"Vitakraft" – der Name prangt in großen Buchstaben auf dem Werksgebäude. Von der Autobahn 1 am Bremer Kreuz ist das Firmengelände des Tierfutterherstellers nicht zu übersehen – es endet praktisch an der Leitplanke. Die Hoffnung, auf den grünen Wiesen jenseits der Autobahn irgendwann weiterbauen zu können, hat Vitakraft aufgegeben: Die nächste Werkserweiterung findet woanders statt. Für Olaf Orb, Geschäftsführer für den Bereich Standortpolitik bei der Handelskammer Bremen, ist das "ein Schuss vor den Bug".
Eigentlich sollte das Gewerbegebiet an der A1 ein Vorzeigeprojekt werden: Es sollte Stadt- und Landesgrenzen überwinden und zeigen, dass Kommunen auch gemeinsam um Unternehmensansiedlungen werben können. Weil das berstend volle Gewerbegebiet Bremer Kreuz nicht weiter wachsen kann, wollte Bremen zusammen mit der niedersächsischen Nachbarstadt Achim auf der anderen Seite der Autobahn weiterbauen. "Aber die Planungsabläufe sind so lang, dass Vitakraft jetzt die Geduld verloren hat", kritisiert Orb.
Für den Standortpolitik-Experten zeichnet sich hier ein Muster ab, das er auch bei der Erschließung rein bremischer Gewerbeflächen beobachtet. In einem 17-seitigen Positionspapier hat Orb jetzt aufgeschrieben, woran es aus Sicht der Handelskammer mangelt: an ausreichenden Flächen fürs Gewerbe und an zügigem Handeln der Politik.
Das Defizit lässt sich beziffern: Im Programm zur Gewerbeentwicklung für 2030, das demnächst beschlossen werden soll, ist eine jederzeit verfügbare Reserve von 100 Hektar Gewerbeflächen vorgesehen. Sie soll dafür sorgen, dass die Wirtschaftsförderer bei Anfragen von Unternehmen sofort etwas anzubieten haben. "Tatsächlich haben wir aber nur eine Reserve von maximal 40 Hektar, de facto eigentlich nur 20 bis 30 Hektar", hat Orb ermittelt. So stehen im 350 Hektar großen Güterverkehrszentrum (GVZ) am Neustädter Hafen nur noch gut zehn Hektar ungenutzt zur Verfügung, in der Überseestadt gut fünf Hektar und im Gewerbepark Hansalinie an der A1 sind es 3,5 Hektar. Andere Gewerbegebiete wie der Bremer Industriepark bei den Stahlwerken, der Technologiepark an der Uni und die Bayernstraße am Autobahnzubringer in Walle sind dagegen voll: Sofort vermarktbare Flächen stünden dort nicht zur Verfügung, so Orb.
Kein Platz für eine Chipfabrik
Für Handelskammer-Präses Eduard Dubbers-Albrecht folgt daraus die Erkenntnis: "Wenn morgen jemand kommt und eine Chipfabrik in Bremen bauen will, wäre das nicht machbar." Gewerbeflächen spielten für die Zukunftsfähigkeit des Landes Bremen eine entscheidende Rolle. "Wir reden hier ja nicht über die Ansiedlung eines Kohlekraftwerks", sagt er. "Wir reden über Zukunftstechnologien, auch im Kampf gegen den Klimawandel, wie etwa die Wasserstoffwirtschaft." Wegen der Probleme in den weltweiten Lieferketten würden zudem Teile der Industrieproduktion in den kommenden Jahren wieder nach Deutschland zurückgeholt werden. "Wenn wir diesen Unternehmen und ihren Zulieferbetrieben keine Flächen anbieten können, sind wir nicht dabei – und das wäre katastrophal", warnt Dubbers-Albrecht.
Sorgen bereitet den Kammerstrategen auch die Lage am Flughafen: Dort erlaube "die drängendste Frage keinen Aufschub", heißt es in dem Positionspapier: "Wie gelingt es, Airbus am Standort zu halten?" Wenn in Zukunft auch Flugzeuge für das klimaneutrale Fliegen in Bremen gebaut werden sollen, müssten neue Werkshallen gebaut werden. "Großteilige Flächen für Großbauteile der Luft- und Raumfahrt" seien aber nicht vorhanden. "In der Airbus-Zentrale in Toulouse wird global gedacht", warnt Dubbers-Albrecht. "Da lässt man die Standorte zum internen Wettbewerb gegeneinander antreten. Und dann wird entschieden, wo die neuen Modelle gebaut werden."
Die Vollversammlung der Handelskammer hat nun ein "Sofortprogramm zur Flächenmobilisierung" beschlossen, mit dem das Angebot an schnell verfügbaren Gewerbegrundstücken ausgeweitet werden soll. Es sieht die Planung und Erschließung zusätzlicher Flächen in der Überseestadt, an der Schragestraße in Oslebshausen (Sander-Center), an der "Horner Spitze" südlich der Uni, im Gebiet Nußhorn in Osterholz (Nähe Weserpark) und am ehemaligen Güterbahnhof vor. "Damit kämen wir in Richtung 60 bis 80 Hektar an Flächenreserve", schätzt Olaf Orb, der Autor des Kammerpapiers.
In der Wirtschaftsbehörde seien "die Positionen der Handelskammer bekannt" und würden bei der Aufstellung des Gewerbeentwicklungsprogramms 2030 berücksichtigt, heißt es aus dem Ressort von Senatorin Kristina Vogt (Linke). Der Beteiligungsprozess sei wegen des hohen öffentlichen Interesses komplex, aber transparent und der Kammer bekannt. In den grundsätzlichen Zielen sei man sich überdies einig: die Wirtschaft stärken, Innovationen fördern und dabei auch den Klimaschutz als treibende Kraft nutzen. "Wenn wir so nah beieinander sind", meint Wirtschaftssenatorin Vogt, "ist dies doch eine gute Basis, um die Gewerbeflächenentwicklung in Bremen gemeinsam voranzubringen.“