„Bremen war und ist eine Bratwurststadt“, sagt Susanne Keuneke. „Wurst geht immer.“ Die Vorsitzende des Vereins der Bremer Schausteller und Marktkaufleute muss es wissen, schließlich ist sie als geborene Trumpf gleich mit zwei Wurst-Familien verbunden. Ihre jüngere Schwester Barbara Trumpf führt den gleichnamigen, von den Eltern übernommen Traditions-Schaustellerbetrieb. Und genau wie Keuneke ist auch Trumpf in der Region zwischen Freimarkt und Verdener Domweih seit Jahrzehnten mit Würsten präsent. „Mit der Heirat habe ich eigentlich nur den Grill gewechselt“, sagt Keuneke.
Sie ist sich zudem sicher, dass die Bratwurst nicht nur in Bremen eine Zukunft hat, auch wenn eine jüngst veröffentlichte repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov anderes verheißt. Danach entscheiden sich im direkten Duell der Schnellimbiss-Gerichte insgesamt mehr Menschen für den Döner als für die Currywurst. Rund 45 Prozent der Erwachsenen bevorzugen den Döner und 37 Prozent die Currywurst. Der Rest verschmäht beides.
Noch ausgeprägter ist das Ergebnis bei den Frauen. Sie mögen noch viel lieber Döner als die Wurst (47 zu 30 Prozent), bei Männern liegt die Currywurst noch knapp vor dem Döner (43 zu 42 Prozent). Auch Ältere über 55 Jahre bevorzugen Curry- und Bratwurst. Ansonsten gilt: je jünger, desto größer die Döner-Liebe, wie Yougov ermittelte. Bei den 18- bis 24-Jährigen zum Beispiel nennen 57 Prozent den Döner und lediglich 21 Prozent die Currywurst.
Bremen verlor in kurzer Zeit zwei Traditions-Imbisse
Dass in jüngster Zeit gleich zwei bekannte Anlaufstellen für die Wurst in der Bremer Innenstadt von ihren Betreibern aufgegeben wurden, hat mit sinkender Nachfrage jedoch weniger zu tun. Das gilt für den Kiefert-Imbiss, der nach 85 Jahren in der Liebfrauenkirche an Silvester seine letzten Würste verkauft hat, das gilt auch für Keunekes Imbiss in der Lloyd-Passage. Der ist zwar nicht geschlossen, sondern wurde von einem neuen Betreiber übernommen, existiert aber wegen des geplanten Abrisses des Parkhauses derzeit nur noch auf Abruf.
„Wir waren ja schon über 40 Jahre an der Stelle, sogar schon bevor die Lloyd-Passage überhaupt gebaut wurde“, erinnert sich Keuneke. Das Kapitel ist für sie eine Geschichte von Aufstieg und Abstieg. „Der Standort war nie einfach, hat dann mit der Passage lange Zeit an Attraktivität gewonnen, zuletzt aber wieder ziemlich verloren.“
Schuld daran ist für Keuneke die Hängepartie durch Zechs Innenstadtpläne und das Hin und Her um die Zukunft des Parkhauses. Kurz nachdem sie den Betrieb schließlich abgegeben haben, war dann klar: Die Brebau übernimmt das Parkhaus und wird es abreißen. Ob, wie und wo es für die Geschäfte in der zugehörigen Ladenzeile danach weitergeht, ist noch unklar.
„Es gab zuletzt immer nur noch Mietverträge für ein Jahr, und niemand wollte mehr irgendwas investieren“, berichtet Keuneke. Immer stärker hätten die Tauben die Passage übernommen und ihr einen Dauerkampf gegen den Dreck beschert. „Die Bratwürste hat das wenig gestört, der Umsatz blieb eigentlich stabil, aber wir haben wirklich die Lust verloren.“
Familiäre Umstände dürften den Ausstieg beschleunigt haben: Keunekes längst erwachsene Kinder haben andere Berufswege eingeschlagen und werden das Unternehmen nicht weiterführen. So dimmt die 60-Jährige den Betrieb nach und nach runter. Eine einzige Wurstbude für die Jahr- und Weihnachtsmärkte der Region stellt jetzt noch die Ausstattung dar.
