Vor Schanghai stauen sich die Schiffe, seit mehr als zwei Monaten ist in der Ukraine Krieg. In der Baubranche drohen jetzt Lieferengpässe. Wie blicken Sie auf die Entwicklungen speziell im Straßenbau, Herr Keller?
Lars Keller: Momentan läuft das Geschäft eigentlich stabil. Wir kriegen alles, aber eben teilweise zu erheblichen Mehrkosten von 20 bis 100 Prozent – und mehr. Außerdem muss ich die Ware rechtzeitig bestellen, denn die Lagerbestände der Zulieferer sind leer. Wir sind beim klassischen Baustahl darauf angewiesen, dass die Händler weitere Kontingente irgendwo auf dem Markt beschaffen.
Vor allem Stahl und Bitumen werden knapp. Fürchten Sie um die Versorgungssicherheit?
Bisher können wir unseren Bedarf für die nächsten Monate decken. Wo die Reise hingeht, ist zurzeit jedoch völlig offen. Es fehlt nicht nur der Stahl aus der Ukraine, sondern auch aus Russland. Beim Bitumen ist es im Moment so, dass ganz Ostdeutschland an der Raffinerie in Schwedt hängt – und die kriegt ihr Öl primär aus Russland. Zurzeit läuft die Raffinerie, die zu mehr als der Hälfte Rosneft gehört, auf Hochtouren. Wenn aber ein Öl-Embargo kommt, wird das den Markt kräftig durcheinanderwirbeln. Es geht um Bitumen für Asphalt, Diesel und Benzin für fast den gesamten Osten.
Droht im Straßenbau angesichts der Unruhen Kurzarbeit?
Nach meiner Einschätzung werden wir jetzt keine größeren Fälle haben. Die Gefahr sehe ich viel mehr im zweiten Halbjahr. Das liegt unter anderem daran, dass viele Bauunternehmen einen recht hohen Auftragsbestand mit ins Jahr genommen haben. Leider haben diese ganzen Aufträge aber den unschönen Nebeneffekt, dass natürlich die Kosten seit der Kalkulation komplett durch die Decke gegangen sind.
Was hat das für Konsequenzen?
Wir werden auf einigen Baustellen Verluste sehen. Ganz klar. Das lässt sich nicht auffangen. Das liegt auch daran, dass die Margen bei uns viel geringer ausfallen als in anderen Branchen. Der Knackpunkt ist, dass die Budgets der öffentlichen Auftraggeber wegen der Kostensteigerungen früher erschöpft sein werden, sodass die geplanten Baumaßnahmen fürs Jahr vermutlich nicht komplett umgesetzt werden können. Deshalb rechne ich zum Jahresende vermehrt mit Kurzarbeit.
Weniger wegen der drohenden Materialengpässe?
Im Moment noch nicht. Das kann natürlich ein zweiter Effekt werden.
Welches Material macht Ihnen aktuell Sorgen?
Akut gibt es keine konkreten Anzeichen für Engpässe. Das kann sich aber schnell ändern. Ich vermute zudem, dass einige Lieferanten als Trittbrettfahrer aufspringen. Nach dem Motto: Alle haben Verzögerungen, alles wird teurer, das können wir auch!
Bauunternehmen bekommen aber doch eine Entlastung.
Es gibt einen Erlass des Bundesverkehrsministeriums. Wir dürfen einen Teil der Mehrkosten unter bestimmten Bedingungen weitergeben. Das politische Zeichen ist stark, aber bei der Umsetzung lauern eine ganze Menge Fallstricke. So bleiben auch wir auf dem Großteil der Mehrkosten wohl sitzen, weil die allermeisten Projekte die Bedingungen nicht erfüllen. Teils geht es bei einer Baustelle um sechsstellige Beträge. Neben dem Material belasten uns auch die höheren Frachtraten und Dieselpreise. Und viele Nachwehen des Krieges kommen ja jetzt erst in den nächsten Monaten und Jahren, wenn wir uns von der Abhängigkeit von Russland lösen wollen. Wir wissen, dass das mit Kostensteigerungen verbunden sein wird.
Wenn Sie mit Verlusten rechnen: Reicht das Finanzpolster der Betriebe? In der Pandemie war die Industrie recht unerschütterlich.
Für Unternehmen, die von der Finanzstruktur her schwächer aufgestellt sind, kann das durchaus existenzbedrohend werden. Besonders für den Hochbau sind die Preisexplosionen dramatisch. Insgesamt herrscht in der Branche aber ein Grundoptimismus, wenn wir uns anschauen, wo das Land steht und wo es zwingend hinmuss. Die Energiewende heißt zum Beispiel für uns bauen, bauen, bauen.
Sie müssen aber anders bauen. Heute belastet das Bauen das Klima stark.
Wir werden uns anpassen müssen. Wir sperren uns aber gar nicht dagegen. Und leider bleiben die Möglichkeiten und Potenziale, die uns zum Beispiel die Verwendung von mehr Recyclingbaustoffen bieten würde, weitestgehend ungenutzt.
Wie steht es aus Ihrer Sicht um die Infrastruktur in Bremen und Niedersachsen?
Bremen hat ein Defizit beim Straßenbau. Das wird sich noch vergrößern, wenn man jetzt für die gleichen Mittel weniger Straße bekommt. In Niedersachsen sieht es ähnlich aus. Seit vielen Jahren ist im Grunde nichts gemacht worden. Das holt uns jetzt massiv ein.
Was heißt das für die Bürgerinnen und Bürger?
Die Bürger müssen länger auf den kaputten Straßen fahren und Teilsperrungen befürchten. Es wird heute zwar bereits eine Menge gebaut – auch in Bremen. Gerade beim Brückenbau, wo viel mehr gemacht werden müsste, sind aber erhebliche Leistungen unter anderem von Ingenieuren und Statikern notwendig. Daran hapert es. In dem Segment spüren wir jetzt den Fachkräftemangel.
Das Radwegenetz baut Bremen deutlich aus.
In die Premiumrouten für Radfahrer wird aufgrund des politischen Willens extrem viel Geld reingesteckt. Der Abschnitt am Wall soll noch in diesem Jahr gebaut werden. Wir haben auch ein Angebot abgegeben. Ich würde mir da aber insgesamt mehr wünschen.
Was meinen Sie genau?
Aus meiner Sicht bräuchte Bremen beim Verkehr eine komplette Neuplanung. Wie bekommen wir etwa den Schwerverkehr aus der Innenstadt? Dafür muss als Erstes der Autobahnring geschlossen werden. Und dann müssen wir schauen, wie wir weitermachen. Ich habe es auch schon unserer Senatorin gesagt. Ich empfinde das Ganze oftmals etwas als Flickwerk.
Sie wünschen sich also einen größeren Wurf beim Verkehr – nicht nur im eigenen Interesse.
Ich meine, dass es nicht damit getan ist, Straßen umzuwidmen und Farbmarkierungen aufzubringen, wenn ich Bremen umgestalten möchte. Da muss ich mehr machen. Andere Städte sind da schon weiter, weil sie baulich viel getan haben. Ich habe es mir in Kopenhagen angeschaut und bin dort auch Fahrrad gefahren.
Also plädieren Sie für mehr Kopenhagen-Flair an der Weser?
Ja, wenn man es konsequent umsetzt.