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Viel Stress in Job und Familie Bremer Arbeitswelt steuert auf eine Krise zu – Politik muss handeln

In Bremen wächst der Druck auf Arbeitnehmer: In einer Befragung klagen sie über Rentenängste, Pflegeprobleme und Überstunden. Welche Lösungen schlägt die Arbeitnehmerkammer Bremen vor?
03.09.2025, 14:48 Uhr
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Bremer Arbeitswelt steuert auf eine Krise zu – Politik muss handeln
Von Lennart Bonk
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Die Arbeitnehmer in Deutschland arbeiten zu wenig, sagt Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU). Elke Heyduck ergänzt den Satz um das Wörtchen "angeblich" und sendet gleich eine klare Warnung in Richtung Politik zurück. "Dass wir in der Pflege auf jeden Fall in eine Katastrophe steuern, ist sonnenklar. Da halten wir alle noch so ein bisschen still, aber das wird irgendwann so kommen", sagt Heyduck. Dieses Problem werde einen immensen Einfluss auf den Arbeitsmarkt haben.

Die Aussichten auf die Bremer Arbeitswelt sind generell eher düster. Die Geschäftsführerin der Arbeitnehmerkammer Bremen und der Hauptgeschäftsführer Peer Rosenthal haben am Mittwochvormittag die Ergebnisse der Beschäftigtenbefragung 2025 vorgestellt. Zum fünften Mal hatte das Sozialforschungsinstitut infas für die Kammer rund 3.300 Beschäftigte in Bremen zur Arbeitssituation befragt. Das Stimmungsbild sei repräsentativ – und besorgniserregend. Die drei drängendsten Themen im Überblick:

Die Kluft: Negative Entwicklung bei der Arbeitszeit schreitet voran

Etwas Positives zum Start: Gut drei von vier Bremerinnen und Bremern (72 Prozent) sind davon überzeugt, dass sie mit ihrer Arbeit einen wichtigen gesellschaftlichen Beitrag leisten. Im Vergleich zu den Befragungen in den Vorjahren ist der Anteil um drei Prozent gewachsen.

Allerdings wächst auch die Zahl auf dem Überstundenkonto an. Mehr als jeder zweite Arbeitnehmer im Bundesland leistet täglich Mehrarbeit, jeder Fünfte arbeitet sogar wöchentlich drei Stunden länger als vertraglich vereinbart. Entlohnt werden die Überstunden selten. Durchschnittlich arbeiten Vollzeitbeschäftigte in Bremen 40 Stunden und damit eine Stunde länger als sie müssten. Mit den Wochenstunden der Teilzeitbeschäftigten liegt die vereinbarte Arbeitszeit bei 34,2 Wochenstunden, real leisten die Arbeitnehmer 35,6 Stunden ab.

Die Entwicklung hat sich schon angedeutet. Vor vier Jahren lag die Differenz zwischen vertraglicher und tatsächlicher Arbeitszeit bei 0,6 Überstunden, im Jahr 2023 waren es 1,1 und jetzt sind 1,4. „Bevor wir eine Diskussion führen über die Anhebung der Wochenarbeitszeit, sollten Arbeitgeber erst einmal geleistete Überstunden bezahlen oder durch Freizeit ausgleichen“, fordert Rosenthal.

Der Druck: Mehr Stress und keine Zuversicht bei der Rente

Wie schon 2019 und 2023 klagen auch in diesem Jahr die Hälfte aller Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer über viel Stress. Ein Grund dafür seien die gestiegenen fachlichen Anforderungen. 47 Prozent der Befragten gibt an, dass sich ihre Arbeit negativ auf ihre Gesundheit auswirkt. Vor zwei Jahren stimmten noch 40 Prozent dieser Aussage zu. Besonders betroffen sind Berufe in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Verkehr und Logistik.

Mit Blick auf die Rente sind insbesondere junge Beschäftigte zwischen 15 und 24 Jahren verunsichert. Die Hälfte glaubt nicht daran, dass sie ihre Arbeit bis zum regulären Ende des Berufslebens ausüben werden. Insgesamt sagen 30 Prozent der Befragten, dass sie ihren derzeitigen Beruf nicht bis zum Renteneintritt ausüben können. "Eine weitere Anhebung des Rentenalters würde für viele schlicht eine Rentenkürzung bedeuten. Viele müssten Abschläge in Kauf nehmen, weil sie es gesundheitlich nicht bis zur Rente schaffen", warnt Rosenthal. Das sei problematisch, weil 85 Prozent der Befragten nicht davon ausgehen, von ihrer Rente gut leben zu können. Der Vorschlag Rente mit 70 geht "an der Realität unserer Mitglieder vorbei".

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Die Katastrophe: Politik muss Infrastruktur schaffen

Der Themenschwerpunkt Pflege von Angehörigen deutet vor dem Hintergrund der immer älter werdenden Gesellschaft die ersten Anzeichen einer "Katastrophe" an. Schon jetzt pflegt jeder achte Bremer Arbeitnehmende neben dem Beruf ein Familienmitglied. Es mangele an ambulanten Pflegeangeboten. Diese zusätzliche Belastung stemmen, wie in der Kinderbetreuung, vor allem Frauen. "Früher hieß es: Der größte Pflegedienst der Nation sind die Frauen, die zu Hause bleiben und ihre Angehörigen pflegen. Wir laufen wieder auf solche Zeiten zu."

Zudem sei die Rechtslage für eine Freistellung "unglaublich kompliziert". Heyduck fordert ein Umdenken in den Betrieben und von den politischen Verantwortlichen: "Es ist wichtig, gesetzliche Grundlagen für eine steuerfinanzierte Lohnersatzleistung und eine verbesserte Infrastruktur zu schaffen, die die Beschäftigten nicht zwingt, eine Entweder-oder-Entscheidung zu treffen." Das bisherige Konzept zwinge die Arbeitnehmer oft in die Teilzeit und führe zu einem Verlust (vor allem weiblicher) Fachkräfte. Statt die Erhöhung der Arbeitszeit zu fordern, müsse die Politik die durch Sorgearbeit entstehende Belastung für die Arbeitnehmer durch eine professionelle Pflegeinfrastruktur und rechtliche Absicherung abfedern.

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