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SWB-Chef im Interview "Die Energiekrise ist noch lange nicht vorbei"

Seinen Einstieg in den neuen Job nennt SWB-Chef Karsten Schneiker "turbulent": Die Energiekrise warf alle Pläne über den Haufen. Dabei war der 51-Jährige eigentlich mit einem anderen Auftrag zu SWB gekommen.
03.06.2023, 05:00 Uhr
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Von Christoph Barth

Herr Schneiker, den Winter haben wir ohne kalte Wohnungen überstanden – es gab genug Gas zum Heizen. Jetzt senkt SWB zum 1. Juli sogar wieder die Preise: Ist die Energiekrise schon überstanden?

Es wäre zu früh, das zu sagen. Im Moment sind die Gasspeicher zu 75 Prozent gefüllt, Anfang Mai waren es 67 Prozent. Das heißt: Wir füllen die Speicher nur langsam auf. Über die neuen Flüssiggasterminals haben wir nur ein Viertel der Kapazität, die uns vorher durch die russischen Pipelines zur Verfügung stand. Dazu kommt: Wer eine Pipeline in der Ostsee sprengt, kann das auch an anderer Stelle tun – diese neue Bedrohungslage muss man immer mit bedenken. Das heißt: Die Energiekrise ist noch lange nicht vorbei.

Aber die Gaspreise sinken.

Wenn man auf die Märkte schaut, sieht es tatsächlich so aus, als sei die Krise schon vergessen: Die Großhandelspreise für Erdgas sind unter Vorkriegsniveau – bei unter 30 Euro die Megawattstunde; im August letzten Jahres lagen sie bei fast 300 Euro. Aber wir wissen nicht, wie kalt der nächste Winter wird. Daher bleibt der Aufruf zum Energiesparen bestehen.

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Der SWB-Gaspreis soll zum 1. Juli um 2,2 Cent pro kWh sinken. Können die Preise auch wieder steigen?

Wir kaufen unser Gas ja langfristig ein. Und da sehen wir zum Beispiel für 2024 auch schon wieder höhere Preise als die jetzigen. Also: Wir sind zuversichtlich, den niedrigeren Preis bis Ende 2023 halten zu können, danach wird man sehen.

Und das Kohlekraftwerk in Hastedt, das eigentlich längst außer Betrieb sein sollte, bleibt so lange am Netz?

Auf jeden Fall noch für den kommenden Winter. Ich hoffe, dass wir Anfang nächsten Jahres Klarheit darüber haben, wann das Kraftwerk außer Betrieb gehen kann. Die Kollegen waren ja alle schon für neue Aufgaben im Unternehmen eingeplant und wir wollen sie ungern noch länger hinhalten.

SWB hat dann keine Kohlekraftwerke mehr. Energie soll unter anderem aus Müll und Klärschlamm erzeugt werden. Kann das die Kohle wirklich ersetzen?

Unser Fokus wird künftig auf der Wärme sein. Mit der Entscheidung, die großen Kohleblöcke stillzulegen, hat SWB die eigene Stromerzeugung deutlich reduziert. Die Wärme wird in der Tat zu einem großen Teil aus der Abfallverbrennung kommen und aus vielen kleinen Quellen: Klärschlamm, Abwärme von Industriebetrieben, Abwässer, auch Geothermie schauen wir uns an.

Welche Industriebetriebe kämen als Lieferanten in Frage?

Das kann eine Brauerei sein, das kann ein Stahlwerk sein. Wir sehen uns an, wo Wärme zurzeit durch die Schornsteine geht und wie man das nutzbar machen kann. Auch Abwässer aus Produktionsprozessen kann man nutzen.

Gibt es denn genug Produktionsbetriebe, die ihre Abwärme zur Verfügung stellen können?

In großen Dimensionen sehen wir das tatsächlich in der Neustadt und in Mittelsbüren...

... also bei Beck's und Arcelor-Mittal.

Genau. Es gibt aber auch kleinere und mittlere Betriebe, die zum Beispiel 50 Wohneinheiten versorgen könnten. Auch die wollen wir uns anschauen.

Sie haben angekündigt, allen Bremern ein Angebot zu machen, wie sie ihre Häuser künftig klimaneutral heizen können.  Ein großes Versprechen – können Sie das mit diesen vielen kleinteiligen Lösungen tatsächlich halten?

Das ist unser Anspruch. Aber wir sind hier natürlich auf die Rahmenbedingungen angewiesen, die die Politik setzt. Auf Landesebene bin ich sehr zuversichtlich, dass wir zusammen mit der Stadt Bremen und der Stadt Bremerhaven im Rahmen einer kommunalen Wärmeplanung Lösungen entwickeln werden: Wo können wir die Fernwärme ausbauen? Wo können wir kleinteilige Lösungen für einzelne Quartiere finden? Aber es werden weiße Flecken bleiben, wo weder das eine noch das andere geht. 

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Und da kommt dann die Wärmepumpe ins Spiel.

Das Gebäudeenergiegesetz, das die Bundesregierung zurzeit erarbeitet, hat unseren Kollegen in den Kundencentern jedenfalls eine Flut von Anfragen beschert. Die Verunsicherung ist sehr groß. Und nach dem ersten Entwurf des Gesetzes wären wir in der Tat nicht in der Lage, allen Kunden in alten, kleinen Reihenhäusern guten Gewissens eine Wärmepumpe zu empfehlen. Technisch ist der Einbau natürlich möglich, würde aber zu zusätzlichen Heizkosten von 2000-3000 Euro im Jahr führen.

