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Gläubiger warten auf Millionen Greensill-Insolvenz: Wie läuft die Aufarbeitung des Finanzskandals?

In diesem Jahr sorgte ein Finanzskandal für Aufsehen: Die Bremer Greensill Bank geriet in Schieflage. Eine Insolvenz, die viele Kommunen traf. Wie die Aufarbeitung des Falls läuft.
21.12.2021, 09:19 Uhr
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Von Lisa Schröder Florian Schwiegershausen
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Die Greensill Bank hätte viel eher Insolvenz beantragen müssen. So sagt es Nordenhams Bürgermeister Niels Siemen (parteilos) aufgrund der Klagen, die die internationale Wirtschaftskanzlei Devons unter anderem für die Stadt in der Wesermarsch vorbereitet. "Eigentlich hätte bereits am 22. Dezember 2020 die Insolvenz festgestellt werden müssen", sagt der ehemalige Wirtschaftsförderer aufgrund der Einblicke, die die Rechtsanwälte ins Verfahren haben. Entsprechend bereitet Devons eine Klage gegen die sogenannte D&O-Versicherung des ehemaligen Vorstands vor. Dabei handelt es sich um eine Art Haftpflichtversicherung. Siemen sagt: "Wir werden erstmal den Weg einer Teilklage gehen." Sollte das erfolgversprechend aussehen, werde man eine weitere Klage über eine größere Summe nachlegen.

Nordenhams Bürgermeister rechnet sich Chancen aus. Denn die Stadt habe noch am 17. Februar in diesem Jahr die zehn Millionen Euro angelegt. Anfang März schloss Deutschlands Finanzaufsicht Bafin die Bank für den Kundenverkehr und erstattete Anzeige wegen Bilanzfälschung. Mitte März erfolgte dann der Insolvenzantrag.

Wer ist von der Insolvenz betroffen?

Neben Nordenham hatten mehr als 30 andere Kommunen bei Greensill investiert – sowie zehntausende Privatanlegern.

Sehen die Gläubiger ihr Geld wieder?

Hier muss unterschieden werden. Die gut 22.000 Privatanleger erhielten eine Entschädigung über den Einlagensicherungsfonds genauso wie NDR, SWR und Saarländischer Rundfunk. Die Sender legten insgesamt 103 Millionen Euro an. Die Kommunen waren über den Fonds dagegen nicht abgesichert. Der zuständige Insolvenzverwalter Michael Frege von der Kanzlei CMS Hasche Sigle machte bei der Gläubigerversammlung im Juni in der Bremer Glocke klar, dass den Städten aber kein Totalverlust drohe.

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Unlängst gab es eine erste Abschlagsverteilung an die Entschädigungseinrichtung deutscher Banken. Frege bezeichnete dies als einen guten Erfolg: "Damit erhält die gesetzliche Entschädigungseinrichtung einen Teil der Gelder zurück, die sie zur Absicherung an die Sparer und kleinen Anleger verauslagt hat." Auf diesem Wege solle es weitergehen. "Sofern wiederum Geldbeträge für die Gläubiger gesichert werden konnten, erfolgen weitere Abschlagszahlungen."

Wann sind die Kommunen an der Reihe?

"Sobald die Entschädigungseinrichtung ihre Gelder zurückerhalten hat, werden weitere Abschlagszahlungen an die übrigen Gläubiger, einschließlich der Kommunen, erfolgen können", so Frege. Wann genau das sei, lasse sich aber nicht bestimmen. Auf diesen Zeitpunkt wartet auch Daniel Zimmermann, Bürgermeister der Stadt Monheim am Rhein nahe Düsseldorf. Er berichtet von Firmen, die an verschiedene Kommunen herangetreten sind, um die Forderungen aufzukaufen. Sie würden den Städten und Gemeinden 30 Prozent der Greensill-Bank-Ausstände zahlen. "Wir haben das bei uns geprüft, und das Angebot abgelehnt", sagt Daniel Zimmermann. Monheim legte 38 Millionen Euro bei dem Bremer Bankhaus an, um so wie andere Kommunen auch den Minuszinsen aus dem Weg zu gehen.

Zimmermann rechnet damit, dass man am Ende mehr als 30 Prozent des Geldes erhalten werde: "Man kann nur eben nicht sagen, ob das im kommenden Jahr der Fall sein wird oder irgendwann danach." Solche Angebote müsse jede Kommune für sich prüfen. Zusammen mit anderen Kommunen setzt Monheim auf die Kanzlei Eckert und prüft zivilrechtliche Klagemöglichkeiten.

