alles möglich ist.

Ruanda – vielen sagt das Land etwas wegen des Völkermords im Jahre 1994. Innerhalb von 100 Tagen wurden bis zu einer Million Tutsi von Hutu-Angehörigen ermordet. Cesar spricht auf der Konferenz vor Vertretern aus Wirtschaft, Politik und von Nichtregierungsorganisationen. Dabei sagt er zu Beginn: "Entschuldigen Sie bitte, wenn ich meinen Vortrag gleich auf Englisch halte. Ich bin auf Deutsch nicht so komfortabel." Danach referiert er aber weitere fünf Minuten auf Deutsch und wechselt erst dann ins Englische.

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Damals sei Ruanda am Boden gewesen. Doch in den letzten 24 Jahren sei viel passiert in seinem Heimatland, so Cesar. Inzwischen gilt Ruanda als das sicherste Land in Afrika. Es profitiert stark vom Tourismus. Pro Jahr wächst Ruandas Wirtschaft zwischen sieben und acht Prozent. Und das Land setzt alles daran, dass es so weitergeht. Cesar nannte als weiteres Beispiel, dass die Regierung seit 2007 mehr als 40 Reformen umgesetzt hat, um damit die Unternehmer zu unterstützen.

Und wenn die Unternehmen sich entwickeln können, schaffen sie auch Jobs. Nur über diesen Weg könne Entwicklung funktionieren, sagt auch Stefan Liebing. Er ist Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Bislang sei es gelungen, 200.000 Arbeitsplätze in afrikanischen Ländern zu schaffen. Die Vereinten Nationen gehen bis 2050 von einer Verdopplung der afrikanischen Bevölkerung aus.

Aufforderung zu Investitionen

Angesichts dieses Wachstums müssten jedes Jahr 20 Millionen neue Jobs entstehen, rechnet Liebing vor, bremst aber gleichzeitig die Prognosen: „Wir als deutsche Wirtschaft können das Problem nicht lösen, sondern nur einen Beitrag leisten.“ Und so fordert er deutsche Mittelständler auf, verstärkt in afrikanischen Staaten zu investieren.

Das Potenzial an Arbeitskräften sei vorhanden: Die Zahl der Afrikaner mit sekundärer Ausbildung habe sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt. Außerdem befinden sich weltweit betrachtet sechs der zehn Länder mit den größten wirtschaftlichen Wachstumsraten ebenso in Afrika. Es gebe IT-Existenzgründerparks und eine gute mobile Infrastruktur. „In Nairobi telefonieren sie mit dem Handy besser als in Berlin“, sagt Liebing.

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Doch er fordert von der Bundesregierung mehr Engagement. Sie sollte die Mittelständler stärker unterstützen, um sie so mehr zu motivieren. Aber auch die Regierungen in Afrika müssten ihre Hausaufgaben machen: „Sie müssen die Rahmenbedingungen verbessern, zum Beispiel die Korruption verringern“, sagt Liebing. „Wir haben durch schlechte Regierungen in manchen Staaten 30 bis 40 Jahre verloren.“

Es ist das Einerseits/Andererseits auf dieser Nachhaltigkeits-Konferenz. So fällt an diesem Tag zwar häufig der Begriff Entwicklungshilfe. Aber den hören die Mitarbeiter des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) ungern. Warum, sagt Dirk Schwenzfeier, der beim BMZ der Beauftragte für Wirtschaft und Kommunen ist: „Wir empfinden das nicht als Entwicklungshilfe, sondern als Partnerschaft auf Augenhöhe.“

Die Bundesregierung habe ihre Afrikapolitik verändert und den Kontinent stärker in den Fokus gerückt. Igor Cesar sagt: „Afrika bewegt sich, es tut sich viel.“ Er ergänzt: „Wir als Kontinent und Länder sind uns bewusst, dass wir viel mit der Krise zu tun haben, in der wir uns heute befinden. Die Lösungen können nicht nur von außen kommen. Sie können aber unterstützen, was innerhalb Afrikas bereits geschieht.“

In 50 Jahren ein Wettbewerbskontinent

Von nur einer afrikanischen Wirtschaft zu reden, sei falsch, wie Thomas Baum sagt. Der Vertreter von Euler Hermes spricht lieber von 54 unterschiedlichen Märkten. Sein Unternehmen sichert weltweit Warenkredite ab und springt ein, wenn ein Geschäft mangels Zahlung platzt. Baum diskutiert mit Vertretern des Afrika-Netzwerks Bremen, der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), dem Unternehmen GreenTec Capital Partners sowie Brot für die Welt darüber, wie sich Afrika vom Agrar- und Rohstoffproduzenten zu einem Ort der Wertschöpfung, Nachhaltigkeit und des Friedens entwickeln kann.

Dabei geht es auch um die Frage, welche Rolle Entwicklungszusammenarbeit spielen soll. Baums Vision: In 50 Jahren wird Afrika ein Wettbewerbskontinent sein. Der Weg dorthin sei aber voller Hürden. Erick Yong, Vorstandschef und Mitbegründer von GreenTec Capital Partners, sieht als größte Herausforderung, das Finanzwesen auf den afrikanischen Kontext zu übertragen. Yongs Unternehmen investiert in afrikanische Start-Ups.

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So weiß er aus der Praxis: Im Gegensatz zu Europa sind in Afrika eher kleine Unternehmen aktiv. "Problematisch ist, wohin das Geld fließt, und ob es der afrikanischen Bevölkerung einen Mehrwert bietet", sagt er. Auch Francisco Marí von Brot für die Welt sieht ein großes Potenzial für den Handel innerhalb des afrikanischen Kontinents.

„Nur 17 Prozent der Güter werden innerhalb Afrikas verkauft“, sagt er. „Wenn die Infrastruktur da wäre, könnte es einen riesigen Wirtschaftsboom geben.“ Diese Voraussetzungen müssten erst geschaffen werden. Kontrovers ist es an diesem Tag bei der Diskussion über nachhaltige Landwirtschaft gewesen. Dazu hat Uwe Mazura beigetragen. Denn der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der deutschen Textil- und Modeindustrie hat die Nachhaltigkeitsdebatte als "eine großstädtische, aufgeblasene Diskussion" bezeichnet.

Erinnerung an die Kolonialzeit

Unternehmen würden bislang wenig nachhaltig produzierte Waren auf den Markt bringen, weil sie damit kaum Geld verdienen können. Mit dieser Ansicht ist Mazura allein auf dem Podium gewesen. So sagt der Vizepräsident der Bremer Baumwollbörse, Fritz A. Grobien, dass die Kunden, die die Textilien kaufen, vom Mehrwert der Nachhaltigkeit überzeugt werden müssen.

Es war an diesem Tag Bürgerschaftspräsident Christian Weber, der an die Kolonialzeit erinnerte. Hanseatische Kaufleute profitierten im Kolonialismus vom Handel mit Kaffee, Tee und Zucker: "Was vom 15. bis zum 20. Jahrhundert geschehen ist, muss heute durch fairen Handel beantwortet werden." Fairer Handel ist aber nur ein Aspekt von Nachhaltigkeit, die aber perfekt zu Bremen passe, wie WESER-KURIER-Chefredakteur Moritz Döbler unterstrich: "Afrika steht in Bremen stark im Fokus. Das belegen nicht nur zahlreiche Veranstaltungen zum Thema."

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