Weil die Wärmepumpen in schlecht isolierten Häusern viel Strom verbrauchen.

Genau. Aber ich vertraue darauf, dass es Nachbesserungen an dem Gesetzentwurf geben wird. Wir brauchen zuerst eine vernünftige Gebäudesanierung. Wir brauchen zweitens eine Abstimmung mit der kommunalen Wärmeplanung: Bevor die Leute ihre Häuser nachbessern, sollten sie wissen, ob wir in fünf Jahren mit einer Fernwärmeleitung bei ihnen vorbeikommen. Daran arbeiten wir: straßengenau festzulegen, wo wir in zwei, vier oder sechs Jahren Fernwärme anbieten können. Drittens muss man die Leute mitnehmen: Es ist eigentlich nicht Aufgabe der SWB, die Pläne der Bundesregierung zu erläutern, aber die Leute kommen nun mal zu uns mit ihren Fragen, also sind wir da in der Rolle, zu vermitteln.

30 Prozent der Bremer Haushalte sollen bis 2040 ans Fernwärmenetz angeschlossen werden, doppelt so viele wie heute. Ist das Ziel angesichts der jahrelangen Planung und der Verzögerungen beim Bau der aktuellen Fernwärmeleitung vom Müllheizkraftwerk in die Vahr überhaupt realistisch?

Das ist eine Herausforderung, ja. Es wird zeitweilig auch eine Zumutung für die Anwohner sein. Meine Erwartung ist, dass die Politik mit uns gemeinsam den Bürgern erklärt, warum das erforderlich ist.

Welche Stadtteile können sich Hoffnungen auf einen Anschluss machen?

Konkret schauen wir auf die Innenstadt, auf Findorff, und wir überlegen, auf die andere Weserseite zu gehen.

Sie sprachen von den Zumutungen in der Bauphase. Ich stelle mir jetzt den Herdentorsteinweg oder die Sögestraße als Großbaustelle für eine Fernwärmeleitung vor...

Es gibt Überlegungen, die Innenstadt aus dem Ostnetz heraus anzubinden. Eine der naheliegendsten Lösungen wäre die Humboldtstraße.

Dort gibt es schon eine Initiative der Anwohner für eine genossenschaftliche Nahwärmeversorgung.

Solche Projekte unterstützen wir gerne, sehen die Notwendigkeit aber eher in anderen Stadtteilen, in Bremen-Nord etwa, wo wir mit der Fernwärme in absehbarer Zeit nicht ankommen werden. Genau dafür brauchen wir die Führung durch die Politik und eine kommunale Wärmeplanung. Es ist nicht hilfreich, jetzt Einzelprojekte mit Millionensummen zu fördern, die bei einem Ausbau der Fernwärme sinnlos werden.

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Und dann brauchen Sie viel Fernwärme aus erneuerbaren Quellen. Das Gaskraftwerk, das den Kohleblock in Hastedt ersetzen soll, erfüllt diese Anforderungen nicht.

Das stimmt, obwohl der CO2-Ausstoß immerhin halbiert wird. Eine Umstellung auf "grüne Gase" wäre eine Option. Da gibt es mehrere Möglichkeiten, die wir uns ansehen. 2035 – das bleibt das Ziel – wollen wir Bremen und Bremerhaven klimaneutral mit Wärme versorgen.

Ist grüner Wasserstoff eine Lösung oder viel zu kostbar, um ihn zu verheizen?

Letzteres. Wasserstoff – insbesondere grüner, also klimaneutral erzeugter Wasserstoff – wird für einen flächendeckenden Einsatz zur Wärmeerzeugung zu teuer bleiben. Allenfalls für einige der "weißen Flächen", die bei einer kommunalen Wärmeplanung übrig bleiben, könnte man darüber nachdenken, zumindest als Beimischung.

Wie lange lässt sich ein Gasnetz betreiben, durch das immer weniger Gas fließt?

Das ist eine sehr spannende Frage. Es gibt Studien von Umweltverbänden, nach denen 90 Prozent des Gasnetzes zurückgebaut werden könnten. Davon gehen wir nicht aus. In Regionen, die wir künftig mit Fernwärme versorgen, kann man über einen Rückbau nachdenken. Für die "weißen Flächen" wird man es weiter benötigen.

Am Stromnetz dagegen hängen künftig immer mehr Wärmepumpen und Ladesäulen. Ist es diesen Anforderungen gewachsen?

Wir brauchen zusätzliche Leitungen, keine Fragen. Wir sind gerade dabei, den genauen Bedarf zu ermitteln - bis September wollen wir ein Ergebnis vorlegen. Klar ist: Die eine Milliarde Euro, die wir bis 2035 für die klimaneutrale Energieversorgung in Bremen und Bremerhaven vorgesehen haben, werden dafür nicht reichen.

    Das Gespräch führte Christoph Barth.

Zur Person

Karsten Schneiker ist seit September vergangenen Jahres Technikvorstand des Bremer Energieversorger SWB. Zum 1. Juni wurde der 51-jährige Wirtschaftsingenieur auch zum Sprecher des zweiköpfigen Vorstands berufen.

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