Und dann gibt es mit Nieding + Barth in Frankfurt am Main eine dritte große Kanzlei, die weitere Kommunen vertritt. Anwalt Klaus Nieding sagte: "Wir sind derzeit in einem ersten Schritt dabei, Anlagevermittler außergerichtlich in Anspruch zu nehmen – wegen Nennung des positiveren, veralteten Ratings." Die Kanzlei will ebenso Vorstand und Aufsichtsrat der Greensill Bank in Haftung nehmen, wie es auch Nordenham plant.

Was ist der Stand bei der Bremer Staatsanwaltschaft?

Die Ermittlungen richten sich gegen fünf Personen, darunter der Vorstand der Bank. Im April ließ die Staatsanwaltschaft sowohl Häuser als auch die Bank durchsuchen. Staatsanwalt Frank Passade beschreibt die Situation so: "Wir befinden uns in der Mitte des Verfahrens." Allerdings sagte Passade, dass weiterhin wegen Bilanzfälschung ermittelt werde. Insolvenzverschleppung sei bisher nicht Gegenstand der Ermittlungen. Im Oktober gab es ebenso Durchsuchungen in der Schweiz bei der Credit Suisse, die ebenfalls in das Geschäft von Greensill Capital involviert war.

Wie geht die Insolvenzverwaltung vor?

Insolvenzverwalter Frege will schnell eine möglichst hohe Insolvenzmasse erstreiten, wie er bereits im Sommer bei der Gläubigerversammlung ankündigte. Die Bank besaß unter anderem in Bremen Immobilien im Wert von 15 Millionen Euro sowie drei Flugzeuge in Liverpool. Zur Höhe der Insolvenzmasse und einzelnen Vermögensdaten dürfe sich Frege nicht äußern. Die Verwertung von Vermögensgegenständen verlaufe aber planmäßig: "Die im Eigentum der Schuldnerin vorgefundenen Flugzeuge sind inzwischen veräußert."

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Frege beschreibt das Verfahren als komplex: "Es gibt eine große Anzahl von Geschäfts- und Rechtsverhältnissen, die derzeit laufend parallel bearbeitet werden. Die Schwerpunkte liegen in England, den USA, Australien und Deutschland." Es gehe weiter darum, sagt der Jurist, mögliche Rechtsansprüche im Ausland zu sichern und durchzusetzen. "Es sind erste Klagen gegen die in Australien ansässigen Versicherungen eingereicht worden."

Wie lange wird das Insolvenzverfahren dauern?

Der Verlauf des Verfahrens lässt sich nach Einschätzung von Michael Frege erst in den nächsten zwei bis fünf Jahren genauer absehen: "Insolvenzverfahren bei Banken sind kompliziert und langwierig. Sie können zwischen zehn und dreißig Jahre dauern." Die Verfahrensdauer hänge hier auch davon ab, ob und in welchem Umfang Rechtsstreitigkeiten im Ausland geführt werden müssten.

Allein von CMS Hasche Sigle sind für dieses Verfahren Dutzende Mitarbeiter im Einsatz. Die Kanzlei hat in Bremen Büroräume gemietet. "Die Insolvenzverwaltung arbeitet mit einem großen Team an Spezialisten", so Frege. "Es sind Rechtsanwälte aus verschiedenen Fachgebieten einbezogen. Das Team besteht insgesamt aus circa 60 Rechtsanwälten und ihren Mitarbeitern."

Was ist mit den Mitarbeitern von Greensill?

Anfang des Jahres waren bei der Bank noch fast 140 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Etwa 60 Beschäftigte sind im Zuge des Verfahrens noch in der Bank in der Martinistraße tätig. "Die Strukturen in dem Büro der Greensill Bank werden derzeit weiter geordnet und gestrafft", heißt es von Frege. Andere Mitarbeiter haben inzwischen eine neue Arbeit gefunden.

Zur Sache

Die Schieflage der Bremer Greensill Bank

Die Bremer Privatbank gehörte zur australisch-britischen Greensill Gruppe. 2011 vom Ex-Banker Lex Greensill gegründet, spielte die Gruppe eine wichtige Rolle bei der Finanzierung von Lieferketten. Dabei ging es um einen kurzfristigen Bargeldvorschuss, der Unternehmen Zeit gibt, um Lieferanten zu bezahlen. Greensill Capital zahlte einem Lieferanten schneller die Rechnung, als es der Auftraggeber konnte – und erhielt dafür einen Rabatt. Für diese Geschäfte war ausreichende finanzielle Rückendeckung erforderlich. Die Bremer Greensill Bank verstand sich laut Bafin als Refinanzierer für die Gruppe. Die Forderungen bündelte Greensill Capital in anleiheähnlichen Wertpapieren und verkaufte sie an Investoren.

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