Nur zwei von acht Kiefert-Standorten haben überlebt
Auch bei Kiefert dürfte das Familienunternehmen nach drei Generationen irgendwann wohl auslaufen. Der aktuelle Inhaber Joachim Kiefert selbst ist 66, ein Nachfolger nicht in Sicht. Das dürfte seinen Teil dazu beigetragen haben, dass er schlussendlich nicht mehr in den verlangten Brandschutz an der Liebfrauenkirche investieren wollte und den Bartwurstverkauf an dieser prominenten Stelle eingestellt hat. Damit ist ihm nach eigenem Bekunden fast die Hälfte seines Umsatzes weggebrochen. Zwei Verkaufsstellen betreibt Kiefert noch, in Spitzenzeiten waren es mal acht.

Der jetzt an Silvester geschlossene Imbiss von Kiefert an der Liebfrauenkirche noch ohne große Reklame im Jahr 1949.
Auch Kollege und Konkurrent Michael Stockhinger hat sich inzwischen auf den Stammplatz auf dem Kirchhof der Liebfrauenkirche reduziert. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war er noch in vielen Stadtteilen präsent. Seit 1920 gilt das von seinem Großvater Alfred Stockhinger zentral platzierte „Bartwurtsglöckl“ als der erste Wurstpavillon der Stadt. Bei dem 70-Jährigen gibt es aber familiäre Interessenten für eine Fortsetzung der Firmengeschichte. „Stockhinger wird Bremen erhalten bleiben“, verspricht er. Auch für ihn hat die traditionelle Wurst Zukunft, allen Ernährungstrends zum Trotz. „Sie muss eben gut sein“, sagt er.
Stockhinger brachte einst den Burger nach Bremen
Dass heute weniger Würste umgesetzt werden als vor Jahrzehnten, liegt aus seiner Sicht am insgesamt breiteren Imbiss-Angebot. „Vor 40 Jahren hatte noch nicht jeder Bäcker belegte Brötchen, und es gab nicht an jeder Ecke Döner oder Pizza“, beschreibt Stockhinger den Wandel. Und in Sachen Fleisch dächten heute vor allem jüngere Leute mehr an Burger als an Wurst. „Tatsächlich haben wir 1962 die ersten Burger in Bremen verkauft“, erinnert er sich. Die Anregung hatte sein Vater von einer USA-Reise mitgebracht. „Aber das war kompliziert, damals konnte man nirgendwo Burgerbrötchen oder Patties beziehen. Mussten wir alles selbst machen.“
Die Burger bei Stockhinger sind heute Geschichte. Das Angebot konzentriert sich auf das Kerngeschäft aus Bratwurst, Krakauer und Schinkenbockwurst. „Ist für die Kunden am Ende einfacher, wenn sie nicht zu viel Auswahl haben“, weiß Stockhinger. Für ihn als Anbieter gilt das sowieso.

Im Jahr 1983 war die Bratwurst noch die unbestrittene Nummer eins in Sachen Fastfood. Entsprechend groß war die Frauschaft am Grill – hier bei Stockhinger auf dem Liebfrauenkirchhof – um die Nachfrage zu bewältigen.
Sein Lieferant seit sechs Jahrzehnten ist die Fleischerei Buschmann aus Twistringen. Auch Schaustellerin Barbara Trumpf setzt bei ihren Würsten auf den Handwerksbetrieb aus der Region. Wie Stockhinger wird das Geschäft bereits in dritter Generation geführt, und auch hier wird die Dynastie fortgesetzt: Der Urenkel des Firmengründers steht bereit. „Wurst ist irgendwie Traditions- und Vertrauenssache“, sagt Angelika Buschmann.
Tatsächlich wandelten sich Angebot und Nachfrage fortwährend. „Wir verarbeiten heute zum Beispiel zwar immer noch in etwa die gleichen Fleischmengen wie vor Jahrzehnten, aber produzieren damit eine Vielzahl unterschiedlicher Sorten.“ Aus der einen Bratwurst sind so sechs unterschiedliche Varianten geworden, mal gröber, mal feiner, mit diversen Würzungen und heutzutage vollständig ohne Phosphate, was einen niedrigen Wasseranteil bedeutet. „Wenn man mit Wurst auf Dauer was werden oder bleiben will, kann man das bei der Konkurrenz nur noch mit guter Qualität“, sagt Buschmann.