Hussein Abdallah wird erwartet. Als er seinen gelben Transporter parkt, beobachten ihn zwei Augen, verfolgen, wie er mit einem Paket in den Händen aus der Seitentür steigt und zur Haustür geht. Abdallah kennt das; er weiß, zu wem das Augenpaar gehört. Der Wartende ist ein Stammkunde. Klingeln muss er nicht; die Tür wird ihm geöffnet.
Szenen wie diese erlebt Hussein Abdallah täglich. Seit 2003 ist der 41-Jährige – schwarzer Vollbart, rot-gelbe DHL-Jacke, freundliche Augen – auf Bremens Straßen unterwegs, fünf Tage in der Woche fährt er Päckchen und Pakete in seinem gelben Transporter durch die Gegend, liefert sie bei Firmen und Privatpersonen ab. Abdallah ist einer von 330 DHL-Zustellern in Bremen.
Wäre 2020 ein normales Jahr, dann käme jetzt, wenige Tage vor Heiligabend, die stressigste Phase des Jahres auf Abdallah und seine Kollegen zu. Geschenke sollen rechtzeitig ankommen, immer mehr Pakete werden verschickt, Sortierzentren stoßen an ihre Grenzen. Nun ist 2020 aber in vielerlei Hinsicht etwas Besonderes. Abdallah umschreibt das so: „Für uns ist das ganze Jahr Weihnachten.“
Er erinnert sich noch an das Frühjahr 2020: Die Nachwehen des Weihnachtsgeschäfts 2019 sind gerade abgeklungen, da tritt Deutschland in den Lockdown. Geschäfte müssen schließen, Menschen bleiben zu Hause. Abdallah und seine Kollegen nicht. Die Bremer konsumieren trotz geschlossener Läden weiter – sie bestellen online. Paketzusteller wie Abdallah bringen die Waren zu den Menschen. Den ganzen Sommer geht das so. Im Herbst geht es weiter. Und jetzt, kurz vor Weihnachten, hat Abdallah noch immer viel zu tun. „Arbeit“, sagt er nüchtern, „haben wir genug.“
Vom Kfz-Mechaniker zum Paketzusteller
Es war der Zufall, der den Bremer zum Paketzusteller machte. Nachdem der gelernte Kfz-Mechaniker seine Stelle verloren hatte, habe ihn die Arbeitsagentur an den Paketdienst vermittelt. Eigentlich wollte Abdallah nur für ein paar Monate bleiben. Es wurden 17 Jahre. Aktuell ist er als sogenannter Springer im Einsatz. Heißt: Abdallah hat keine festen Touren; er hilft da aus, wo er gebraucht wird. Momentan wird er oft gebraucht, denn selbst der größte Lieferwagen ist irgendwann voll.
Abdallahs Arbeitstag beginnt früh. Um 6.30 Uhr kommt er mit den anderen Fahrern im Paketzentrum in Hemelingen zusammen und belädt seinen Wagen, um 8.15 Uhr beginnt seine Tour. An diesem Mittwoch führt sie ihn nach Habenhausen. Abdallah war dort schon oft unterwegs. Routine, die hilft, wenn er so wie an diesem Tag rund 150 Pakete innerhalb weniger Stunden ausliefern muss. „Irgendwann kennt man die Stellen, an denen man parken kann, und weiß, welcher Nachbar häufig etwas annimmt“, sagt er. Wobei gerade Letzteres kaum ein Problem sei. Viele Menschen arbeiteten derzeit im Homeoffice, Pakete könnten anders als sonst meist direkt dem Empfänger übergeben werden. Als Abdallah um 11 Uhr in den Holzdamm in Habenhausen einbiegt, hat er gerade einmal zwei Benachrichtigungskarten ausfüllen müssen – für Pakete, die in der Filiale abgeholt werden müssen, weil Abdallah niemanden angetroffen hat.
Und noch etwas habe Corona verändert: „Die Menschen sind freundlicher. Noch mehr als sonst.“ Vielen, glaubt der 41-Jährige, sei bewusst, dass es die Paketboten seien, die ihnen ermöglichten, weniger als sonst das Haus zu verlassen und trotzdem auf nichts verzichten zu müssen. Was die Paketzustellung an emotionaler Nähe gewonnen hat, fehlt ihr wiederum an tatsächlicher: Wenn Abdallah ein Paket zustellt, geht er zur Haustür, klingelt, legt die Sendung ab, macht drei Schritte zurück und wartet, bis sich die Tür öffnet und das Paket aufgehoben wird. Ein kleiner Plausch? Ein paar nette Worte? Die seien weniger geworden. Die Dankbarkeit seiner Kunden spürt Abdallah trotzdem, gerade jetzt in der Weihnachtszeit. Manche legen ein kleines Trinkgeld bereit, andere eine nette Botschaft oder eine Flasche Wein.
Abdallah macht sein Beruf Spaß, auch weil er sich wandelt. Als er 2003 angefangen habe, sei er noch mit einer Straßenkarte aus Papier durch Bremen gefahren. Heute habe er ein Navigationsgerät, das ihm zeige, welches Paket er wo als Nächstes abgeben muss. Empfänger können von zu Hause sehen, wo sich ihre Sendung gerade befindet. Mit der Digitalisierung will DHL den Kunden mehr Service bieten, gleichzeitig der gestiegen Zahl an Paketen Herr werden und den Transport optimieren.
Auch der Postbote bringt Pakete
Doch längst nicht jeder ist mit den Veränderungen zufrieden. Als Abdallah im Holzdamm unterwegs ist, trifft er auf einen Postboten. „20 Päckchen habe ich hinten drin“, sagt der und deutet auf sein Elektrofahrrad. „Da krieg‘ ich 'nen Föhn!“ Denn anders als bei den Paketen sinkt die Zahl der verschickten Briefe ständig. Um das auszugleichen, lässt die Post ihre Zusteller nun auch kleinere Paketsendungen austragen.
Genug zu tun hat Abdallah trotzdem noch. Ob er sich manchmal frage, was in all den Paketen sei? Nein, das interessiere ihn nicht, sagt er. Manchmal merke er es aber an der Verpackung. „Wenn groß Zalando draufsteht, kann ich mir natürlich denken, dass da Kleidung drin ist.“
Was Abdallah sicher weiß, ist, dass er auch in diesem Jahr noch viele Geschenke ausliefern wird. „Wir sind die wahren Weihnachtsmänner“, sagt er über sich und seine Kollegen. Nur sein Bart, der habe aktuell noch die falsche Farbe.